Michael Kliers Drama „Alter und Schönheit“ sollte ursprünglich „Ferrari 49“ heißen. Und dieser weniger bedeutungsschwangere Titel wäre dem Tenor des Films auch deutlich besser gerecht geworden. Doch ausgerechnet die Rechtsabteilung der italienischen Sportwagenschmiede besitzt offensichtlich wenig Sinn für kulturelle Schönheit. Sie hat die Benutzung des Markennamens untersagt. Dabei wäre der Titel für Ferrari durchaus werbewirksam gewesen. Der neue Film des zweifachen Grimme-Preisträgers Klier („Ostkreuz“, „Heidi M.“) ist nämlich nicht nur vorsichtig und einfühlsam, sondern auch ungeheuer schön. Henry Hübchen, Burghart Klaußner, Armin Rohde und Peter Lohmeyer spielen vier Endfünfziger, die seit Ewigkeiten befreundet sind. Doch nun liegt einer von ihnen im Sterben. Während die Männer ihren krebskranken Freund in den Tod begleiten, entdecken sie Altes wieder und Neues für sich. Ohne die Ernsthaftigkeit der Situation aus den Augen zu verlieren, aber auch ohne sentimental zu werden, erzählt der Film in leisen Tönen von der wiedervereinigenden Kraft des Todes, von der Macht der Erinnerungen und vom alles übersteigenden Wert der Freundschaft.
Manni (Peter Lohmeyer, dank viel Schminke glaubhaft um eineinhalb Dekaden gealtert) verbringt die letzten Tage seines Lebens in einem privaten Hospiz. „Er hat doch alles gehabt“, sagt Freund Harry (Henry Hübchen) über Mannis Leben. Trotzdem richtet der Sterbende noch einen letzten Wunsch an seine drei Freunde: Er will seine verlorene Liebe Rosi (Sibylle Canonica) noch einmal sehen. Harry, Justus (Burghart Klaußner) und Bernhard (Armin Rohde) machen sich auf die Suche – und werden schnell fündig. Doch an Rosis schroffer Reaktion lässt sich leicht ablesen, dass bereits die Erwähnung Mannis alte Wunden aufreißt, die inzwischen bestenfalls oberflächlich verheilt sind…
Es ist die Vagheit, die „Alter und Schönheit“ in erster Linie auszeichnet. Es bleibt dem Publikum selbst überlassen, Reaktionen, Gesten und Blicke, die mit viel Einfühlungsvermögen und Aufmerksamkeit inszeniert sind, zu lesen. Nur die wenigsten fallen so deutlich aus wie Rosis ablehnender Gesichtsausdruck. Vieles wird nur angedeutet, noch mehr bleibt unausgesprochen, wie auch die ewig nagende Frage nach dem „Wer hatte was mit Rosi?“ Diese erzählerische Zurückhaltung fügt der ruhigen Oberfläche eine dramaturgische Spannung hinzu, die den Zuschauer wie eine unterirdische Strömung mitreißt.
Dass das Nicht-Geschehen – abgesehen von ein, zwei kleineren Längen – nie in Langeweile umschlägt, liegt vor allem an den starken Hauptdarstellern. Sie sind es, die die vielen ebenso präzisen wie alltäglichen Beobachtungen mit ihrer Lebenserfahrung füllen. Manche der Situationen sind typisch deutsch, andere typisch männlich, wieder andere typisch menschlich – und dann gibt es noch die, die alles zugleich sind. Das Zusammenspiel der Darsteller verläuft dabei so harmonisch, dass nicht eine Sekunde Zweifel daran aufkommen, dass die vier Männer eine tiefe Freundschaft verbindet. Auch wenn der Film sich natürlich darauf konzentriert, die Unterschiede der Charaktere sichtbar zu machen, so ist das unsichtbare Band, das die Freunde – auch generationsbedingt – verbindet, doch immer spürbar. Wenn man aus dem homogenen Ensemble überhaupt jemanden herausgreifen möchte, dann Armin Rohde („Das Leben ist eine Baustelle“, Die Bluthochzeit). Als Bernhard ist er weit von seinen gern gesehen Spaßmacher-Figuren (666 – Trau keinem mit dem du schläfst, Herr Bello) entfernt, füllt seine Rolle aber deshalb nicht weniger stilsicher aus.
Der Film gibt sich thematisch bedingt oft nachdenklich, doch auch humorvolle und unbeschwerte Szenen haben ihren Platz. Bernhard, Justus und Harry albern gemeinsam mit Rosi in Mannis Bungalow herum und schwelgen zugedröhnt in Nostalgie. Hier zeigt Klier etwas, das man immer wieder auch auf Beerdigungen erlebt: Der Tod führt zum Aufleben alter und zum Knüpfen neuer Verbindungen, zum Weinen und zum Lachen, zum Reflektieren dessen, was schon war und was noch kommen soll. Das Ende führt zu Menschlichkeit in konzentrierter Form. All das transportiert „Alter und Schönheit“ über das Auflebenlassen von Erinnerungen in den Gesichtern der Freunde, etwa beim Hören alter Jazzplatten. Letztere Szene sticht vor allem deshalb stark heraus, weil der Film ansonsten nur selten, und dann auch nur sehr dezent mit Musik untermalt ist.
Ein besonders auffälliges Stilmittel ist auch der „Film im Film“. Kunstvoll hat Michael Klier einen seiner frühen Schwarz-Weiß-Filme in die Handlung integriert. In diesem spiegelt sich Mannis Leidenschaft für Autos und sein großer Jugendtraum von einem Ferrari. Mittlerweile hat sich Manni diesen Wunsch erfüllt. Doch während der Wagen für die anderen Geschwindigkeit, Kindlichkeit und Lebensfreude ausstrahlt, sieht Manni selbst in ihm nur noch das, was er in seinem Leben eben nicht erreicht hat. Da der Zuschauer selbst in die Blicke und Gesten eine Menge hineinlesen muss, ist die Wahrnehmung von „Alter und Schönheit“, noch viel stärker als dies bei anderen Filmen eh schon der Fall ist, vollkommen subjektiv. In den zurückgenommen, aber deshalb nicht minder ästhetischen Bildern kann eben jeder etwas anderes entdecken. Gen Ende ist manche Symbolik etwas zu aufdringlich, zu tröstlich, zu romantisch. Trotzdem bleibt „Alter und Schönheit“ ehrlich und authentisch. Ein Film zum Nachdenken und zum Schmunzeln gleichermaßen.