Mit Filmen wie „Cinema Paradiso" oder „Der Mann, der die Sterne macht" hat sich Giuseppe Tornatore als einer der größten zeitgenössischen italienischen Regisseure etabliert. „Baaria", sein aktueller Film, eröffnete dann auch als erster italienischer Beitrag seit fast zwei Jahrzehnten die Filmfestspiele von Venedig. Den daher naturgemäß hohen Erwartungen wird Tornatores Drama jedoch kaum gerecht. Das ambitionierte Werk unternimmt bei einer Lauflänge von zweieinhalb Stunden den Versuch, knapp 50 Jahre sizilianischer Historie im Rahmen einer Familiengeschichte zu erzählen. Die sizilianische Kleinstadt Bagheria (italienisch: Baaria), der Geburtsort des Regisseurs, steht dabei als Mikrokosmos stellvertretend für ganz Sizilien. Während „Baaria" ästhetisch oft überwältigend gestaltet ist, gerät der Film inhaltlich arg ins Straucheln. Tornatore erzählt zu viel, wobei die Schwerpunkte nicht immer glücklich gesetzt sind.
Der Handlungsbogen beginnt in den Dreißigerjahren: Der junge Guiseppe Torrenuova (Francesco Scianna), den alle Peppino nennen, entstammt einer einfachen Schäferfamilie aus Baaria. Geprägt von Erfahrungen in seiner Kindheit entscheidet sich Peppino für eine politische Laufbahn als Kommunist. Mit Mannina (Margareth Madè) gründet er nach dem Zweiten Weltkrieg eine Familie, die zunehmend darunter leidet, dass Peppino sich immer exzessiver der Politik widmet. Auch als Peppinos Sohn Pietro (Marco Iermanò) zur Welt kommt, ändert sich daran nichts...
Von den 1930er bis in die 1980er Jahre reicht der Handlungsbogen von „Baaria", der – mit Peppino im Mittelpunkt – drei Generationen einer Familie begleitet. Die detailreich nachgestellten historischen Kulissen, die insgesamt überladene, aber dennoch teilweise elegante Kameraführung und letztlich die gewichtige Musik von Ennio Morricone geben Tornatores Film den Anstrich eine Epos'. Der erzählerische Ansatz, die sizilianische Geschichte am Beispiel einer Familienchronik zu vermitteln, leidet dabei jedoch an Überfrachtung. „Baaria" macht einen ganzen Reigen an thematischen Fässern auf, führt aber zu wenige Erzählfäden konsequent zu Ende. Tornatore erzählt vom Gegensatz zwischen Arm und Reich, von Kommunismus und Faschismus, vom Einfluss der Mafia, von Aberglaube, politischen Überzeugungen, dem Kino und natürlich von der Liebe – schlüssige Gedanken zu seinen Themen liefert der Film jedoch kaum, vielmehr bleibt vieles Ansatz, Andeutung oder schlichte Behauptung.
Ein Grund dafür ist die anekdotenhafte Erzählweise des Films, die der ambitionierten Grundanlage nicht gerecht wird. In vielen kurzen Szenen vermittelt Tornatore seine Sichtweise, verbindet die Einzelmomente aber nicht zu einem kohärenten Ganzen. So kommt es, dass „Baaria" vor allem in der zweiten Hälfte merklich an Schwung verliert und bisweilen langweilig wird. Die anfangs noch verzaubernden und opulenten Bilder sind schnell als zugekleisterte Oberflächenreize durchschaut – und dass die übermäßig sentimentale Musik von Ennio Morricone bei jeder Gelegenheit erklingt, während sich eine in goldgelbes Licht getauchte Massenszene an die nächste reiht, führt ebenfalls zu deutlichen Ermüdungserscheinungen. Im Grunde ist „Baaria" daher nicht mehr als ein unter der Oberfläche recht unausgegorenes, tief sentimentales Bilderbuch der sizilianischen Kleinstadt Baaria – und eine reichlich unkritische Hommage des Regisseurs an seine Heimat.
Das Augenmerk Tornatores auf die ästhetische Gestaltung, die vielen kleinen Details und die Kulisse an sich bieten dennoch einige schöne Kinomomente. Aufwiegen kann dies das wesentliche Problem des Films, das Fehlen einer tiefergehenden Analyse und die unausgewogene Oberflächlichkeit der Themen, jedoch kaum. Mit einem zweifelsohne talentierten Regisseur wie Giuseppe Tornatore hätte aus „Baaria" eigentlich ein großartiger Film werden sollen. Schade, dass es bei einer Sammlung schwelgerischer Fotografien und unverbundener Skizzen ohne stringente Linie geblieben ist.