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    Anonyma - Eine Frau in Berlin
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Anonyma - Eine Frau in Berlin
    Von Christian Horn

    Historische Stoffe gehen gut im deutschen Big-Budget-Kino. In den vergangenen Jahren überzeugten Filme wie Der Untergang, Sophie Scholl und Das Leben der Anderen an den heimischen Kinokassen und stießen zugleich auf internationale Beachtung. Ende September läuft der von Bernd Eichinger geschriebene und produzierte Der Baader-Meinhof Komplex in den Lichtspielhäusern an, der gleich eine ganze Kompanie an Stars aufbietet. Ganz klar: Filme mit geschichtlichem Hintergrund dominieren das deutsche Hochglanzkino klar. Max Färberböck, der bereits mit seinem Erfolgsfilm „Aimée & Jaguar“ das Dritte Reich behandelte, hat nun erneut einen historischen Stoff inszeniert: Sein Film „Anonyma – Eine Frau in Berlin“ erzählt von den Massenvergewaltigungen durch russische Soldaten in Ostberlin am Ende des Zweiten Weltkriegs. Färberböck kann zwar keine lange Liste an Darsteller-Sternchen aufweisen, hat aber mit Nina Hoss eine Hauptdarstellerin, die momentan nicht nur sehr angesagt, sondern darüber hinaus auch noch verdammt talentiert ist. Sie ist es auch, die den Film dominiert, der ansonsten nicht besonders aufsehenerregend ist. Färberböck inszeniert trotz des brutalen und schwierigen Themas zu zahm und geschliffen. Dennoch stellt „Anonyma“ Fragen in den Raum und hat zumindest das Potential, Kontroversen auszulösen.

    Berlin im Mai 1945: Der Krieg ist vorbei, letzte Scharmützel in den Berliner Kiezen sind unbedeutend und gleichen einer Farce. Ängstlich wartet die Zivilbevölkerung in Luftschutzkellern auf das, was da kommen mag. Unter ihnen ist auch eine Fotografin und Journalistin, deren Name nie genannt wird (Nina Hoss als titelgebende Anonyma). Sie ist eine selbstbewusste, intelligente und schöne Frau, deren Ehemann irgendwo an der russischen Front war und jetzt entweder tot oder in Kriegsgefangenschaft ist. In ihren Kiez marschiert die Rote Armee ein und kaum sind die Soldaten angekommen, lassen sie ihren Trieben freien Lauf. Sie lachen, trinken und feiern. Und sie finden Gefallen an den Berliner Frauen. Diese sind wehrlos - sozusagen Aussätzige - und werden von den Soldaten auch so behandelt - denn Berlin gehört jetzt ihnen! Wer sich als Frau alleine auf die Straße wagt, läuft Gefahr, von einem oder auch gleich mehreren Russen vergewaltigt zu werden. Und genau das passiert – gleich mehrfach - auch Anonyma. Sie lässt die Tortur über sich ergehen und bleibt ob der schrecklichen Situation erstaunlich stark und selbstbewusst. Nach einigen Tagen trifft sie eine Entscheidung: Sie will sich einen Beschützer erobern, einen hochrangigen russischen Militär, der sie körperlich besitzen darf und ihr dafür seine Untergebenen vom Leib halten soll. In Andrej (Evgeny Sidikhin) findet sie einen nachdenklichen Offizier, der sie und ihre Angehörigen fortan schützt. Im Lauf der Zeit entstehen zwischen den beiden echte Gefühle und der eigentliche Plot des Films beginnt: Erzählt wird die Geschichte einer unmöglichen Liebe zwischen zwei Feinden, die fasziniert voneinander sind, aber aufgrund der Umstände nicht zueinander finden können.

    Die Geschichte des Films stützt sich in weiten Teilen auf die Tagebuchaufzeichnungen einer Frau, die die Vergewaltigungen im Sommer 1945 in Berlin miterlebt hat. Über einen Zeitraum von etwa drei Monaten schrieb sie in einem lakonischen Tonfall - ohne Selbstmitleid oder große Affekte - ihre Erlebnisse jener Tage auf, in denen die Rote Armee sich in Berlin wie in einem riesigen Bordell fühlte. Diese Tagebuchaufzeichnungen, die bereits in Buchform viel Aufsehen erregten, sind im Großen und Ganzen die einzige schriftliche Quelle über die zahlreichen sexuellen Übergriffe im Nachkriegsberlin. Historiker sprechen von einigen Hundertausend Opfern und insgesamt ist das Thema eines der am wenigsten aufbereiteten der deutschen Geschichte: Die Frauen selbst schwiegen oftmals und die politische Verbindung der DDR mit Russland ließ eine offene Anprangerung des Verhaltens der Sowjet-Armee nicht zu. Zudem hatten die deutschen an ihrer eigenen Kriegsschuld zu knabbern und es wurde für unangemessen und feige erachtet, mit dem Finger auf die anderen zu zeigen.

    Ob dieses Thema nun aber unbedingt zu einem Kinofilm verarbeitet werden muss, lässt sich allerdings streiten. Immerhin kann man Regisseur Max Färberbück nicht vorwerfen, dass er die Vergewaltigungen als Schauwert missbraucht, inszeniert er die missbrauchten Frauen doch mit respektvoller Distanz. Und er macht auch nicht den Fehler, die Russen als grobschlächtige Bestien darzustellen, auch wenn der Film stellenweise Gefahr läuft, auf diese Schiene abzurutschen. Alles in allem zeichnet Färberböck nicht in Schwarz und Weiß, sondern bietet eine differenziertere Sicht auf die Ereignisse an. Stellenweise gelingt es ihm gar, ein wenig Humor in die trostlose Stimmung einzubauen.

    Der fiktionale Teil des Films ist die Liebesgeschichte zwischen dem Offizier und Anonyma. Die Tagebuchaufzeichnungen erwähnen den Beschützer nur sporadisch und lassen keineswegs darauf schließen, dass Anonyma sich tatsächlich in den Russen verliebt haben könnte. Hier trumpft der Film am stärksten auf: Kleine Gesten und Augenblicke erzählen von dieser unmöglichen Liebe und lassen vieles für den Zuschauer offen, schaffen Räume, in denen sich das Publikum eine eigene Meinung bilden kann. Und auch das schauspielerische Talent von Nina Hoss kommt in diesem Teil der Story am besten zur Geltung. Daher drängt sich auch die Frage auf, warum Färberböck seine Geschichte gerade im Nachkriegsberlin vor dem Hintergrund der Massenvergewaltigungen erzählt. Leicht hätte er andere äußere Umstände entwerfen können, innerhalb derer seine Geschichte genauso gut funktioniert hätte. Hat er also doch auf die historische Aufarbeitung als kommerzielles Zugpferd gesetzt?

    Insgesamt lässt „Anonyma“ ein zwiespältiger Eindruck zurück. Bei der Inszenierung macht Färberböck einiges richtig, hat aber in weiten Teilen doch nur einen dieser finanziell aufwändigen Hochglanz-Filme abgeliefert - einen ambitionierten zwar, aber gleichzeitig auch einen ohne große Ecken und Kanten, der wohl auch auf den internationalen Erfolg schielt. Während von der unmöglichen Liebe der Protagonisten gelungen erzählt wird, ist es letztlich das Setting und die bisweilen aufgesetzt wirkende Vergewaltigungs-Thematik, die befremdlich wirkt.

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