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    Max Frisch, Citoyen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Max Frisch, Citoyen
    Von Christian Schön

    Jeder kennt ihn, da seine Werke im Schulunterricht zur Pflichtlektüre gehören. Es gibt weder einen runden Geburtstag (geboren 1911) zu feiern, noch jährt sich sein Todesjahr (1991) zu einem symbolischen, denkwürdigen Mal. Dennoch kommt in diesem Jahr eine Dokumentation in die Kinos, die sich mit dem Leben des Schweizer Architekten und Schriftstellers Max Frisch beschäftigt. Erstaunlich ist, dass es eine Dokumentation in dieser Form über den allseits bekannten Autor noch nicht gab. Lediglich in dem 1981, also noch zu Lebzeiten Frischs, entstandenen „Max Frisch, Journal I-III“ des Schweizer Dokumentarfilmers Richard Dindo ist ein erster Versuch in diese Richtung unternommen worden. Dieser Film nahm sich das autobiographisch inspirierte „Montauk“ Frischs zum Ausgangspunkt, um frei assoziativ den Inhalt, beziehungsweise die Vita Frischs zu erzählen. Ausgehend von dieser Erzählung umfasste die Dokumentation jedoch nur einen kleinen Ausschnitt aus Frischs Leben. Dem wird nun Abhilfe verschafft. Frischs Schweizer Landsmann und langjähriger Dokumentarfilmer Matthias von Gunten („Reise ins Landesinnere“, „Big Bang“) zeigt in „Max Frisch, Citoyen“ den offiziellen Frisch, den Intellektuellen, den Weltbürger.

    Der Regisseur über den Anlass, eine Dokumentation über Max Frisch in die Kinos zu bringen: „Vom ’Verstummen der Intellektuellen’ ist heutzutage immer häufiger die Rede. […] Einen Film über den Citoyen Frisch zu machen, ist für mich deshalb nicht rückwärtsgewandte oder nostalgische Verklärung, sondern ein Bekenntnis dazu, wie sehr ich solche Figuren schätze (und heute vermisse) und wie aktuell sein Denken und Schauen ist – gerade auch in der heutigen Zeit – für mich geblieben ist.“ (Matthias von Gunten)

    So zeigt „Max Frisch, Citoyen“ denn auch hauptsächlich dasjenige aus Frischs Leben, was ihn zu einem Mann des öffentlichen Interesses gemacht hat. Dank der akribischen Beobachtung durch die Stasi, der Frisch als politisch höchst suspekt aufgefallen war, ist der Lebensweg gerade seiner „politischen Phase“ bestens dokumentiert. Frisch mischte sich ein. Nicht urteilend oder belehrend, sondern als Fragensteller. Seine Erinnerungen an die turbulente Zeit zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts machten ihn ebenso zum kritischen Geist wie seine Erfahrungen im Militär, die ihn noch lange Zeit beschäftigte. Als Vorbild einer ganzen Schriftstellergeneration wurde er zum führenden Intellektuellen der Schweizer Literaturszene. Seine Stimme wurde schon bald über die Grenzen der Schweiz, mit der er ebenso hart ins Gericht ging, hinaus vernommen.

    Eine Film wie „Max Frisch, Citoyen“ lebt nicht nur von der Persönlichkeit desjenigen, der porträtiert wird, sondern auch von den Persönlichkeiten, die Frisch auf seinem Lebensweg begegnet ist, und die nun als Interviewpartner Rede und Antwort stehen. In diesem Fall kann Guntens Dokumentation mit einem beachtlichen Ensemble aufwarten: Es kommen berühmte Politiker wie US-Außenminister a.D. Henry A. Kissinger und Altkanzler Helmut Schmidt (selbstverständlich ständig die obligatorische Mentholzigarette rauchend) zu Wort. Daneben stehen mit Frisch bekannte Schriftsteller von hohem Rang - wie Christa Wolf oder Günther Grass - aber vor allem auch solche, die eher im Schweizer Sprachraum bekannt sind, so zum Beispiel Peter Bichsel oder Gottfried Honnegger. Die beiden Letztgenannten sind zugleich auch diejenigen, die Max Frisch am nächsten standen und viel über den Privatmann Frisch zu erzählen wissen. Honnegger ist der älteste noch lebende Freund von Frisch, der auch gemeinsam mit ihm im Krieg gedient hatte. Bichsel, gewissermaßen einer der wichtigsten Schüler Frischs, war sein engster Vertrauter als es darum ging, seine Beerdigung minutiös durchzuplanen. Durch die liebenswerten Episoden aus dem Munde von Bichsel und Honnegger gewinnt auch der Privatmann Frisch ein wenig an Konturen im Film.

    Neben den Interviewszenen kommt Max Frisch selbst zu Wort. Reto Hänny leiht Frisch seine Stimme und liest aus verschiedensten Werken von Frisch. Passend zum Lebensabschnitt oder zur entsprechenden politischen Situation werden Passagen aus Tagebüchern, Romanen, kleinerer Prosa, Zeitungsartikeln, Briefen, Reden oder persönlichen Notizen zitiert. Eine tendenziell autobiographische Lesart seiner Werke, die damit forciert wird, reduziert die Werke ein wenig. Die Schriften von Frisch, der gerade in seinen Tagebüchern mehr eine literarische Ausdrucksform denn einen Ort neutraler Tatsachenbeschreibung fand, wird so etwas reduziert gelesen, was aber der Sache der Dokumentation zweckdienlich ist. Hundertprozentig zu trauen ist den Selbstzeugnissen nicht, was beim Betrachten des Films nicht vergessen werden sollte.

    Zu den Zeitzeugen und Dokumenten treten weitere illustrative Mittel hinzu. Fotos aus dem Archiv von Frisch, die ihn an wichtigen Stationen seines bewegten Lebens zeigen, sowie Fernsehaufnahmen von öffentlichen Auftritten stellen den visuellen Hintergrund zum gesprochen Wort. Eine echte Rarität in „Max Frisch, Citoyen“ sind die privaten 16mm-Aufnahmen, bei denen Frisch selbst Regie geführt hat. Diese werden immer wieder eingespielt und sind jeweils als solche kenntlich gemacht. Hat man jedoch einmal mehr als zwei dieser filmischen Impressionen gesehen, erübrigt sich so eine Markierung. Oft zeigen diese Aufnahmen nur schemenhafte, landschaftliche Details von Orten, an denen sich Frisch aufgehalten hat. Aus dem Autofenster oder dem fahrenden Zug gefilmt, sind sie sehr verwackelt, leicht unscharf und ohne große Ambitionen, mehr als Souvenir gemacht. Ein großer Filmemacher ist an dem Architekten, Schriftsteller, Intellektuellen, Publizist und Weltbürger Max Frisch jedenfalls nicht verloren gegangen.

    Fazit: „Max Frisch, Citoyen“ füllt eine Lücke sinnvoll auf, da das Leben und Werk von Max Frisch bisher kaum in den Filmbereich Eingang gefunden hat, sieht man einmal von Volker Schlöndorffs „Homo Faber“ und dem eingangs erwähnten „Max Frisch, Journal I-III“ ab. Die Kinotauglichkeit von Matthias von Guntens Dokumentarfilm ist jedoch fragwürdig. Keines der verwendeten Stilmittel geht über die gewöhnlicher Fernsehdokumentationen hinaus. Lobt die NZZ Guntens Frisch-Biographie noch als „ohne Pathos“ erzählt, könnte man dieses Urteil umgekehrt mit der gleichen Berechtigung auch als Kritikpunkt anbringen.

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