Endlich ist die TV-Primetime wieder weitestgehend frei von 60er-, 70er-, 80er-Shows und anderen immer gleichen Nostalgiesendungen. Und auch im Kino ist der Ansturm der augenzwinkernden Rückblicke auf die gute alte Zeit schon ziemlich abgeflaut. Aber mit Achim Bornhaks „Das wilde Leben“, einem Biopic über die ausschweifende Karriere von 68er-Ikone und Top-Model Uschi Obermaier, kommt nun doch noch ein weiterer Vertreter der Retrowelle auf die große Leinwand. Dabei ist die Ankunft des Nachzüglers mit einem lachenden und einem weinenden Auge zu betrachten. Kann der Film nämlich in der ersten Hälfte mit hohem Tempo und geschliffen entlarvenden Dialogen noch recht gut unterhalten, ist die zweite so extrem dröge geraten, dass man den Kinosaal trotz der gelungenen Ansätze schließlich doch eher gelangweilt verlässt.
Weil es der lebenshungrigen Teenagerin in München-Sendling Mitte der 60er Jahre einfach zu eng wird, beschließt Uschi Obermaier (Natalia Avelon), trampend die Welt zu erkunden. Schnell landet sie so in der legendären Berliner „Kommune 1“, wo sie eine Beziehung mit dem Kommunarden Rainer Langhans (Matthias Schweighöfer) beginnt. Doch Uschi interessiert sich mehr für neue Erfahrungen aller Art denn für linke Ideale. Und als sich Rainer, der selbst stets die freie Liebe propagierte, auch noch als extrem eifersüchtig herausstellt, kommt es endgültig zum Bruch. Parallel entwickelt sich Uschis Modelkarriere. Sie posiert als Cover-Girl für die US-Vogue genauso wie für den Spiegel. So kommt sie auch an eine Einladung der Rolling Stones nach London, wo sie mit Mick Jagger (Victor Norén) und Keith Richards (Alexander Scheer) anbändelt. Irgendwann wird Uschi das lediglich aus Limousinen, Hotelzimmern und Drogen bestehende Leben der Rockstars jedoch zu wenig, sie will mehr von der Welt sehen. So landet sie schließlich beim Kiez-König und Hobby-Abenteurer Dieter Bockhorn (David Scheller). Als dieser wegen immenser Schuldenberge aus Hamburg fliehen muss, bricht Uschi mit ihm gemeinsam in einem selbstgestalteten Luxusbus zu einer mehrere Jahre andauernden Weltreise quer durch Asien und Amerika auf…
Langhans: „Wirkliche Freiheit kann nur aus dem Verzicht entstehen!“
Uschi: „Gut, dann verzichte ich halt auf Dich!”
In den ersten Momenten erinnert Natalie Avelons (Der Schuh des Manitu) Obermaier-Darstellung ein wenig an die „Ricky”-Popstar-Paodien von Anke Engelke in der „Wochenshow”. Doch dann wird schnell klar, dass hinter dem tiefen bayrischen Akzent und den überschminkten, vollen Lippen ein tiefes Verständnis für ihre zwischen aufrechter Naivität und unbändiger Lebenswut schwankenden Figur schlummert. Das Wagnis, die Hauptrolle mit einer (noch!) unbekannten No-Name-Darstellerin zu besetzen, muss also eindeutig als geglückt bewertet werden. Bei Matthias Schweighöfer (Soloalbum) merkt man nicht einmal, dass er spielt. Seine Langhans-Performance ist so natürlich, dass man schon fast meinen könnte, er wäre privat genauso drauf. Und David Scheller (3 Grad kälter) zaubert aus dem Vorzeige-Macho Bockhorn den einzigen echten Sympathieträger des gesamten Films. Lediglich Alexander Scheer (Sonnenallee) schießt als Keith Richards über das Ziel hinaus. Wenn er mit einem Jack-Sparrow-Wanken den Raum betritt, ist dies zwar jedes Mal für einen kurzen Schmunzler gut, aber wenn die Figur zum Ende hin auch auf der emotionalen Ebene funktionieren soll, scheitert die überzogene Darstellung zumindest in diesen Szenen komplett.
Kommunardin zu der sich schminkenden Obermaier:
„Als Frau solltest Du zur Auflösung der patriarchalischen Struktur beitragen!“
Uschi: „Du bist ja nur eifersüchtig, Du alte Gurke!”
In der ersten Stunde ist „Das wilde Leben“ vor allem eines – ziemlich unterhaltsam. Wenn die naive, für alle andersartigen Ideen offene Obermaier in die verschiedenen alternativen Lebensweisen der 60er Jahre hineinschnuppert, ist das fast wie eine Aneinaderreihung von „The Simple Live“-Episoden, in denen auch It-Girls (Paris Hilton und Nicole Richie) andere luxusfreie Lebensarten erforschen. Der einzige Unterschied besteht darin, dass „Das wilde Leben“ in diesen Momenten nicht nur unheimlich komisch, sondern auch sehr entlarvend geraten ist. Vor allem die zum großen Teil aufgesetzten Ideale der Kommunarden werden zielsicher aufs Korn genommen, aber auch die Zeichnung der Stones kommt der Dekonstruktion einer Ära gleich, die sich selbst maßlos überschätzt und viel zu ernst genommen hat.
Kommunarde: „Wer hat denn diese Nuttenpisse in den Kühlschrank gestellt?“
Uschi: „Wieso, magst Du keine Cola?”
Mit dem Aufbruch von Uschi und Bockhorn zu einer Weltreise wird aus dem unterhaltsam-satirischen Rückblick ansatzlos ein ernsthaftes Drama. Plötzlich soll der Zuschauer mit den Charakteren, die er zuvor nur als überhöhte Kunstfiguren wahrnehmen konnte, mitfühlen – ein nahezu aussichtsloses Unterfangen. So bleibt das Publikum größtenteils außen vor und muss zudem auch noch erhebliche Längen in der ausgebremsten Dramaturgie überstehen. Was die Inszenierung angeht, hat Regisseur Bornhak übrigens ein ganz ähnliches Problem, auch hier liegen ihm die lauten Szenen erheblich besser als die leisen. Bei stilisierten Fotoshootings oder den dekadenten Orgien der Stones macht es wirklich Spaß, sich seine ausschweifend komponierten Bildern anzusehen, aber ansonsten geht er schlicht viel zu zurückhaltend an die Sache heran – die meist biedere Inszenierung will so einfach gar nicht zu Uschi Obermaiers wildem Leben passen.