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    Suspiria
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Suspiria

    Das Remake ist das Gegenteil des Originals

    Von Lucas Barwenczik

    Es gibt viele Möglichkeiten, ein Remake zu drehen. Man kann die Inhalte einfach in zeitgemäßer Optik wiederholen, man kann sie variieren oder mit neuen Gedanken fortführen. Der erst kürzlich für „Call Me By Your Name“ oscarnominierte Luca Guadagnino hat mit seiner Version von „Suspiria“ etwas Ungewöhnliches getan: Er hat kurzerhand das exakte Gegenteil des Originals von Dario Argento geschaffen. Wo 1977 grelle Farben und extreme Lichtstimmungen vorherrschten, bestimmt 2018 entsättigtes Graubraun die Bilder. Aus einem kurzen, einheitlichen Film wurde ein 2,5-Stunden-Monster mit sechs Kapiteln und Epilog. Das mystische Traum-Freiburg weicht dem historisch eindeutig verorteten Berlin. Fast naive Schaulust ergibt sich Ernst und Formstrenge. Damit ist Guadagninos Horror-Drama sicherlich eigenständig genug. Als reine Kopie wird es wohl niemand abstempeln. Aber reicht das, um zu überzeugen?

    Berlin im Jahre 1977: Der Terror der RAF erschüttert das geteilte Deutschland. Die junge Amerikanerin Susie Bannion (Dakota Johnson) reist in die Stadt, um sich in der berühmten Ballettschule Marcos Dance Academy einzuschreiben. Schulleiterin Madame Blanc (Tilda Swinton) erkennt ihr natürliches Talent sofort. Doch irgendetwas geht hier nicht mit rechten Dingen zu. Susies Platz ist nur frei geworden, weil ihre Vorgängerin Patrica (Chloë Grace Moretz) spurlos verschwunden ist. Zuletzt gesehen hat sie der alternde Witwer und Psychotherapeut Dr. Josef Klemperer (ebenfalls Tilda Swinton mit Penis-Prothese). Schritt für Schritt offenbart sich ein düsteres Geheimnis…

    Wirklich gruselig ist Guadagninos Horrorfilm nur selten, über lange Strecken ist „Suspiria“ eher ein finsteres Drama. Auf klassische Jump-Scares wird zum Glück weitestgehend verzichtet. Stattdessen wird eine bedrückende Grundstimmung aufgebaut. Auf den Straßen herrscht Terror, in den Köpfen auch. Alle Fernseh- und Radiosender berichten von der Entführung des Flugzeugs Landshut durch palästinensische Geiselnehmer. In einer Straße in der Nähe von Susies Wohnheim explodiert eine Bombe. Die junge Tänzerin wird von Albträumen heimgesucht, die sich aus anfangs schwer greifbaren Schreckensbildern zusammensetzen. Die biedere Farbpalette trägt zur deprimierenden Atmosphäre bei. Die Bundesrepublik sah selten trostloser aus.

    Auch die Regie von Guadagnino trägt dazu bei. Der Italiener wählt wie so oft eine distanzierte, etwas unterkühlte Perspektive auf das Geschehen. Das passt zu seiner Version von „Suspiria“ und der Kälte des „Deutschen Herbst“. Außerdem werden so die dynamischeren Einstellungen, die mehr Bewegung enthalten oder unmittelbar die Perspektive einer Figur annehmen, besonders hervorgehoben. Bis auf wenige Ausnahmen kommen solche immer nur dann vor, wenn gerade Tanz und/oder Gewalt gezeigt werden. Der Kontrast zwischen dem sonst so bedächtigen Erzählen und diesen Spitzen macht sie besonders effektiv. Auch das schrille, kratzende und dröhnende Sounddesign tut sein Übriges.

    Weniger gelungen sind Teile der Musik. Thom Yorke, der Sänger der Band Radiohead, zeichnet sich für den Soundtrack des Films verantwortlich. Der Brite ist zweifellos ein origineller Musiker und seine Stücke sind durchaus einnehmend. Leider passen sie nicht im Geringsten in Guadagninos Film. Die poppigen Balladen nehmen einigen Szenen ihre bedrohliche oder sogar verstörende Atmosphäre. Sie wirken wie Fremdkörper. Gerade im ansonsten sehr eindrucksvollen Finale des Films stören sie ungemein. Als hätte ein Fan diese Passagen für seinen YouTube-Kanal nachbearbeitet.

    Guadagnino Filme hatten schon immer ein politisches Hintergrundrauschen. In „Call Me By Your Name“ wurde beim Frühstück über Zeitgeschehen diskutiert, in alten Höfen hingen noch Porträts von Benito Mussolini. „A Bigger Splash“ erzählt seine Thriller-Geschichte vor der Kulisse der Flüchtlingskrise. Mit seiner neusten Veröffentlichung wird der Regisseur direkter. Man erkennt seine Ambition, mehr als „nur“ einen guten Horrorstreifen zu drehen. Der Film etabliert eine umfassende Mythologie, wie Argento sie erst in den „Suspiria“-Nachfolgern „Inferno“ und „The Third Mother“ (die drei Teile bilden gemeinsam die Mütter-Trilogie) entwickelte. Die Frauen der Schule sind Teil von etwas Größerem. Guadagnino will sich dadurch mit großen Ideen und Fragestellungen beschäftigen. Mit Weltgeschichte.

    Dabei gehen Form und Inhalt Hand in Hand. Proben und Aufführungen von Tanzchoreographien nehmen einen erheblichen Teil der Laufzeit ein. Die Bewegungen der Tänzerinnen sind ruckhaft und zuckend, als würden sie gewalttätig von unsichtbaren Fäden fortgerissen. Sie erinnern an ruppig geführte menschliche Marionetten. Dadurch spiegeln sie das große Thema des Films wider. Es geht um Massenhypnose. Um Verführung, Fremdherrschaft und Verantwortung. Und um persönliche und kollektive Schuld. Nicht umsonst trägt das Ballett, das die Schülerinnen einstudieren sollen, den Titel „Volk“. Filmisch wird all das in der Montage abgebildet. Mehrfach werden so psychologische und übernatürliche Verbindungen gezeigt. Eine Frau weint, ein Schnitt, eine andere Frau weint. Die Tränen der ersten führen zu den Tränen der zweiten. Tanzbewegungen werden vorgemacht und dann übernommen - manchmal auch unfreiwillig.

    Das Thema erklärt die historische Einordnung des Films. Die Terroristen der RAF waren unter anderem von dem Wunsch beseelt, das deutsche Volk an seine Schuld zu erinnern. Hans Martin Schleyer wurde nicht nur entführt, weil er Vorsitzender des deutschen Arbeitgeberverbands war. Der ehemalige SS-Offizier war eine Symbolfigur für das Fortbestehen einer alten Ordnung. Eine wichtige Entscheidung im Film betrifft die Entscheidung zwischen Vergessen und dem Leben mit einer schweren Schuld. Der Psychotherapeut Josef Klemperer ist eine typische Horrorfilm-Figur. Er sucht nach Antworten und versucht dem Übernatürlichen mit rationalen Methoden beizukommen. Gleichzeitig ist seine Mission aber auch die Vergangenheitsbewältigung: Er ist auf der Suche nach seiner Ehefrau Anke, die er im Chaos des Zweiten Weltkriegs aus den Augen verloren hat.

    All diese Elemente sind sehr interessant, aber leider auch sehr offensichtlich. Der Schrecken entspringt dem Verdrängten. Mit Sätzen wie „Wir brauchen Schuld und Scham“ erklärt sich der Film zu sehr selbst. Das wäre eigentlich nicht nötig. „Suspiria“ traut seinem Zuschauer zu wenig zu. Horrorfilme sind oft gerade dann besonders mitreißend, wenn sie vom Fremden und Unbekannten erzählen. Für den Zuschauer ist ein unerklärliches Monster meist gruseliger als eine erklärte Metapher.

    Fazit: Luca Guadagnino präsentiert mit „Suspiria” einen recht verkopften Horrorfilm. Viele Szenen und Ideen sind bemerkenswert, sie werden lange in Erinnerung bleiben. Dasselbe gilt für die Schauspieler. Andere Elemente misslingen. Wünschenswert wäre gewesen, den Mysterien mehr Raum zu lassen. So verklärt sich der Schrecken fast selbst. Wobei es natürlich perfekt zum Thema passt: Wie eine Marionette wird der Zuschauer zu genau den Ideen gezogen, die den Regisseur reizen. Vielleicht muss ein Film über Manipulation immer auch sein Publikum manipulieren.

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