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    Nosferatu – Phantom der Nacht
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Nosferatu – Phantom der Nacht
    Von Carsten Baumgardt

    1978 wagte sich der in den 70er Jahren zum neuen deutschen Star des internationalen Autorenkinos aufgestiegene Münchner Filmemacher Werner Herzog an eine Hommage an den expressionistischen Stummfilmklassiker Nosferatu, eine Symphonie des Grauens von Friedrich Wilhelm Murnau aus dem Jahr 1922. Sein „Nosferatu – Das Phantom der Nacht“ bezieht sich dabei nur lose auf Bram Stoker's Dracula und zitiert Murnau sehr gezielt, bleibt aber in seiner Umsetzung eigenständig. Herzogs optisch visionäre Interpretation glänzt mit einer hochgradig stilisierten Inszenierung und einem grandios auftrumpfenden Klaus Kinski als Titelfigur.

    Im Wismar der Biedermeier-Zeit bekommt Jonathan Harker (Bruno Ganz) von seinem Vorgesetzten, dem Makler Renfield (Roland Topor), einen heiklen Auftrag. Sein Kunde Graf Dracula (Klaus Kinski) möchte in Wismar ein Anwesen erwerben. Harker soll ins ferne Transylvanien reisen, um ihm ein Objekt zum Kauf anzubieten. Seine böse Vorahnung täuscht Harker nicht. Der mysteriöse Graf, der sich als Vampir entpuppt, lässt Harker in seinem Schloss nicht mehr aus den Fängen und verwandelt ihn durch einen Biss ebenfalls in einen Untoten. Angezogen durch ein Medaillon von Harkers Frau Lucy (Isabelle Adjani) macht sich Dracula per Schiff auf den langen Weg nach Wismar. Harker, den er eingeschlossen zurücklässt, kann sich jedoch befreien und versucht, den Grafen aufzuhalten und seine Frau zu retten. Als Harker völlig apathisch zuhause eintrifft, treibt Dracula schon längst sein Unwesen und bringt Tod über die Stadt. Lucy durchschaut als einzige den Mythos des Vampirs und sucht Hilfe bei dem Arzt Dr. Van Helsing (Walter Ladengast)...

    Als sich Werner Herzog an die Umsetzung von „Nosferatu – Das Phantom der Nacht“ machte, hatte er klare Vorstellungen von seiner Neuversion, die keine Eins-zu-Eins-Kopie des Murnau-Klassikers, sondern im Kern völlig eigenständig sein sollte. So zitiert Herzog in der zweiten Zusammenarbeit mit seinem Alter Ego Klaus Kinski (daneben: Aguirre - Der Zorn Gottes, Woyzeck, Fitzcarraldo, Cobra Verde) Murnau in einigen Passagen sehr präszise, gibt seinem Vampir Nosferatu aber einen eigenen Grundton. Mit seinem pessimistischen Ende distanziert er sich merklich von Murnau und Stoker. Zudem tritt das Pestmotiv bei Herzog stärker in den Vordergrund. Graf Dracula ist in diesem Fall keine reine Bestie, sondern eine tieftraurige Figur, die daran leidet, nicht sterben zu können. „Der Tod ist nicht alles. Es gibt Schlimmeres“, sagt Kinski an einer Stelle. Das Leben ist gemeint. Denn „sterben ist grausam für den Ahnungslosen“. Die Unfähigkeit, Liebe zu empfinden, bereitet Dracula unsäglichen Schmerz.

    In Kinski findet Herzog wieder einmal seinen kongenialen Schauspieler für den Nosferatu. Herzog: „Wenn der Kinski das nicht gemacht hätte, hätte ich den Film nicht gedreht." (Gong, 1983). Im Wissen um die eindrucksvolle Wirkung Kinskis nahm er auch dessen obligatorischen Tobsuchtsanfälle in Kauf, obwohl diese in anderen Produktionen weitaus ausgeprägter waren (Herzog: „Er war bei den Dreharbeiten sehr lieb, sehr handzahm und hat mich immer verteidigt"). Bei der Arbeit vor der Kamera zeigte sich der 1991 verstorbene Kinski diszipliniert wie selten. Er ließ sogar die tägliche, vierstündige Prozedur der Maske ohne Murren über sich ergehen. Nicht ohne Grund. Kinski 1979 in einem Cinema-Interview: „Nosferatu, das bin ich. Ich war nie ein Schauspieler, der eine Rolle nur eben spielte. Das, was ich darstelle, ist auch in mir. Es ist ein Schrei nach Liebe, der Ausdruck der Verzweiflung oder der Hoffnung. Gefühle also, die jeder hat, bringe ich konzentriert zum Ausdruck. Insofern bin ich selbst Nosferatu.“ Obwohl Kinski insgesamt nur rund 17 von 107 Leinwandminuten zu sehen ist, beherrscht er den Film mit seiner unglaublichen Präsenz vollkommen. Unter der dicken Maske kann er nur über das Spiel seiner Augen, Hände und seines Mundes agieren. Dabei leistet er wieder Großartiges, was ihm den Deutschen Filmpreis in Gold einbrachte. Kinski wirkt bedrohlich und tieftraurig zugleich. Er sehnt sich nach dem Tod und ruft Mitleid hervor. Herzog war der einzige, der Kinskis volles schauspielerisches Potenzial auf die Leinwand bringen konnte. Und in „Nosferatu“ dankte er es ihm noch. Kinski über Herzog: „Er ist das einzige Genie, mit dem ich je zusammengearbeitet habe." Später zerstritten sich die beiden, sodass ihre Kooperation 1987 nach Cobra Verde“ – und fünf gemeinsamen Filmen – endete. In seiner wundervollen Hommage Mein liebster Feind arbeitete Herzog 1999 die Hassliebe zu seinem großen Star in versöhnlichem Ton auf.

    In seiner ersten internationalen Großproduktion, die mit einem für damalige Verhältnisse recht beachtlichen Budget von 1,3 Millionen Euro an Originalschauplätzen in Deutschland (Garmisch, Lübeck), den Niederlanden (Delft imitiert Wismar), Tschechien und der Slowakei gedreht wurde, kann Herzog mit Bruno Ganz und Isabelle Adjani erstmals auch internationale Stars aufbieten. Der Schweizer Ganz brilliert in der Rolle des Jonathan Harker mit einer ausdrucksstarken Leistung, die in perfekter Harmonie zu Kinski steht. Isabelle Adjani strahlt als Lucy Harker genug die Fragilität aus, die dem Stoff angemessen ist. In seiner Inszenierung wählt Herzog einen eigenwilligen Stil der Bedächtigkeit, den er konsequent durchhält - was ihm von einem Teil der Kritiker vorgehalten wurde. Lange, fast hypnotische Landschaftstableaus (Kamera: Jörg Schmidt-Reitwein) unterlegt er mit Musik seines Hauskomponisten Florian Fricke (alias Popol Vuh) sowie klassischen Motiven von Richard Wagner (Rheingold) und Charles Gounod (Sanctus). In Verbindung mit der nur als visionär einzustufenden Ausleuchtung der Szenerie entfaltet „Nosferatu“ eine magische Anziehungskraft der Bilder, die wie sorgsam durchkomponierte filmische Interpretationen expressionistischer Gemälde wirken. Die brillante, detailbesessene Ausstattung von Henning von Gierke vervollständigt diesen Eindruck. Inhaltlich ist Herzog um eine eigene Linie bemüht, orientiert sich aber auch am klassischen Genrefilm, den er sorgsam zitiert. Darunter mischen sich immer wiederkehrende Motive Herzogs. Die Einbringung von Landkarten, die ihn so faszinieren (später in „Fitzcarraldo“ zu sehen) oder die reißenden Fluten eines Flusses (aus „Aguirre“) zum Beispiel.

    Mit „Nosferatu“ feierte Herzog nicht nur zu seinem damaligen Start – besonders in Frankreich und den USA – einen künstlerischen Triumph. Als der Film 2001 in den USA auf DVD veröffentlicht wurde, toppte er zwei Wochen lang die Verkaufs-Charts - vor dem hollywood’schen Weltuntergangs-Reißer Armageddon. In wenigen Wochen wurden sensationelle 300.000 Exemplare an ein vorwiegend junges Publikum gebracht, was Herzog heute noch gleichermaßen verwundert wie erfreut... „All my films come from pain, not from pleasure“, sagte Herzog einmal. Eindringlicher als bei „Nosferatu“ war dies nie zu spüren. In seiner ihm eigenen Bescheidenheit meinte der sympathische Exzentriker einst: „Dieser neue ‚Nosferatu’ kann in den kommenden 50 Jahren vielleicht erreicht, nicht aber übertroffen werden.“ Nicht zuletzt dieses Selbstbewusstsein, seine Kritiker nennen es wohl Arroganz, hat dem Münchner stets eine leidenschaftlich gespaltene Presse beschert. Doch ein Vierteljahrhundert nach Entstehung des Films konnte noch keiner den Gegenbeweis zu Herzogs kühner Prognose antreten...

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