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    Dr. Alemán
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,5
    enttäuschend
    Dr. Alemán
    Von Christian Schön

    In den 1950er Jahren etablierte sich im wirtschaftspolitischen Diskurs der Begriff „Dritte Welt“. Seitdem haben sich zahlreiche Institutionen firmiert, um in diesen Regionen Unterstützungsarbeit zu leisten. Auf dem medizinischen Sektor sind die „Ärzte ohne Grenzen“ die wohl bekannteste Organisation. In diese Konstellation eingebettet, erzählt Tom Schreibers „Dr. Alemán“ die Geschichte des angehenden Arztes Marc, der sein Praxisjahr in der kolumbianischen Stadt Cali absolviert. Dort sieht er sich mit einer fremden Welt konfrontiert, die ihre eigenen Gesetze hat. Doch Marc ist bereit, ihr trotz aller Widrigkeiten die Stirn zu bieten – und scheitert. Ebenso wie der junge Arzt strauchelt auch der Film. Regisseur Schreiber gelingt es einfach nicht, die fremde, undurchsichtige Welt glaubhaft rüberzubringen, weshalb die moderne Abenteuergeschichte unterkühlt und langweilig wirkt.

    Jungspund Marc (August Diehl) hat beschlossen, sein Praxisjahr in Kolumbien zu absolvieren. In der Stadt Cali ist der Krankenhausalltag in erster Linie von Schussverletzungen geprägt. Gerade die Bande des berüchtigten Killers El Juez (Victor Villegas) sorgt für besonders viele Opfer. Das Markenzeichen der Gruppe sind Kugeln mit einem eingeritzten „J“, die Marc immer wieder aus seinen schwerverletzten Patienten herausholt. Der angehende Arzt versucht vom ersten Tag an, gegen den Rat seiner Kollegen mit den Einwohnern von Cali direkt in Kontakt zu kommen. So begegnet er Dealern, die ihn mit Kokain versorgen, schönen Frauen, die Sex mit ihm wollen, und flüchtigen Bekannten, die seine Freizeit etwas aufregender gestalten. All diese Aktivitäten werden von Bandenführer Juez genauestens verfolgt, denn er plant, den jungen Mediziner zu seinem persönlichen Leibarzt zu machen. Als Marc bemerkt, dass er immer tiefer in Juez‘ Machenschaften hineingezogen wird, fürchtet er vor allem um das Leben der Kioskbesitzerin Wanda (Marleyda Soto), die ihm inzwischen sehr ans Herz gewachsen ist…

    Die Abhängigkeiten zwischen der westlichen und der Dritten Welt haben sich inzwischen zu einem Thema gemausert, das vielen modernen Erzählungen zu Grunde liegt. Heiß diskutiert wurde zuletzt beispielsweise Michel Houellebecqs Roman „Plattform“, der bald vom Autor selbst als Film umgesetzt wird. In diesem wird schonungslos offen gelegt, was den Konsumenten der Industrie-Nationen mit ihren Kreditkarten in der Dritten Welt alles möglich ist. Alle erdenklichen Vergnügungen, die in der westlichen Kultur allenfalls unter vorgehaltener Hand Erwähnung finden, kann man dort ohne Probleme ausleben – zumindest, solange man eine American Express besitzt. In „Dr. Alemán“ finden sich wesentliche Elemente dieses Erzählmusters wieder. Nicht nur, dass Marc sich sexuellen Ausschweifungen hingibt und das preisgünstige Kokain in vollen Zügen geniest, der junge, westliche Arzt nimmt in Calis Straßen sogar eine beinahe gottgleiche Stellung ein. Denn schon von Berufswegen entscheidet er im Ernstfall über Leben und Tod.

    Genügend kritisches Potential ist also vorhanden. Ein idealistischer Westler kommt in ein Krisengebiet, um den Menschen zu helfen, verliert sich dann jedoch in seiner verführerischen Rolle des gottgleichen Messias. Häufig geht es Helfern halt nicht nur darum, anderen Menschen Gutes zu tun, sondern auch darum, sich selbst moralisch über andere zu erheben. Leider findet Tom Schneider keine adäquate Form, um diesen spannenden Ansatz ordentlich zu Ende zu bringen. Nach etwa der Hälfte des Films kippt die Handlung, statt in einem Drama wähnt sich der Zuschauer plötzlich in einem überhöhten, kolportagehaften Thriller, der dem eigentlichen Konflikt jegliche Glaubhaftigkeit entreißt. Ebenso unglaubwürdig – beziehungsweise platt – werden die Bandenstrukturen dargestellt. Dass Bandenkriege eigentlich eine spannende Folie für großes Kino liefern können, haben Filme wie Fernando Meirelles City Of God und Martin Scorseses Gangs Of New York hinlänglich bewiesen. In „Dr. Alemán“ stellt die Juez-Gang jedoch nur ein Mittel zum Zweck dar. Damit der Frankfurter Marc auch ein wenig verruchtes Abenteuer erlebt, ist halt ein Bösewicht von Nöten. Dass dieser dann arg klischeehaft ausfällt, weshalb er auch nie wirkliche Gefahr ausstrahlt, ist offensichtlich egal.

    August Diehl (Lichter, Freischwimmer, 23) ist aus der Riege der Schauspieler in „Dr. Alemán“ wohl die größte Enttäuschung. Über weite Strecken variiert er nur zwei Gesichtsausdrücke: Zu Beginn vornehmlich ein verhaltenes Lächeln, das den Zauber der Fremde genießt und das Unvorhersehbare herbeisehnt. Später dann eine verstörte Fratze, die mit offenem Mund und gerunzelter Stirn zum Ausdruck bringt, dass Marc die Welt um sich herum endgültig nicht mehr versteht. Sekundenlange, starre Einstellungen zeigen diese gequälte Mimik des Jungmediziners, ohne dass wirklich deutlich wird, was in ihm vorgeht. Auch die angedeutete Liebesgeschichte zwischen Marc und Wanda ist aufgrund dieser angestrengten Uneindeutigkeit nur schwer nachzuvollziehen. Für die Dramaturgie ist die Liebelei zwar unerlässlich, doch wirken die Gefühle zwischen Marc und Wanda schlussendlich nicht glaubhafter als die zwischen Marc und seinen Bettgeschichten.

    Sträflich vernachlässigt Regisseur Schneider auch die formale Seite. Die Stadt Cali mit ihren engen Gassen und dem geschäftigen Treiben auf den Straßen bietet eigentlich einen perfekten Hintergrund. Und zumindest Olaf Hirschberger, der für Schneider bereits bei „Narren“ hinter der Kamera stand, hat sich diesbezüglich nichts vorzuwerfen. Die meisten Aufnahmen sind atmosphärisch gut gelungen und handwerklich grundsolide. Umso verwerflicher ist es also, dass die Stimmung an vielen Stellen vom unpassenden Soundtrack völlig zerstört wird. Ohne jedes Gefühl für den Gehalt der Szenen wurde auch über tragische Momente eine fröhliche, südländische Gitarrenmusik gelegt. Andererseits begleiten stampfende, treibende Beats Sequenzen, in denen eigentlich kaum etwas Wesentliches passiert.

    Fazit: „Dr. Alemán“ erzählt die Geschichte eines Idealisten, der sich selbst in dieser Rolle irgendwann einfach zu gut gefällt. Leider zieht Regisseur Schreiber dieses Konzept nicht bis zum Schluss konsequent durch, sondern verliert sich schlussendlich in einer klischeebeladenden Thrillerhandlung, die dem Film jeglicher Aussagekraft beraubt.

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