Der Spoilerwahn im Internet nimmt immer groteskere Züge an. Inzwischen kann man nicht einmal mehr über Wendungen von jahrzehntealten Klassikern diskutieren, ohne dass in den Kommentaren wüste Beschimpfungen auf einen herniederprasseln. Besonders absurd daran: Meist sind es Leser, die den Film selbst gesehen haben und somit gar nicht von den Spoilern betroffen sind, die besonders empört tun. Aber selbst ich als erklärter Gegner des Spoilerterrors, der nicht das geringste Problem damit hätte, an dieser Stelle das legendäre Rosebud-Geheimnis aus „Citizen Kane" vor der versammelten FILMSTARTS-Community zu lüften, gebe euch nachdrücklich folgenden Rat: Falls ihr Drew Goddards Horrorfilm „The Cabin in the Woods" noch nicht gesehen habt, schaut ihn euch unbedingt an, aber lest auf keinen Fall weiter! Denn selbst wer auch nur die ersten Sätze der Inhaltsangabe überfliegt, beraubt sich damit der aufregendsten (Meta-)Horrorerfahrung seit Wes Cravens moderner Klassiker „Scream" 1996 den Blick des Publikums aufs Horrorgenre für immer veränderte.
In einer augenscheinlich von der US-Regierung betriebenen Kommandozentrale beginnt für Sitterson (Richard Jenkins) und Hadley (Bradley Whitford) die heiße Phase ihrer aktuellen Mission. Die beiden Beamten überwachen mit versteckten Kameras die Studenten Dana (Kristen Connolly), Curt (Chris Hemsworth), Jules (Anna Hutchison), Holden (Jesse Williams) und den Kiffer Marty (Fran Kranz), die gemeinsam ein Wochenende in einer abgelegenen Hütte im Wald verbringen. Doch die Kittelträger in der Zentrale begnügen sich nicht damit, nur zu beobachten, sie nehmen auf das Geschehen in der Hütte auch direkt Einfluss: Als sich Jules etwa weigert, mit ihrem Freund Curt Sex zu haben, weil ihr zu kalt ist, regulieren die Überwacher nicht nur die Temperatur ein paar Grad nach oben, sie versprühen auch einen aphrodisierenden Pheromon-Nebel. Und als eine Familie von Zombies aus ihrem Grab aufersteht und über die Studenten herfällt, freuen sich die Jungs von der Hausmeisterei über einen prallgefüllten Jackpot, denn sie haben beim behördeninternen Wettspiel statt auf Einhörner oder Wassermänner auf ebendiese Untoten gesetzt...
Normalerweise ist es ein untrügliches Zeichen dafür, dass ein Film ziemlicher Müll ist, wenn er nach seiner Fertigstellung erst einmal in den Giftschrank des Studios wandert, statt direkt in die Kinos zu kommen. Aber beim bereits 2009 (!) abgedrehten „The Cabin in the Woods" liegt die Sache etwas anders: Das lange Warten hat nichts mit der Qualität zu tun, sondern allein damit, dass das Studio nicht die geringste Idee hatte, wie es den Film vermarkten soll. „The Cabin in the Woods" ist einer der außergewöhnlichsten und intelligentesten Horrorfilme aller Zeiten, aber wenn man dem potentiellen Publikum all die Wendungen, die den Film zu etwas derart Besonderem machen, schon im Trailer unter die Nase reibt, verdirbt man die Überraschung. Bis zum US-Kinostart wurde aus dieser Zwickmühle kein wirklicher Ausweg gefunden, weshalb der Film vor allem mit dem Namen von Produzent und Autor Joss Whedon im Fahrwasser von dessen Überblockbuster „The Avengers" beworben wurde, was sich an den Kinokassen allerdings nur bedingt auszahlte. Trotzdem sind wir uns sicher: Wenn sich erst einmal rumspricht, was für ein außergewöhnlicher Film „The Cabin in the Woods" wirklich ist, wird er spätestens auf Blu-ray zum Kulthit avancieren!
Drew Goddard (Drehbuchautor von „Lost" und „Cloverfield") lässt sein Publikum nie in dem Glauben, es mit einem herkömmlichen Slasher-Horrorfilm zu tun zu haben. Stattdessen zeigt er gleich in der allerersten Einstellung die Spielleiter Sitterson und Hadley bei einer banalen Alltagsdiskussion. Aber auch wenn der Debütregisseur von Beginn an mit offenen Karten spielt, lassen sich die weiteren Wendungen unmöglich voraussehen. Zwar ist schnell klar, dass hier jemand oder etwas geopfert werden soll. Außerdem ist es aus irgendeinem Grund wichtig, dass die Geschehnisse in der Hütte nach den üblichen Regeln des Horrorgenres (die Jungfrau bleibt am Ende übrig etc.) ablaufen. Aber die genauen Hintergründe bleiben lange im Verborgenen, bis in einem coolen Kurzauftritt ausgerechnet „Alien"-Amazone Sigourney Weaver Licht ins Dunkel bringt.
Obwohl die Autoren immer weitere Asse aus dem Ärmel ziehen und das Treiben immer unglaublichere Züge annimmt, wirkt der Film dabei nie beliebig, sondern von vorne bis hinten perfekt durchdacht. Außerdem ist der Film – Metaebene hin oder her – unfassbar unterhaltsam. Vor allem wie der Überlebenskampf der Studenten mit der gänzlich alltäglichen Büroarbeit im Kontrollzentrum kontrastiert wird, ist ebenso ironisch wie erschreckend: Wenn die Kamera während einer blutigen Zombieattacke rauszoomt und man einen der Kontrolleure sieht, der sich das Treiben auf einem Bildschirm reinzieht, während er gemütlich seinen Kaffee schlürft, ist das nicht nur ein brillanter atmosphärischer Bruch, dem Zuschauer wird auch sein eigener Voyeurismus vor Augen geführt.
Richtig verrückt und damit auch richtig genial wird „The Cabin in the Woods", wenn im letzten Drittel die beiden Welten der Kontrolleure und der Kontrollierten kollidieren. Welche illustren Kreaturen aus der Geschichte des Horrorfilms die Macher im großen Finale alle herbeizitieren, wurde vorher schon clever angedeutet, aber diese Monster alle auf einem Haufen zu sehen, lässt das Herz jedes Fans Purzelbäume schlagen. Und im Gegensatz zu „Lost" liefert Drew Goddard diesmal eine zwar fantastische, aber bis ins Detail stimmige und alles erklärende Auflösung, die zudem das typische Horrorfilmmotiv der in der letzten Einstellung aus dem Boden hervorschnellenden Hand (erstmals von Brian De Palma in „Carrie" verwendet, später etliche Male kopiert) auf eine vollkommen neue Ebene hievt.
Fazit: „The Cabin in the Woods" ist so anders, so intelligent und so unterhaltsam, dass ihn sich nicht nur Horrorfilm-Fans auf keinen Fall entgehen lassen sollten!