Für einen Großteil des deutschen Publikums gilt Jackie Chan immer noch als der Action-Clown schlechthin. Sein Name wird mit an den Slapstick der Stummfilmära angelegten Martial-Arts-Kaspereien und halsbrecherischen, mit viel Humor aufgepeppten Stunts in Verbindung gebracht. Nicht umsonst lockte er in Deutschland – wenn man seine Nebenrolle in den „Auf dem Highway ist die Hölle los“-Filmen ausklammert – mit der Rush Hour-Trilogie die meisten Zuschauer in die Kinos. Auch sonst waren es eher Komödien wie Mr. Nice Guy, „Shang-High Noon“, The Tuxedo, Shanghai Knights oder vor allem In 80 Tagen um die Welt, mit denen Chan an den hiesigen Kinokassen noch am ehesten punkten konnte. Doch der Action-Star, dessen 100. Film bald das Licht der Leinwand erblicken wird, hat zwischendurch auch immer wieder ernstere Auftritte eingestreut. New Police Story kompensierte den fehlenden Humor zuletzt zwar mit reichlich Action, blieb im Westen aber trotzdem deutlich hinter seinen Komödienerfolgen zurück. Mit „Stadt der Gewalt“ weicht Jackie Chan von seinem üblichen Stil nun soweit ab wie noch nie. Das brutale Drama über chinesische Immigranten in Japan bietet weder Komik noch akrobatische Action. Inszenatorisch angelehnt an japanische Yakuza-Filme der 70er Jahre, ist der Film schonungslos ehrlich, niederschmetternd brutal und - vielleicht gerade deshalb – Jackie Chans bester Film seit langem.
Anfang der 90er flieht der Chinese Steelhead (Jackie Chan) nach Japan, weil auch seine Ex-Verlobte Xiu-Xiu (Xu Jinglei) dort ein neues Leben angefangen hat. Er landet in Tokios dreckigem Vergnügungsviertel Shinjuku, wo auch andere illegale Exil-Chinesen wie Jie (Daniel Wu) oder der dicke Old Ghost (Lam Suet) mehr schlecht als recht leben. Mit diversen Knochenjobs hält man sich mühsam über Wasser, immer auf der Flucht vor der Einwanderungspolizei um Inspektor Kitano (Naoto Takenaka), der Steelhead einmal laufen lässt, weil ihm dieser das Leben gerettet hat. Doch dann bekommt der schüchterne Jie Ärger mit dem Kleingangster Gao (Jack Kao), der ihn verprügeln lässt, weil er sich mit seiner Tochter angefreundet hat. Steelhead organisiert den chinesischen Widerstand und wird mit seinen Leuten selbst im kleinkriminellen Milieu tätig. Schließlich trifft er auch Xiu-Xiu wieder, die nun Yuko heißt und den Yakuza-Boss Toshinari Eguchi (Masaya Kato) geehelicht hat. Als Steelhead Eguchi vor einem Mordanschlag bewahrt, lässt dieser ihn und seine chinesischen Landsmänner gegen den Widerstand seiner eigenen Leute an seinen Geschäften teilhaben. Fortan wird Steelhead zunehmend in einen Strudel aus Bandenkriegen und Verrat gezogen, aus dem es kein Entrinnen mehr gibt…
Jackie Chan spielt in seinen Filmen immerzu aufrichtige, rechtschaffene Charaktere. Ausnahmen sind selten und finden sich ausnahmslos in den 70er Jahren, als er in Filmen wie „Rumble in Hong Kong - Police Woman“ oder „Tiger in der Todesarena“ noch Antagonistenrollen übernahm. Zuletzt spielte er in Rob-B-Hood zwar einen Dieb, aber der war herzensgut und am Ende geläutert. Bevor nun falsche Erwartungen aufkommen: Auch in „Stadt der Gewalt“ ist Chans Charakter inmitten von Korruption, Betrug, Mord und sinnloser Gewalt einer der ganz wenigen Guten. Steelhead will ehrlich sein und sucht nach legalen Möglichkeiten, um zu überleben. Aber seine Figur ist dennoch ungewohnt ambivalent, immerhin schließt er einen Pakt mit dem organisierten Verbrechen und muss schlussendlich erkennen, dass er Dinge in Bewegung gesetzt hat, die er nicht mehr aufhalten kann. Schlussendlich trägt er die Schuld am Leid und Tod vieler seiner Freunde.
„Stadt der Gewalt“ ist schonungslos und brutal. Deutlich sichtbar wird eine Hand abgetrennt, Menschen werden gefoltert und verstümmelt. In seinem Herkunftsland China verweigerten die Zensoren der 15 Millionen Dollar teuren Produktion aufgrund ihrer Brutalität - und sicherlich auch wegen der politischen Untertöne - jegliche Freigabe. Am Rande des Fantasy Filmfestes, bei dem der Film seine Deutschlandpremiere feierte, war zudem zu vernehmen, dass die kommende hiesige DVD-Veröffentlichung um ein paar Minuten gekürzt erscheinen wird. Der Grundtenor wird sich jedoch nicht heraus kürzen lassen. „Stadt der Gewalt“ ist - gekleidet in das Setting eines Thrillers - ein niederschmetterndes Beispiel der verfehlten japanischen Immigrationspolitik der vergangenen zehn Jahre. Er steht damit in direkter Nachfolge zu Kenji Fukasakus Battles Without Honor And Humanity, der - ebenfalls in der Form eines brutalen Thrillers - nicht nur das Yakusa-Autoritätssystem demaskierte, sondern auch das Leben im Nachkriegsjapan schilderte.
Jackie Chan steht klar im Mittelpunkt. Auf ihn ist der Film zugeschnitten, aber nicht ganz so extrem wie in seinen anderen Werken. Selten stand Chan der Brutalität und seinen Gegnern derart hilflos gegenüber. Es gibt keine wilden Moves, mit denen er seinen Feinden entkommt und nebenbei noch eine Handvoll von ihnen Schlafen schickt. Stattdessen prügelt er mit Stöcken und Macheten, versteckt sich und rennt um sein Leben. Chan meistert seine dramatische Rolle mit oftmals schmerzverzerrtem Gesicht und Bravour. Sogar einen Job als Auftragsmörder und eine freizügige Sexszene hat das Drehbuch für ihn vorgesehen. Dem Star zur Seite steht ein illustrer chinesisch-japanischer Cast. Besonders der eher als schauspielerisches Leichtgewicht, Model und Sänger bekannte Daniel Wu (The Banquet, One Nite In Mongkok) macht eine interessante Transformation vom schüchternen Kastanienverkäufer zum vollgekoksten Maniac durch, auch wenn die Kostümabteilung bei seiner Wandlung zum Gothic-Punk ein wenig zu dick aufträgt. Johnnie-To-Stammdarsteller Lam Suet (The Sparrow, Mad Detective, Breaking News) ist genauso wie die Charakterköpfe Naoto Takenaka (The Guys From Paradise, Tokyo!) und Jack Kao (God Man Dog, The Sniper) wie gewohnt eine sichere Bank. Und auch Jinglei Xu (The Warlords, Confession Of Pain) und Bingbing Fan (Flash Point, Battle Of Kingdoms) bringen mehr als nur ihr hübsches Äußeres in die Produktion ein.
Fazit: Mit „Stadt der Gewalt“ betritt Jackie Chan neues Terrain. Hardcore-Fans werden sich ebenso wie Kritiker seiner Clownerein verwundert die Augen reiben. Auch wenn der große finanzielle Erfolg bei einem derartigen Film unwahrscheinlich ist, bleibt die Hoffnung, dass sich Chan zukünftig häufiger an solche für ihn ungewohnten Stoffe heranwagen wird.