Vor einigen Jahren ging Marvel das Risiko ein, ein bis dahin vor allem in Independent-Kreisen gefeiertes Schauspiel-Enfant-terrible für die Hauptrolle eines Superhelden-Blockbusters zu besetzen. Ein Wagnis, das sich auf der ganzen Linie gelohnt hat: „Iron Man" spielte nicht nur allein in den USA mehr als das doppelte seines Budgets ein, sondern zählt dank der überragenden Leistung von Robert Downey Jr. neben „The Dark Knight" auch zu den besten Beiträgen der anhaltenden Flut an Comic-Verfilmungen. Nun hätte es leicht passieren können, dass Marvel denselben Fehler begeht wie Jerry Bruckheimer bei seinem „Fluch der Karibik"-Franchise. Nach dem Erfolg des ersten Teils wurden die beiden Fortsetzungen allein auf Johnny Depp zugeschnitten. Der torkelnde Pirat Jack Sparrow war zwar weiterhin ganz amüsant, aber an das Original reichten die Sequels nicht im Entferntesten heran. Regisseur Jon Favreau ist zum Glück ein wenig schlauer und verlässt sich bei „Iron Man 2" nicht nur auf seinen Star, selbst wenn Downey Jr. als arrogantester aller Superhelden dem Affen natürlich erneut ordentlich Zucker gibt.
Sechs Monate ist es her, dass Tony Stark (Robert Downey Jr.) auf einer Pressekonferenz verkündete, er sei Iron Man. Seither hat er im Alleingang für Weltfrieden gesorgt, wofür er sich auf öffentlichen Veranstaltungen gerne und ausdauernd feiern lässt. Doch es regen sich auch Widerstände. Senator Stern (Garry Shandling) ist es ein Dorn im Auge, dass sich ein Privatier und nicht etwas die US-Regierung im Besitz des mächtigsten Waffensystems auf dem Globus befindet. Vor dem Senat sitzt er einer Anhörung vor, deren Ziel es ist, Stark dazu zu verpflichten, seine Iron-Man-Rüstung an die Regierung zu übergeben. Dieser kontert mit dem Argument, dass die USA seine Rüstung gar nicht benötige. Schließlich verfüge ja auch keine feindliche Macht über eine ähnlich wirkungsvolle Technologie. Es müsse sich also niemand sorgen, Iron Man werde die Sache schon regeln. Doch da hat Stark die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Beim Formel-1-Grand-Prix in Monaco stellt sich plötzlich das Technologie-Genie Ivan Vanko alias „Whiplash" (Mickey Rourke) den Rennwagen in den Weg. Dabei trägt Vanko eine Rüstung, die der von Iron Man nicht zufällig sehr ähnelt. Zwar gelingt es Stark, den wilden Russen zu bändigen und hinter Gitter zu bringen, doch nun wächst der Druck auf ihn, sein Wissen an die Regierung herauszugeben, ins Unermessliche. Außerdem befreit der zwielichtige Waffenfabrikant und Stark-Konkurrent Justin Hammer (Sam Rockwell) Vanko aus seinem Verließ, um sich von diesem eine Rüstung basteln zu lassen, die der von Iron Man nicht nur ebenbürtig, sondern sogar überlegen ist...
Erste Teile von Superhelden-Franchises kranken oft an dem Problem, dass die Erzählung der Heldenwerdung den Plot ausbremst. Das beste Beispiel hierfür ist „X-Men", in dem Bryan Singer eine ganze Armada von Superhelden vorstellen musste, weshalb im Endeffekt für das eigentliche Abenteuer des Mutanten-Teams kaum noch Zeit blieb. Bei „Iron Man" war das anders. Schließlich zählen die Auftritte von Robert Downey Jr. als Pre-Iron-Man Tony Stark, in denen er als Playboy und Waffennarr in Sachen arrogantem Auftreten neue Standards setzte, zu den größten Stärken des Films. Wer nun aber fürchtet, in „Iron Man 2" auf diese Seite Starks verzichten zu müssen, der sei beruhigt. Auch nach seinem Outing ist Iron Man alles andere als ein Vorzeige-Superheld, der pflichtbewusst für Recht und Ordnung kämpft und sich dabei brav in Bescheidenheit übt. Ganz im Gegenteil: Tony Stark präsentiert sich auch in der Fortsetzung als exzentrischer Egomane, der seine Sekretärin (und spätere Chefin) Pepper Potts (Gwyneth Paltrow) zunehmend in den Wahnsinn treibt. Diesmal geht das sogar soweit, dass er Potts‘ geliebte Modern-Arts-Sammlung an die Pfadfinder verschenkt, um stattdessen Poster von Iron Man aufzuhängen, dabei mit Lebensweisheiten wie „Don't think, drink!" um sich schmeißt und schließlich sogar vor einer versammelten Partygesellschaft in seine Rüstung pinkelt.
Für einen allein wäre es wohl geradezu ein Ding der Unmöglichkeit, es mit der schauspielerischen Klasse von Robert Downey Jr. aufzunehmen. Deshalb haben die Macher womöglich gut daran getan, ihren ursprünglich angedachten Antagonisten - einen russischen Waffenhändler/Technik-Experten - aufzusplitten und die schauspielerische Last so auf zwei Schultern zu verteilen (auch wenn dies auf Kosten der Stringenz der Erzählung geschieht): Sam Rockwell („Moon") gibt Justin Hammer als Möchtegern-Tony-Stark, der zwar bei öffentlichen Auftritten genauso auf die Kacke haut wie sein Vorbild, dessen Sprüche aber nicht mit tosendem Applaus, sondern nur mit einem müden Lächeln quittiert werden. Ein geschickter Besetzungscoup: Dass Rockwell trotz aller Qualität nicht ganz an die Klasse von Downey Jr. heranreicht, ist durch die Story nicht nur gedeckt, sondern wird vom Skript sogar geradezu eingefordert. Ganz anders Mickey Rourke („Sin City"): Ähnlich wie in seiner Comeback-Rolle als abgehalfterter Ringer in Darren Aronofskys „The Wrestler" gelingt es ihm auch hier, seiner Figur mit nur wenigen Worten eine tiefe Tragik zu verleihen. Das geht sogar soweit, dass man zunächst gar nicht weiß, ob man tatsächlich dem arroganten Tony Stark, oder nicht doch lieber Ivan Vanko die Daumen drücken sollte.
Nur weil „Iron Man 2" die Zahl der Bösewichte verdoppelt, heißt das aber noch lange nicht, dass der Film in eine pompös-hirnlose Materialschlacht ausartet. Stattdessen gibt es im gesamten Verlauf der Handlung gerade einmal drei (!) Actionszenen. In den engen Straßenschluchten Monacos zerschneidet Whiplash die heranrasenden Formel-1-Boliden, als bestünden sie aus Butter. Auf seiner Geburtstagsparty trinkt Tony Stark einen über den Durst und liefert sich eine Rangelei mit Kumpel Rhodey (nach den Vertragsquerelen mit Terrence Howard hat nun Don Cheadle den Part übernommen), deren Kollateralschaden etwas über dem Schnitt einer normalen Kneipenschlägerei liegt, was aber nicht weiter verwundert, wenn man in Betracht zieht, dass die Kontrahenten beide hochgezüchtete High-Tech-Superrüstungen tragen. Und die finale Konfrontation zwischen Whiplash, Iron Man, Rhodey und Black Widow (Scarlett Johansson) protzt nicht nur mit bombastischen Schauwerten, sondern punktet auch mit einem extrem abwechslungsreichen Kampfverlauf. Was „Iron Man 2" also an Quantität fehlt, macht er mit seiner Qualität jedenfalls teilweise wieder wett.
Aufgrund der mit Bedacht eingesetzten Actionelemente bleibt „Iron Man 2" natürlich umso mehr Zeit für andere Dinge, wobei der Film eine Richtung einschlägt, die von der des ersten Teils doch ein wenig abweicht. Punktete „Iron Man" noch mit seiner locker-flockigen Art und massenhaft Humor, kommt das Sequel nun zumindest in Nuancen ernsthafter daher - eine Ernsthaftigkeit, der der Film aber nicht immer gerecht wird: Schließlich muss sich Tony Stark diesmal damit auseinandersetzen, dass der Elektrotransmitter in seiner Brust, der ihm seine Superkräfte verleiht, ihn zugleich auch vergiftet. Findet er nicht schnellstmöglich eine alternative Energiequelle, muss er sterben. Statt dem in jeder Situation überheblichen Stark gibt es in „Iron Man 2" deshalb auch Szenen, in denen er sich niedergeschlagen und nachdenklich präsentiert. Das verspricht keinen so überragenden Unterhaltungswert wie der Vorgänger, aber dafür eine konsequente Weiterentwicklung, die sich aber in „Iron Man 2" selbst noch nicht voll auszahlt, sondern wohl eher als Vorbereitung für zukünftige Entwicklungen gedacht ist.
Marvel ist aktuell schließlich schwer damit beschäftigt, den für 2012 angekündigten Megablockbuster „The Avengers" vorzubereiten, in dem gleich eine ganze Reihe von Marvel-Superhelden - von Iron Man über Thor und Captain America bis hin zum Unglaublichen Hulk - aufeinandertreffen sollen. In „Iron Man 2" nimmt der Vorlauf zu „The Avengers" nun mehr Platz ein als in allen Marvel-Filmen zuvor. Es gibt gleich zwei größere Nebenparts, deren Aufgabe es ist, den Bogen zu „The Avengers" zu spannen: Während Samuel L. Jackson („Pulp Fiction") als einäugiger „S.H.I.E.L.D."-Gründer und „Avengers"-Chef Nick Fury noch ein wenig blass bleibt und beim nächsten Mal unbedingt ein paar Gänge zuschalten sollte, erweist sich die Besetzung von Scarlett Johansson („Lost in Translation") als Natasha Romanoff alias „Black Widow" als Volltreffer. Nicht nur Tony Stark, auch das männliche Kinopublikum wird sie mit ihrem supersexy Lycra-Outfit und ihren stylischen Martial-Arts-Moves im Sturm für sich erobern. Als kleiner Gag am Rande wird zudem das Schild von Captain America als Heimwerkerutensil missbraucht und natürlich gibt es auch wieder eine für Marvel typische Nach-Abspann-Sequenz, in der die Leinwand-Niederkunft eines weiteren Superhelden vorweggenommen wird. Sitzenbleiben lohnt sich also.
Fazit: Es wäre vermessen gewesen zu erwarten, dass Jon Favreau im zweiten Anlauf noch einmal ein ebenso fulminanter Wurf wie „Iron Man" gelingen würde. Trotzdem ist „Iron Man 2" näher an den grandiosen Vorgänger herangekommen, als es viele Skeptiker vorab befürchtet hatten.
In einer früheren Version dieser Kritik hatte „Iron Man 2" noch 4 von 5 Sternen. Die ausführliche Begründung für die Änderung der Sternewertung könnt ihr in diesem Artikel nachlesen.