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    Die vierte Art
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,5
    enttäuschend
    Die vierte Art
    Von Robin Eichelsheimer

    1977 brachte Steven Spielberg den märchenhaften Science-Fiction-Film „Unheimliche Begegnung der dritten Art" in die Kinos, und faszinierte damit das Publikum in aller Welt. Bei dem Filmtitel bezog er sich auf das vom Wissenschaftler und Ufologen Josef Allen Hynek entwickelte Klassifizierungssystem für die Sichtung von UFOs. Demnach gilt als Nahbegegnung der ersten Art das bloße Sehen des Objekts und als zweite Art dessen physische Wechselwirkung mit der Umgebung (etwa Landeabdrücke oder elektromagnetische Störungen). Als Begegnung der dritten Art wird schließlich der (Sicht-)Kontakt mit den UFO-Insassen bezeichnet. Drehbuchautor und Regisseur Olatunde Osunsanmi macht mit seinem Sci-Fi-Horror „Die vierte Art" nun dort weiter, wo Hyneks Liste sowie Spielbergs Film aufhören, und greift bei der titelgebenden Erweiterung der Skala das sagenumwobene, pseudowissenschaftliche Phänomen der Entführung durch Außerirdische auf. Leider verschenkt der Filmemacher durch die anspruchslose Inszenierung und ein auf die Dauer nerviges Authentizitäts-Gehabe sein im Grunde durchaus reizvolles Thema. Da kann auch eine gut aufgelegte Milla Jovovich das Eisen nicht mehr aus dem Feuer holen.

    Irgendetwas scheint nicht zu stimmen in Nome, der entlegenen Kleinstadt im Westen Alaskas. Die seltsame Anhäufung von Morden und Suiziden sowie das unerklärliche Verschwinden etlicher Bewohner versetzt das Städtchen in Angst und Schrecken. Auch der Ehemann und Berufskollege von Psychologin Dr. Abbey Tyler (Milla Jovovich) kommt eines Tages unter mysteriösen Umständen ums Leben. Trotz dieses Traumas entscheidet sie sich, die Praxis ihres toten Mannes weiterzuführen. Bei den Sitzungen stellt sie fest, dass ihre Patienten etwas gemein haben: Allesamt leiden sie unter schlimmen Panikattacken und Schlafstörungen. Außerdem berichten sie unabhängig voneinander von einer weißen Eule, die sie immer wieder nachts heimsucht. Durch Hypnose will Dr. Tyler dem Mysterium auf die Spur kommen, doch nach einer Sitzung mit Patient Tommy (Corey Johnson) kommt es zu einem tödlichen Zwischenfall, für den Sheriff August (Will Patton) die Psychologin verantwortlich macht. Doch der wirkliche Horror beginnt für Dr. Tyler erst, als plötzlich ihre Tochter Ashley (Mia McKenna-Bruce) auf rätselhafte Weise von der Bildfläche verschwindet.

    Das Attribut „Basierend auf wahren Begebenheiten" ist besonders im Horrorgenre seit jeher ein beliebtes Stil- und auch Werbemittel. Das ist gut verständlich, denn die so verstärkte Vorstellung, dass das gerade Gesehene wirklich jemand durchleiden musste, kann das Gruselerlebnis ungemein intensivieren und sich tief in der Psyche des Zuschauers festsetzen. Realität und Erzählung, Fakt und Fiktion verschwimmen dadurch immer mehr, elterliche Besänftigungen à la „Ist doch nur ein Film" sind scheinbar nicht mehr gültig. In den vergangenen Jahren wurden überkommene Welt- und Wirklichkeitsbilder zunehmend erschüttert, der Kniff mit der Behauptung wahrer Begebenheiten wird nun geradezu inflationär gebraucht. Dass die gezeigten Taten und Phänomene in sehr vielen Fällen – genannt seien etwa „The Texas Chainsaw Massacre", „The Amityville Horror" oder „The Entity" – nur minimal bis überhaupt nicht in der Realität verankert sind, muss an dieser Stelle nicht erläutert werden.

    Die Texttafel zur Authentifizierung der Filmhandlung ist inzwischen eine reine Genrekonvention, zur weiteren Beglaubigung des vermeintlichen Realitätsgehalts des Filmgeschehens werden immer raffiniertere Mittel eingesetzt. Filme wie „The Blair Witch Project", „[Rec]" oder jüngst „Paranormal Activity" kommen gleich mit dem Gestus eines Dokuments daher, ihre Protagonisten werden durch selbstgeführte Digi-Cams zum Kameramann und zeichnen scheinbar nur ihre eigenen Erlebnisse auf. Regisseur Osunsamni verbindet in „Die vierte Art" nun die verschiedenen Authentifizierungsstrategien in bisher unerreichter Penetranz. Pausenlos und immer wieder versucht er dem Zuschauer in bester Vorschlaghammer-Manier einzutrichtern, dass alles, was er gerade sieht, wirklich echt ist.

    Osunsamni lässt kaum eine gestalterische Finte aus, um seinem Film den Anstrich des Authentischen zu geben. Das fängt schon in der ersten Szene an, in der Milla Jovovich aus dem nebelbehangenen Wald direkt auf die Kamera zuschreitet und dem Publikum erklärt, dass sie in dem folgenden Film die Psychologin Dr. Tyler verkörpern wird und tatsächliche Ereignisse nachstellen wird, und dass es sich bei den folgenden Video- und Audioaufzeichnungen um echte Mitschnitte handelt. Hinzu kommt eben jenes angekündigte „Archivmaterial", bestehend aus Aufzeichnungen diverser Hypnosesitzungen, Dr. Tylers Sitzung mit einem Psychologen, der wiederum sie behandelt, und dem Material, das die Polizei mithilfe ihrer Überwachungskameras bei den Einsätzen aufnimmt. Als ob das nicht genug wäre, gibt es auch noch Aufnahmen von einem Interview, in denen der Regisseur sich selbst spielt und mit der „echten" Dr. Tyler über die mysteriösen Ereignisse spricht. Die „Originalaufnahmen" sind allein schon zu viel des Guten, die Kombination mit den „nachgestellten" Szenen nimmt beiden Elementen dann ihre potentielle Wirkung. Was bleibt, ist ein unausgegorener Mix, bei dem nie ein richtiger Erzählfluss entstehen kann.

    Das wilde Vermischen von vermeintlich Echtem und Nachgestelltem ist in zweierlei Hinsicht ein äußerst unglücklich gewähltes Stilmittel. Zum einen bleibt dem Zuschauer die emotionale Nähe zu den Figuren verwehrt, denn immer wenn der (eindeutig) inszenierte Teil so etwas wie Dynamik entwickelt, wird diese durch einen Wechsel auf die pseudo-dokumentarische Ebene ausgebremst, jedes Mitfiebern wird im Keim erstickt. Zum anderen reduziert Regisseur Osunsamni damit schlicht und ergreifend die Spielzeit seiner Hauptdarstellerin Milla Jovovich („Das fünfte Element", „Resident Evil"). Das ist fatal, denn „Die vierte Art" ist immer dann am stärksten, wenn die in Kiew geborene Schauspielerin eine Bühne bekommt. Doch ist ihr Part auch nur mit einem bitteren Nachgeschmack zu genießen, denn Osunsamni inszeniert diesen angeblich nachgestellten Teil so dermaßen lahm und uninspiriert, dass Jovovichs eigentlich gute Leistung nicht ihre volle Kraft entfalten kann, und so wird die Enttäuschung über das ungenutzte Potenzial der Geschichte nicht bedeutend geschmälert.

    Regisseur Osunsamni kann sich nicht zwischen Pseudo-Dokumentation und Spielszenen entscheiden. Mit diesem Mix kann er weder emotionale Tiefe und Empathie für die Charaktere erzeugen, noch erreicht er die verstörende Konsequenz eines „The Blair Witch Project". Wenn er angeblich echtes und nachgespieltes Material in sechs (!) Splitscreens direkt nebeneinander stellt, ist das sinnbildlich für sein Vorgehen. Formale Spielereien ersetzen stilistische und inhaltliche Substanz, thematisches und schauspielerisches Potential wird nicht ausgenutzt.

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