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    My Winnipeg
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    My Winnipeg
    Von Christian Horn

    Die eigenwilligen, herausfordernden Filme des kanadischen Filmemachers Guy Maddin („Brand Upon the Brain!") sind wie maßgeschneidert für die risikofreudige Berlinale-Sektion Forum, die sich jedes Jahr aufs Neue dem experimentellen, abseitigen Kino verschreibt. So verwundert es wenig, dass Maddins Pseudo-Dokumentarfilm „My Winnipeg" das Forum-Programm der Berlinale 2008 eröffnete. In diesem streift Maddin durch seine Heimatstadt Winnipeg, die nahe des geografischen Zentrums von Nordamerika liegt und eine der kältesten Städte der Welt ist, wobei schon der Titel die unverhohlen subjektive Herangehensweise ankündigt: „My Winnipeg" ist Maddins Winnipeg. In gewohnt avantgardistischer Art und Weise modelliert Maddin ein Bild seiner Heimatstadt, die nach eigener Aussage schon seine Muse war, bevor er je eine Kamera in die Hand nahm. Herausgekommen ist ein sehr unterhaltsames Film-Essay, der verschiedene Erzähl- und Inszenierungsansätze zu einem faszinierenden Ganzen montiert.

    „My Winnipeg" besteht aus drei verschiedenen Erzählsträngen, die abwechselnd in den Blickpunkt rücken. Der erste dieser Stränge zeigt eine fiktive Zugfahrt: Maddin sinniert aus dem Off über Winnipeg und dessen Bewohner, während die traumähnlichen Bilder schlafende Passagiere zeigen oder solche, die sich in einem Dämmerzustand befinden. Der Filmemacher liefert hier bruchstückhafte, halb-wissenschaftliche oder völlig fiktionale Erklärungen für das hohe Vorkommen von Somnambulismus in der kanadischen Industriestadt, wo prozentual die meisten Schlafwandler der Welt leben. Eine zweite Ebene der Erzählung benennt Maddin als Hauptantrieb für die Umsetzung des Projekts: Mit Hilfe von Schauspielern stellt er in seinem Elternhaus verschiedene Erinnerungen aus seiner Kindheit nach, wobei immer wieder die übermächtige Mutter eine Schlüsselrolle spielt. Das sind oft ganz beiläufige Szenen wie das Zurechtrücken eines Teppichs unter Aufsicht der Mutter oder gemeinsames Fernsehschauen. Im dritten Erzählstrang sucht Maddin einige Orte Winnipegs auf, die seine Stadt geformt haben, wie etwa ein altes Eishockey-Stadion, das nunmehr abgerissen werden soll. Hier arbeitet „My Winnipeg" tatsächlich mit Formen des Dokumentarfilms, bricht das Gezeigte aber immer wieder durch den stark persönlich gefärbten Off-Kommentar und die poetischen Bilder.

    Durchsetzt sind alle diese Bestandteile von einer großen Nostalgie, denn nach 50 Jahren will Guy Maddin seine Heimatstadt verlassen. Er nimmt Abschied von einer Stadt, die - so sieht es Maddin - ihr wahres Gesicht verloren hat. So betrauert er fast wütend den Abriss des Eishockey-Stadions der „Winnipeg Jets", in dem er nach eigener Aussage geboren wurde. Maddin filmt die Arbeit der Abrisskugeln und erzählt von Erinnerungen, die er mit dem Gebäude verbindet – nicht nur an dieser Stelle kann „My Winnipeg" auch als die Suche nach einem Verständnis des Begriffs Heimat verstanden werden.

    Wie immer zieht Maddin dafür alle Register des experimentellen Kinos, vor allem die Ästhetik des Stummfilms und jene des klassischen Melodrams. Geschlossen ist seine in Schwarzweiß-Bilder gehüllte Erzählung nicht, sondern in alle Richtungen für Assoziationen, Nebenhandlungen und Andeutungen offen: „My Winnipeg" funktioniert als Gedankenstrom, als fragmentarisch zusammengesetzte Reise in die eigene Vergangenheit. Auf dieser Reise finden sich teils großartige Bilder wie jenes, das eingefrorene Rennpferde zeigt: Weil ihre Bestallung in Flammen aufging, rannten die Rennpferde Winnipegs in großer Panik in einen nahe gelegenen, halb zugefrorenen Fluss. Sie brachen ein und erfroren, während sich die Eisdecke wieder schloss. Den Winter über verblieben die Pferde an diesem Ort – ihre zugefrorenen, in panischer Angst erstarrten Köpfe ragten aus dem Eis und avancierten zum beliebten Treffpunkt für die Liebespaare der Stadt, die sich neben dem grotesken Schauspiel fotografierten.

    Auf der verwaisten Pferderennbahn Winnipegs finden heute keine Rennen mehr statt, erzählt Guy Maddin. Und das surreale Bild mit den Pferdeköpfen geht nicht nur ihm, sondern auch dem Zuschauer nicht mehr aus dem Kopf.

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