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    Watchmen: Tales Of The Black Freighter & Under The Hood
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Watchmen: Tales Of The Black Freighter & Under The Hood
    Von Jan Hamm

    Ein Vierteljahrhundert hat es gedauert, nun ist es vollbracht: Alan Moores Kultcomic Watchmen hat seinen Weg auf die Leinwand gefunden. Lange galt der Stoff als unverfilmbar, vor allem aufgrund der sehr zahlreichen Nebenhandlungen, mit denen Moore sein alternatives Universum ausgestaltete. Zack Snyders kongeniale Adaption des epischen Antihelden-Dramas ist zwar bis zum Bersten mit Informationen vollgepackt. Um eine filmtaugliche Dramaturgie aus der verästelten Vorlage zu destillieren, waren Auslassungen dennoch unumgänglich - zumindest in der Kinofassung. Noch vor dem mit Spannung erwarteten Director’s Cut reicht Warner einen erheblichen Teil des fehlenden Materials auf DVD nach. Und siehe da: Bei dem Watchmen-Nachschlag „Watchmen: Tales Of The Black Freighter & Under The Hood“ handelt es sich keineswegs um die branchenüblich kühl kalkulierte Zusatzauswertung einer Marke. Ganz im Gegenteil: Die von Snyders Kollegen Mike Smith, Daniel DelPurgatorio und Eric Matthies liebevoll inszenierten Anhänge verleihen dem Hauptfilm zusätzliche Tragweite und dürften vor allem Kennern der Comicvorlage Freudentränen in die Augen treiben. Müßig zu erwähnen, dass sich „Tales Of The Black Freighter & Under The Hood“ ausschließlich an ein mit Snyders Film vertrautes Publikum richtet.

    Das Herzstück der DVD ist der 20-minütige Animationsfilm „Tales Of The Black Freighter“. Erzählt wird die Geschichte eines Seefahrers (gesprochen von Gerard Butler, 300), der hilflos mit ansehen muss, wie die untoten Piraten vom schwarzen Frachter seine Crew massakrieren und das Schiff in Brand stecken. Mit letzter Kraft erreicht er ein nahes Eiland. Schnell wird ihm klar, dass auch seinem Heimathafen samt geliebter Familie Tod und Verderben drohen, sollte er nicht vor dem schwarzen Frachter zurück zum Festland gelangen. Und so zimmert der Schiffbrüchige aus angespülten Wrack- und Leichenteilen ein groteskes Floß und sticht in See. Vom Gestank der toten Kameraden fast in den Wahnsinn getrieben, erreicht er nach tagelanger Odyssee das rettende Ufer. Doch was den irrlichternden Seefahrer dort erwartet, übersteigt selbst seine schlimmsten Albträume...

    Zu den Ereignissen in Watchmen hat „Tales Of The Black Freighter“ zwar keinen direkten Bezug, beim zweiten Blick aber entpuppt sich die Geistergeschichte als monströser Metatext zur Haupthandlung. Im Original taucht die Erzählung als Comic-im-Comic auf, gelesen von einem kleinen Jungen, der an einem New Yorker Kiosk lehnt und bei Snyder im Finale kurz zu sehen ist. Die Piratenmär hatte bei Moore gleich zwei Effekte. Einerseits war sie ein ironisches Gedankenspiel: Womit befassen sich Comics eigentlich in einer Welt, in der Superhelden alltäglich und glanzlos geworden sind? Andererseits reflektiert „Tales Of The Black Freighter“ auf bitterböse Weise Erlebnisse und Vorgehensweisen der eigentlichen Protagonisten. Vor allem der bis zum Schluss geheime Drahtzieher der mysteriösen Vorgänge aus „Watchmen“ spiegelt sich in der Figur des Seefahrers, der auf einem symbolischen Leichenfloß zur vermeintlichen Rettung seiner alten Welt eilt. Nicht zufällig erinnern die Blutflecken auf dem Segel des Horrorvehikels an die Tintenmuster auf Rorschachs Maske.

    Ob nun eigenständig veröffentlicht oder - wie für einen Supercut vorgesehen - vorlagengetreu in den Hauptfilm integriert: Mit dem harschen Kommentar auf das fatale Treiben der verstörten Antihelden bleibt die Essenz von „Tales Of The Black Freighter“ erhalten. Gekonnt an Dave Gibbons’ Original-Illustrationen angelehnt, lassen Mike Smith und Daniel DelPurgatorio kein schauerliches Detail aus. Selten waren 20 Zeichentrick-Minuten dermaßen blutrünstig. Wirklich zum Leben erweckt die tragische Figur des Seefahrers aber erst Gerard Butler, der den aufschäumenden Wahnsinn mit bedrohlich-sonorer Stimme greifbar macht.

    Nach der grimmigen Overtüre folgt mit Eric Mathies’ „Under The Hood“ der zweite Appendix, sozusagen das Prequel. „Under The Hood“ ist die Autobiographie von Hollis Mason (Stephen McHattie), dem ersten Nite Owl, und gleichzeitig eine Abrechnung mit der Pathologie des Superheldentums. Anstatt die im Comic abgedruckten Auszüge der Biographie zu verfilmen, wählt Matthies einen anderen, äußerst kreativen Weg, dem Stoff beizukommen. In Form einer 40-minütigen Dokumentation erzählt er vom Aufstieg und Untergang der ersten Superhelden-Generation. Was Snyder in der brillanten Dylan-Collage zu Beginn seines Films und später in Rückblenden lediglich streift, wird hier durch die trockene Inszenierung als TV-Show im 70er-Look stilistisch konterkariert und mit reichlich schwarzem Humor unterfüttert.

    Anchorman Bernard (Jay Brazeau) führt durch eine nostalgische Retrospektive, garniert mit zahlreichen Interviews und Archivaufnahmen. Der altersweise Mason kommentiert sein Buch, die Vergehen seiner Ex-Kollegen und die Absurdität von Latexkostümen. Mit bezauberndem Lächeln weicht die erste Silk Spectre (Carla Gugino) Nachfragen zum Comedian (Jeffrey Dean Morgan) aus. Ein gewisser Gefängnispsychologe bekundet sein Bedürfnis, einmal einen Superhelden auf der roten Couch zu haben. Und der Physiker Wally Weaver (Rob LaBelle) erläutert den religiösen Tumult, den Dr. Manhattens Erscheinen ausgelöst hat. All die Nebenfiguren, die bei Snyder zwangsweise zu kurz kamen, haben hier ihren großen Auftritt. Interessant ist dabei vor allem, dass die Darsteller - anders als im Hauptfilm - kein Drama spielen, sondern den Alltagshabitus ihrer Figuren einfangen. Mal trotzig, mal ängstlich und mal gelassen plaudern sie aus dem Nähkästchen, während das Publikum längst weiss, welches düstere Schicksal sie alle erwartet.

    „Tales Of The Black Freighter“ und „Under The Hood“ sind essentielle Aspekte der Moore’schen Erzählung, von der jederzeit klar war, dass sie nicht komplett in einen einzigen Kinofilm passen würde. Jetzt besteht die Adaption also aus einem stylisch inszenierten Hauptteil, einer Zeichentrick-Overtüre und einem dokumentarischen Prolog. Wer bereit ist, die Puzzleteile selbstständig zusammenzusetzen, wird mit einem tiefgründigen Gesamtkunstwerk belohnt. Moores Monster von einem Comic galt als unverfilmbar. Nach der epischen Wucht von Watchmen legt das kreative Team um Zack Snyder mit „Tales Of The Black Freighter & Under The Hood“ einmal mehr berechtigt Einspruch gegen diese These ein.

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