Als Protagonisten für sein Biopic „Il Divo“ hat sich der italienische Regisseur Paolo Sorrentino eine überaus kontrovers diskutierte und dazu noch sehr komplexe Gestalt der italienischen Politiklandschaft ausgesucht: den berüchtigten Christdemokraten Giulio Andreotti. Dieser war nicht nur 25 Mal Minister und sieben Mal Premierminister in Italien, sondern wurde auch stolze 29 Mal angeklagt, wobei ihm stets Mafiamachenschaften angelastet wurden. Keine dieser Klagen brachte Andreotti hinter Gitter – die Zweifel an seiner Unschuld wurden dennoch nie ausgeräumt. In seinem mit einer höchst komplexen Erzählstruktur versehenen Biopic, das als eine wilde Mixtur aus Polit-Thriller und ätzender Farce daherkommt, lotet Sorrentino seinen Protagonisten und dessen Machtposition analytisch aus. Die wahren Hintergründe kann und will der Film dabei freilich nicht klären. Aber es ist eh beachtlich genug, dass Sorrentino aus den unzähligen Begebenheiten, Mythen und den darin verwickelten Personengruppen einen Spielfilm inszeniert hat, der als solcher tatsächlich funktioniert. Dafür wurde er 2008 in Cannes zu Recht mit dem Großen Preis der Jury geehrt. Allerdings fordert „Il Divo“ dem Zuschauer gewisse Vorkenntnisse sowie ein hohes Maß an Aufmerksamkeit ab, da dieser sich ansonsten heillos in den Handlungssträngen verstrickt.
Die Handlung des Films spielt hauptsächlich Anfang der Neunziger, als Andreotti (Toni Servillo) gerade seine siebte Regierungsperiode als Ministerpräsident antritt. Wie in einem Mafiafilm werden seine Parteigenossen eingeführt: Alle fahren in schicken, luxuriösen Schlitten vor, tragen edelste Designeranzüge und schreiten in Zeitlupe über den Innenhof. Name, Stellung und Spitzname werden eingeblendet. Schon zu Beginn erscheint der politische Kreis um den Premierminister dank dieser eindrücklichen Szenen als verschwörerischer Gangsterzirkel. Ein Jahr nach seinem Amtantritt fasst Andreotti den Plan, Präsident zu werden. Doch sein Machtgefüge gerät ins Wanken: Erst scheitert er beim Wahlgang, dann wird der einflussreichste Mafiaboss Italiens verhaftet. Etliche Mafiosi sagen in der Folge gegen Andreotti aus und belasten ihn schwer. Doch der Politiker gibt sich nicht geschlagen und entzieht sich trotz aller Verdachtsmomente einer Verurteilung.
„Macht verschleißt nur den, der sie nicht hat.“ - Giulio Andreotti
In erster Linie ist „Il Divo“ ein Film über die Mechanismen der Macht. Andreottis Machtfundament besteht vor allem daraus, dass er von etlichen Parteifunktionären, Polizisten und anderen Entscheidungsträgern pikante Geheimnisse kennt, die keiner der Betroffenen an der Öffentlichkeit wissen will. Dadurch hat er sich eine eigene Art der Immunität geschaffen. Ebenso durch seine konsequente Verschwiegenheit: Nie würde er geständig werden. Als Rationalist zeigt er keine Regung, erlaubt sich keinen Fehler und schätzt seine eigene Lage und die seiner Gegner analytisch und präzise ein: „Ich bin mir bewusst, dass ich von mittlerer Statur bin, doch wenn ich mich umschaue, sehe ich keine Giganten.“ – mit dieser Feststellung traf Andreotti den Nagel auf den Kopf.
Dieser Andreotti ist eine spannende Persönlichkeit. Und die Art und Weise, in der Paolo Sorrentino den Politiker porträtiert, ist schlicht und ergreifend bezwingend. Mit einem objektiven Blick, der lediglich in einer Szene gebrochen wird, fokussiert er seinen Protagonisten. Er zeichnet ihn dabei sehr ambivalent, weder als völlig bösartigen, noch als harmlosen Menschen. Die Darstellung von Toni Servillo ist in diesem Zusammenhang beachtlich und er durfte dafür völlig berechtigt den Europäischen Filmpreis in der Kategorie „Bester Schauspieler“ entgegennehmen. Die reservierte Art Andreottis, seine Anziehungskraft auf andere Menschen und sein politisches Kalkül, das Gefühlsausbrüche oder Unsicherheiten zu keiner Zeit zulässt – all das verkörpert Servillo in jeder Minute des Films absolut glaubhaft und schlüssig. Und wenn er nachts unter Aufsicht seiner Bodyguards durch Roms enge Straßen spaziert, erinnert seine bucklige Silhouette nicht zufällig an Max Schreck und dessen Darstellung des Vampirs in Fritz Langs Klassiker Nosferatu, eine Symphonie des Grauens.
Die ästhetische Form, die Sorrentino für sein eigenwilliges Biopic wählt, ist verspielt und dabei durchweg stilsicher. Der geschickte Einsatz von Zeitlupen und originellen Kameraperspektiven setzt immer wieder Akzente und die Auswahl der Filmmusik ist für einen solchen Stoff reichlich ungewöhnlich, funktioniert aber hervorragend: Zeitgenössische Rocklieder finden ebenso ihren Platz wie alte Hits der Neuen Deutschen Welle. Sorrentino unternimmt also nicht den Versuch, seiner Version der Geschichte durch dokumentarische Bilder Authentizität zu verleihen (wie es zuletzt in Gomorrha der Fall war), sondern betont den Konstruktionscharakter der Lebensgeschichte durch eine betont artifizielle Form. Damit entzieht er sich auch von vornherein dem Vorwurf, dass er nicht die Wahrheit abbilde, was letztlich nicht möglich ist – das gilt für Biopics im Allgemeinen wie für „Il Divo“ im Besonderen. Zuletzt hat sich Todd Haynes mit seiner Bob-Dylan-Biographie I’m Not There ähnlich elegant durch eine die Fiktionalität betonende Form aus der Affäre gezogen.
Die Achillesferse des Films ist seine komplexe Erzählstruktur. Eine Armada von Nebenfiguren aus Reihen der Politik, Mafia, Justiz und Presse wird eingeführt und etliche Ereignisse aus den verschiedenen Regierungsjahrzehnten Andreottis in den Fokus gerückt. Da der Film nur knapp zwei Stunden lang ist, bleibt dem Regisseur nicht viel Zeit, die Figuren und Begebenheiten mit einem langen Vorlauf zu versehen. Symptomatisch dafür ist, dass die Charaktere mit Texteinblendungen eingeführt werden, die knapp über Namen und Position Aufschluss geben. Als Zuschauer ist es nicht immer unproblematisch, sich in diesem Gewirr aus verschiedenen Interessenkreisen zurecht zu finden und es bleibt kaum aus, dass einige Informationen verschütt gehen. Das liegt auch daran, dass viele Hintergrundinformationen - etwa über die Struktur der Mafia oder das italienische Regierungssystem - vorausgesetzt werden.
Als Anhaltspunkt bleibt dem Betrachter aber immer Andreotti, der in jeder Szene – ob direkt oder indirekt – präsent ist. Zudem ist „Il Divo“ ein Film, der wegen seiner eindrucksvollen, stilsicheren Form und dem faszinierenden Protagonisten zu wiederholtem Sehen geradezu einlädt.