Es gibt im Kino bestimmte Themengebiete, die sich nach Meinung vieler nur schwer miteinander verbinden lassen, und deshalb entweder gar nicht erst für die große Leinwand realisiert werden oder das Ergebnis dann eher zwiespältige Reaktionen hervorruft. So überrascht es doch, dass „Vorne ist verdammt weit weg“, der deutsche Beitrag des Regisseurs Thomas Heinemann, eben solch einen Versuch unternimmt, indem er aktuelle wirtschaftspolitische Inhalte in einer Komödie mit satirischem Anspruch zum thematischen Mittelpunkt macht. Als Verbindungsfigur dient der vom Radiosender Bayern 3 und diversen Bühnenprogrammen vor allem im Süden Deutschlands bekannte Kabarettist Frank-Markus Barwasser (der hier auch als Autor und Produzent fungierte) in der Rolle seines Alter Egos Erwin Pelzig. Das Ergebnis ist in weiten Teilen amüsant und recht bissig, rutscht aber auch immer mal in halbgare Albernheiten ab, die für den eigentlichen humoristischen Ansatz des Films nicht nötig gewesen wären.
So beginnt alles mit einem Missgeschick des gutmütigen Erwin Pelzig (Frank-Markus Barwasser), das seinem Nachbarn und siebenfachen Vater Johann Griesmaier (Peter Lohmeyer) zum Glück nur fast die Hand kostet, ihn aber für mehrere Wochen ins Krankenhaus befördert. Das ist doppelt tragisch, da Griesmaier eine Anstellung als Fahrer des einflussreichen Großindustriellen Bieger (Philipp Sonntag) innehat, die aber kurzerhand von Pelzig selbst übernommen wird. Dieser bekommt in seinem neuen Job als Chauffeur schnell firmeninterne Unstimmigkeiten mit. Bieger, sich gerade erst von einem Infarkt erholend, wurde von seiner Tochter Melanie (Franziska Schlattner) während seiner Abwesenheit seines Amtes enthoben, die nun ihrerseits mit Hilfe des schmierigen Beraters Kienze (Tobias Oertel) den Betrieb ins billigere Ausland verlagern will. Außerdem ist da noch der geschäftsuntüchtige Sohnemann Bertram Bieger (Martin Eschenbach), der seine Aktienanteile an Kienze verkaufen möchte und somit interessierten Investorengruppen die Tür öffnet. Nun liegt es an Pelzig, mithilfe der Eskortdame und früheren Wirtschaftsanwältin Chantal (Christiane Paul) einzugreifen, und die „Bieger Einkaufswagenfabrik AG“ vor dem Untergang zu retten. Dabei soll ihm ein einfaches „Gerücht“ große Dienste erweisen.
„Das Schicksal ist oft so banal.“ – Nur eine von vielen im Kern wahren Weisheiten, die im Film ihren Platz finden und normalerweise Aufschluss über einen Menschen geben, der sich auseinandersetzt. Jemand, der seine Umwelt wahrnimmt, reflektiert und Fragen stellt. Attribute also, die wohl auf den Protagonisten Erwin Pelzig zutreffen müssen, auch wenn man es ihm auf den ersten Blick niemals zutrauen würde. Irgendwo zwischen fränkischem Geschwätz und bayerischer Gemütlichkeit stolziert er wie ein Fremdkörper durch den Film, wirkt in jeder Szene völlig deplaziert mit seinem Hut und der altmodischen Herrenhandtasche, und scheint irgendwie nicht von dieser Welt. Dennoch gelingt es ihm gerade dadurch, in den richtigen Momenten die Grundprobleme deutscher Wirtschaftsinteressen auf den Punkt zu bringen, die lediglich auf schnellen Profit aus sind und sich nicht im geringsten um die Sicherung von Arbeitsplätzen scheren. Da besitzen Sätze wie „Vorne ist verdammt weit weg, vor allem, wenn man ganz hinten steht“ einen geradezu philosophischen Ansatz und offenbaren in ihrer Einfachheit vieles, was einem Großteil der Bundesbürger auch im wahren Leben bezüglich der wackeligen Arbeitsmarktlage auf der Seele brennen dürfte.
Der Film macht in den Momenten seiner satirischen Zuspitzung und Übertreibung wirklich großen Spaß. Wenn zum Beispiel Kienze mit den unmöglichsten Anglizismen wie „emotional baggage“ (für die zu entlassene Arbeiterschaft) und Sätzen wie „it‘s all about the money, honey“ sein Umfeld penetriert, wird ein überhöhtes, aber dennoch treffsicheres Bild eines prototypischen Unternehmensberaters skizziert. Pelzig bleibt im gesamten Geschehen die Galions- und Kunstfigur, eine Mensch gewordene Antithese zu den gezeichneten korrupten Wirtschaftsgeschäften, die mit einer naiv-dümmlichen Beiläufigkeit Machtstrukturen unterläuft und offen legt, die aktueller kaum sein könnten und von ihm mit gut beobachteten Sprachspitzen kommentiert werden. Er ist stets Dreh- und Angelpunkt, das „gute Wissen“ mit den richtigen Vorsätzen und derjenige, der unbedacht den Finger in die Wunde legt.
Pelzig wird dabei von Barwasser überzeugend auf die Leinwand transformiert, und auch die anderen Schauspieler fallen nicht ab, aber eben auch nicht wirklich auf, was vor allem bei Peter Lohmeyer und Christiane Paul schade ist, da sie nur wenig Raum bekommen, die gesamte Bandbreite ihres Könnens zu zeigen. Das wirkliche Problem von „Vorne ist verdammt weit weg“ besteht allerdings immer dann, wenn er in eine Zotigkeit verfällt, die vor allem in den Szenen mit Paul als Edelhure Chantal hervorstechen. Da wird Pelzig in der Begegnung plötzlich zu einem stammelnden und Brüste-fixierten Mann, der die eigentliche Handlung kurzzeitig zum Erliegen bringt und eine Facette an Pelzig hervorbringt, die sich nicht so recht in das Gesamtbild fügen lassen will und störend wirkt.
Die Kunden von Chantal, ganz nebenbei die im Film etablierten Wirtschaftsbosse und Abteilungsleiter, werden allesamt mit den absurdesten Fetischen besetzt. Vom angeketteten geschminkten Pumpsträger bis hin zum (im wörtlichsten Sinne) Blumenliebhaber ist alles dabei und soll so die Machthaber als vereinsamte und fast schon bedauernswerte Geschöpfe vorführen. Für ein kurzes Schmunzeln sicher ausreichend, bewirken diese extremen Klischeezeichnungen dann aber eher, dass die subtilen und wesentlich intelligenteren Pointen des Films abgeschwächt werden und man das Gefühl bekommt, dass sich hier die Macher selbst nicht getraut haben, den Weg in Richtung Satire zu Ende zu gehen und lieber noch ein paar schnelle Witzchen einbauen mussten. Nichtsdestotrotz kann der Film über weite Teile unterhalten und sowohl die alten Fans von Erwin Pelzig zufrieden stellen, als auch sicher ein paar neue dazu gewinnen.
„Vorne ist verdammt weit weg“ bleibt eine solide Komödie mit satirisch angehauchten Zwischentönen, die man sich dann doch gerne in einer dichteren Anzahl gewünscht hätte. Oder um es mit den Worten eines schwarzen promovierten Hals-, Nasen-, Ohrenarztes zu sagen, der in Deutschland als Biegers Gärtner mit vier Euro (!) die Stunde leben muss: „Der Abfall liegt meist nah beim Stamm.“