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    Eine dunkle Begierde
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Eine dunkle Begierde
    Von Björn Becher

    David Cronenberg ist der Begründer des sogenannten Body-Horrors, bei dem es vornehmlich darum geht, auf künstlerisch wertvolle Weise möglichst abstoßende Dinge mit dem menschlichen Körper anzustellen. Filme wie „Videodrome" oder „Die Fliege" haben ihm den Ruf eines Kultregisseurs und eine treue Fangemeinde eingebracht. Und auch in anderen Genres bevorzugt er eine sehr körperbetonte Form des Kinos, weshalb von seinem Mafia-Thriller „Tödliche Versprechen" vor allem der blutige Überlebenskampf des nackten Viggo Mortensen in einem Dampfbad in Erinnerung geblieben ist. Nun ist es ausgerechnet dieser so stark mit dem Körperlichen assoziierte Kanadier, der im Wettbewerb der Filmfestspiele von Venedig einen Film über die Psyche vorstellt. In „Eine dunkle Begierde" porträtiert David Cronenberg die Anfänge der Psychoanalyse sowie deren Begründer Sigmund Freud und Carl Jung. Das dürfte einige Fans des Filmemachers vor den Kopf stoßen, denn statt starker filmischer Mittel gibt es plötzlich ausufernde Dialogszenen. Am Ende steht eine recht konventionelle, aber dennoch sehenswerte Kinobiografie, in der weder Jung und noch weniger Freud, sondern vor allem ihre Patientin Sabina Spielrein im Vordergrund steht.

    Zürich im Jahre 1904: Die für verrückt erklärte Sabina Spielrein (Keira Knightley) wird in die Privatklinik von Professor Bleuler (André Hennicke) eingeliefert, wo sich Dr. Carl Jung (Michael Fassbender) ihrer annimmt. Der Psychotherapeut ist begeistert von der Intelligenz der jungen Frau und fasst einen Entschluss: Er will die theoretischen Überlegungen seines Wiener Kollegen Professor Sigmund Freud (Viggo Mortensen) in die Tat umsetzen und die neue Patientin nicht mit klassischen Methoden behandeln, sondern ausschließlich in Gesprächen therapieren. Zwei Jahre später hat Jung schon erhebliche Fortschritte mit Spielrein erzielt. Die aufgeweckte Frau ist nicht mehr nur seine Patientin, sondern auch seine Assistentin und studiert inzwischen selbst Psychologie. In Wien trifft Jung erstmals mit seinem Idol Freud zusammen, dem er seine bisherigen Ergebnisse präsentiert. Allerdings erscheint Jung der berühmte Kollege zu engstirnig, schließlich sucht Freud die Ursachen für psychische Probleme ausschließlich auf sexueller Ebene. Zusätzlichen Input bekommt er, als Freud ihn bittet, den exzentrischen Kollegen Otto Gross (Vincent Cassel) zu therapieren. Der behandelt seine Patienten, indem er mit ihnen schläft - außerdem feuert er Jung an, es ihm gleichzutun. So angestachelt gibt der verheiratete Familienvater Jung schließlich seiner lang gehegten Begierde für Sabina nach...

    David Cronenbergs Schritt vom physischen zum psychischen Kino ist weniger überraschend, als es vielleicht zunächst den Anschein hat. Schon lange betrachtet der Regisseur beide Seiten, etwa in dem höchst unkonventionellen Biopic „Naked Lunch". Neu an „Eine dunkle Begierde" ist aber, dass er sich diesmal ausschließlich auf die Psyche konzentriert. Das Körperliche kommt hier hingegen fast nicht vor. Der Sex zwischen Jung und Spielrein wird weitgehend ausgeblendet, nur eine Passage, in der Jung seine Geliebte erregt, indem er ihr den Hintern versohlt, sticht auch inszenatorisch heraus. Ansonsten werden Kameraführung und Schnitt selten so effektiv genutzt wie in einer knisternden Szene, in der Jung assistiert von Spielrein seine eigene Frau (Sarah Gadon) zur Psychoanalyse bittet. Im Übrigen wirkt „Eine dunkle Begierde" oft seltsam blutleer, was womöglich auch daran liegt, dass der Film fast ausschließlich aus Zwei-Personen-Szenen besteht.

    Allerdings sind die geschliffenen Dialoge von Christopher Hampton („Abbitte"), der für die Kinoadaption seines Theaterstücks selbst verantwortlich zeichnet, ein echtes Prunkstück. Zwar hat er viele Passagen direkt aus realen Briefwechseln zwischen Jung und Spielrein übernommen, aber in den Szenen zwischen Jung und Freud nimmt er sich dafür umso mehr Freiheiten heraus und fügt eine gewitzte reflexive Ebene hinzu: Die Begründer der Psychoanalyse reden miteinander nämlich so, als wüssten sie längst, welche Bedeutung ihre Behandlungsmethoden später einmal erlangen werden – auf diese Weise schmuggelt Hampton immer wieder amüsante Verweise auf die heutige Stellung der Psychoanalyse in den Historienfilm ein.

    Aus einem insgesamt eindrucksvollen Schauspielerensemble sticht vor allem Keira Knightley („Fluch der Karibik") heraus. Mit Mut zur Hässlichkeit agiert sie zu Beginn als verrückte Russin mit vorgeschobenem Unterkiefer, bedrohlich wirkenden Zähnen und Körperzuckungen, die oft haarscharf an der Grenze zur Übertreibung vorbeischrammen. Es bereitet dem Zuschauer fast körperliche Schmerzen, ihr dabei zuzusehen, wie sie sich hier quasi um eine Rolle im nächsten „Exorzismus"-Film bewirbt. Umso eindrucksvoller ist es, wie sich Knightleys Spiel im Verlauf der rund zehn Jahre umspannenden Filmhandlung wandelt. Es ist offensichtlich, dass Spielrein Regisseur Cronenberg von allen Figuren am stärksten interessierte. Daher fällt Michael Fassbender („X-Men: Erste Entscheidung") die undankbare Aufgabe zu, trotz längerer Leinwandzeit nur die zweite Geige zu spielen. Mit seiner Steifheit und Überkorrektheit ist er der passende Widerpart für Spielrein, gerade weil sein Jung nicht zur Identifikationsfigur taugt und als lächerliches Würstchen endet. Etwas schade ist, dass Viggo Mortensen („The Road") seinen Sigmund Freud etwas grobschlächtig als alten Knaben interpretiert, der alle Probleme nur deshalb auf sexuelle Ursachen zurückzuführen scheint, weil er selbst kein Sexleben hat. Er verkommt damit teilweise zur Witzfigur, die aber immerhin für den einen oder anderen Lacher gut ist.

    Fazit: „Eine dunkle Begierde" ist eine klassische Biografie und damit ein Stoff, der sicherlich auch bei den (Oscar-)Preisrichtern punkten könnte. In jedem Moment ist dem Drama seine Schwere und Bedeutsamkeit anzumerken. Die makellosen Bilder ziehen den Zuschauer in ihren Bann, so richtig will der Funke aber nicht überspringen. Hartgesottene Fans der früheren Werke des Regisseurs könnten sich sogar im falschen Film wähnen, allerdings machte Cronenberg diesen noch einmal Hoffnung: Bis zu den Filmfestspielen in Cannes 2012 werde er „Cosmopolis" fertigstellen – und der werde dann wieder ein „typischer Cronenberg" sein.

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