In den USA ist Amelia Earhart eine Berühmtheit und genießt auch heute noch große Popularität, davon zeugte zuletzt ihr Auftritt als Wachsfigur in „Nachts im Museum 2". Hierzulande ist die Fliegerin außerhalb von Spezialistenkreisen jedoch weit weniger bekannt. In den späten Zwanzigern überquerte die ehrgeizige Pilotin als erste Frau den Atlantischen Ozean im Flug – zunächst zwar nur als Passagierin, aber nichtsdestotrotz avancierte sie zu einer Nationalheldin. Über die Jahre machte Earhart immer wieder von sich reden, 1937 schließlich unternahm sie den Versuch einer Weltumrundung per Flugzeug und gilt seitdem als verschollen. In ihrer Filmbiografie „Amelia" erzählt die versierte Regisseurin Mira Nair („Monsoon Wedding", „Vanity Fair") nun die Geschichte der selbstbewussten Frau, die sich in einer Männerdomäne durchsetzen konnte. Sie fliegt dabei im wahrsten Sinne des Wortes von einem Schlüsselereignis zum nächsten. Es wird eine Station nach der anderen abgehakt, jeder weiterführende Zusammenhang und Diskurs wird in dem gehetzt wirkenden Werk vernachlässigt. Die meist stilsichere Inszenierung Nairs und der ein oder andere visuelle Höhepunkt können letztlich nur noch Schadensbegrenzung leisten.
1928 erfährt Amelia Earhart (Hilary Swank), dass sie den ersten Transatlantikflug nicht wie gewünscht als Pilotin, sondern lediglich als Passagierin antreten wird. Die Presse nimmt die selbstbewusste Frau dennoch viel eher wahr als den eigentlichen Piloten. Völlig der Fliegerei verfallen stellt die Pionierin weitere Rekorde auf – darunter der erste Alleinflug einer Frau über den Atlantik (als zweiter Mensch nach Charles Lindbergh). Auch nach ihrer Hochzeit mit dem New Yorker Verleger George Putnam (Richard Gere), der an Amelias ständiger Präsenz auf den Titelseiten nicht unbeteiligt ist, lebt Earhart in erster Linie für das Fliegen.
Mira Nair zeichnet Amelia Earhart als eine Tochter der Lüfte, als eine Frau, die mehr Erscheinung und Ikone als Mensch aus Fleisch und Blut ist. Zu beinahe esoterischen Off-Kommentaren montiert Nair immer wieder einen Flug durch die Wolken: Nur hier, das suggeriert der Film, ist Amelia wirklich bei sich. Das permanente Lächeln, die Bestimmtheit und die ungebrochene Willenskraft, mit der Hilary Swank („Boys Don´t Cry", „Million Dollar Baby") ihre Figur spielt, tragen zu dieser Entrückung von der Welt maßgeblich bei. In gewisser Weise passt es dazu auch, dass Mira Nair die spezifischen historischen Umstände, in denen Earhart lebte, beinahe völlig ausblendet. Andererseits nimmt diese Reduzierung der Figur und damit der ganzen Erzählung jegliche Reibungsfläche. Das ganze Wesen Amelia Earharts, die bemerkenswerte Stellung, die sie als Frau in ihrer Zeit einnahm: All das wird mehr behauptet als entwickelt - in eleganten Bildern und mit schönen Kostümen zwar, aber ohne diskursiven Zusammenhang.
Für eine nähere Auseinandersetzung etwa mit der historischen Rolle Earharts in Bezug auf das Bild und die Rechte der Frau, hätte es einer bewussten dramaturgischen Akzentsetzung und Konzentration bedurft. Mira Nair ist jedoch wild entschlossen, keinen der (fliegerischen) Höhepunkte aus dem Leben ihrer Hauptfigur auszulassen. Bisweilen wirkt „Amelia" wie eine übereilte Sightseeing-Tour durch das Leben Earharts. Amelias Beziehungen zu den Männern etwa – auch nach ihrer Heirat lebt sie ihre Freiheit aus – werden nur angedeutet, was durchaus schade ist.
Völlig gescheitert ist Mira Nair mit ihrem weitgehend monothematischen biographischen Bilderbogen, der im Wesentlichen auf den beiden Standardwerken über Earhart von Mary S. Lovell (1989) und Susan Butler (1997) basiert, dennoch nicht. So ist die gelungene Darbietung von Hilary Swank auf jeden Fall einen Blick wert; hinzu kommen die in alle Farben des (Sonnen-)Lichts getauchten, ansehnlichen Aufnahmen. Die Bildgestaltung von Stuart Dryburgh („Das Piano") balanciert zwar ab und an hart an der Grenze zum Esoterik-Kitsch, überschreitet diese aber nie. Insgesamt ist „Amelia" ein zwar kurzweiliger, aber viel zu oberflächlicher Einblick in das Leben einer bemerkenswerten Frau.