Es heißt, dass sich Luc Besson die Rechte an Jiru Taniguchis Manga-Roman „Vertraute Fremde" sichern wollte. Der enorme Erfolg dieser Graphic Novel in Frankreich dürfte dabei ein zentraler Anreiz für den Produzenten und Drehbuchautoren, den Filmemacher und Studiochef gewesen sein. Zudem dürfte aber auch Taniguchis magischer Blick auf ganz alltägliche Menschen und Situationen Besson fasziniert haben. Schließlich sehnt sich auch der Regisseur von „Léon - Der Profi" und „Angel-A" offensichtlich nach einer Aussöhnung von Märchen und Wirklichkeit, also nach einer Verzauberung des Lebens, die den Alltag der Menschen erträglicher machen würde. Nur lassen sich sein extravaganter Stil und seine Vorliebe für geradezu aufdringliche Effekte kaum in einen Einklang mit dem langsamen, auf alles Vordergründige verzichtenden Tonfall des japanischen Manga-Künstlers bringen. Insofern ist Sam Garbarski („Der Tango der Rashevskis", „Irina Palm") der passendere Filmemacher für diese Vorlage. Nur erweist sich seine Adaption dieser Tragikomödie eines Familienvaters, der nie überwinden konnte, dass sein Vater ihn verlassen hat, als viel zu harmoniesüchtig.
Der Comic-Zeichner und Autor Thomas (Pascal Greggory, „Gabrielle", „Diese Nacht") steckt in einer tiefen beruflichen und persönlichen Krise. Schon seit langem hat er keine Graphic Novel mehr vollenden können, und im Kreis seiner Familie ist er längst zu einem Fremden geworden. Eine Comic-Messe, während der sich nur ein einziger Leser an seinem Tisch einfindet, unterstreicht seine Isolation noch einmal ganz deutlich. Auf dem Rückweg nach Paris steigt er dann in einen falschen Zug und landet ausgerechnet in dem kleinen Dorf, in dem er in den 50er und 60er Jahren aufgewachsen ist. Bis der nächste Zug kommt dauert es noch. Also macht sich Thomas zu einem Streifzug durch seine alte Heimat auf, der ihn schließlich auf den Friedhof zum Grab seiner Mutter Anna (Alexandra Maria Lara, „Der Untergang", „Jugend ohne Jugend") führt. Dort fällt er plötzlich in Ohnmacht. Als er erwacht, ist er wieder 14 und zurück in dem schicksalhaften Sommer des Jahres 1966, in dem sein Vater Bruno (Jonathan Zaccaï, „Der wilde Schlag meines Herzens", „Robin Hood") ohne ein Wort der Erklärung spurlos verschwand.
Wie alle Zeitreise-Geschichten ist auch „Vertraute Fremde" ein Konstrukt, das die Frage aufwirft, ob eine solche Phantasie jemals ganz aufgehen kann. Anders als die Fantasy- und Science Fiction-Spezialisten aus Hollywood hält sich Sam Garbarski aber mit den tieferreichenden Implikationen einer Reise zurück in die eigene Vergangenheit gar nicht weiter auf. Für den nun von Léo Legrand gespielten 14-jährigen Thomas geht es einzig und allein darum, seinen Vater am Verschwinden zu hindern. Mit dem Wissen des beinahe 50-jährigen Mannes versucht der Jugendliche, die Geschichte der Familie zu ergründen und umzuschreiben. Das ist psychologisch natürlich durchaus schlüssig und konsequent. Doch anders als Jiru Taniguchi, dessen klare und einfache Pinselstriche sofort eine tiefe Verbindung zwischen seinen Figuren und dem Leser etablieren, gelingt es Sam Garbarski einfach nicht, diese Konstellation mit Leben zu füllen.
Als Mann in den besten Jahren, der sich plötzlich im Körper eines Teenagers wiederfindet, kann Léo Legrand zwar überzeugen – er wirkt tatsächlich viel älter und erfahrener als seine Jahre es normalerweise zulassen. Aber gerade dadurch verweist alles, was sein Thomas sagt und tut auf das Drehbuchkonstrukt. Immer wenn er nur der Jugendliche ist, sei es zusammen mit seinen Freunden oder mit dem Mädchen, das er damals aus der Ferne liebte, scheint Legrand regelrecht zu erstarren. Allerdings lässt ihm das Drehbuch, das Garbarski zusammen mit Philippe Blasband und Jérôme Tonnerre entwickelt hat, auch gar keine Chance zur Natürlichkeit, denn der ‚alte' Thomas muss sich stets so erwachsen verhalten, dass es schon wieder unglaubwürdig ist.
Der ruhige Fluss der Vorlage ist in Garbarskis überaus geschmackvoller Verfilmung in allzu pittoreske Bilder übersetzt. Natürlich ist ein französisches Bergdorf im Sommer ein geradezu traumhafter Drehort, der dann auch die Darsteller, allen voran den müden, von Bindungsängsten geplagten Pascal Greggory und die etwas neurotisch-naiv wirkende Alexandra Maria Lara genau ins rechte Licht rückt. Doch diese mit aller Macht ausgespielte Schönheit hat etwas Steriles. Garbarski inszeniert ein Idyll, das sichtlich nicht von dieser Welt ist, sondern alleine der Vorstellung und dem ästhetischen Willen eines Filmemachers entspringt, der sich ganz dem Diktat des guten Geschmacks ergeben hat. In einer derart idealisierten Welt, deren Erschaffer sich an seinem Hang zum Nostalgischen regelrecht berauscht, müssen die Figuren und ihre Geschichte letzten Endes in Leblosigkeit erstarren.