Netflix‘ nächster Oscar-Kandidat?
Von Christoph PetersenFast 30 Jahre nach seinem Debüt „Eine Frage der Ehre“ mit Tom Cruise und Jack Nicholson, für den er 1992 sein eigenes Theaterstück für die große Leinwand adaptierte, kehrt Aaron Sorkin in den Gerichtssaal zurück: In der Netflix-Produktion „The Trial Of The Chicago 7“, bei dem er nach „Molly’s Game“ erneut selbst Regie führt, beleuchtet der oscarprämierte Autor die Anklage von Anti-Kriegs-Aktivisten, gegen die nach einer blutig niedergeschlagenen Demonstration vor dem demokratischen Parteitag 1968 ein regelrechter politischer Schauprozess angestrengt wurde.
Mit seinen Silicon-Valley-Filmen „The Social Network“ und „Steve Jobs“ hat Aaron Sorkin bewiesen, dass er auch aus vermeintlich unverfilmbaren Stoffen mitreißende Kinogeschichten zu formen vermag. Die Story der Chicago 7, die zu Beginn des Prozesses noch zu acht waren, ist für den „The West Wing“-Schöpfer hingegen ein leichtes Ziel: Der ganze Prozess war von vorne bis hinten eine einzige Farce – bis hin zu einem senilen Tattergreis als „Richter“. Wenn Aaron Sorkin nun wie gewohnt im Staccato-Takt seine brillant geschliffenen Dialog-Bonmots abschießt, um die damaligen Ungerechtigkeiten anzugehen, fühlt es sich deshalb immer wieder so an, als würde er mit Kanonen auf Spatzen schießen.
Ein Teil der Chicago 7 mit ihrem Anwalt William Kunstler (Mark Rylance).
Nachdem es bei den Anti-Kriegs-Protesten 1968 in Chicago zu blutigen Zusammenstößen mit der Polizei gekommen ist, besteht Richard Nixons neuer Justizminister John Mitchell (John Doman) darauf, einige der Köpfe der Protestbewegung wegen Verschwörung anzuklagen. Obwohl unter anderem das FBI zu dem Ergebnis gekommen ist, dass keine Anklagegründe vorliegen und die Gewalt zudem von der Polizei ausgegangen ist, werden der Chefankläger Thomas Foran (J.C. MacKenzie) und sein Assistent Richard Schultz (Joseph Gordon-Levitt) losgeschickt, um mit allen Mitteln eine Verurteilung zu erreichen.
Dabei erscheint die Anklage wegen „Verschwörung“ schon deshalb so absurd, weil sich einige der Mitglieder der nun gemeinsam vor Gericht stehenden Chicago 7 (u.a. Eddie Redmayne, Sacha Baron Cohen, John Carroll Lynch) vorab gar nicht persönlich kannten, weil sie zu ganz unterschiedlichen politischen Gruppen gehören. Nichtsdestotrotz schreitet der absurde Prozess unter der Führung des offensichtlich unfähigen und überforderten Richters Julius Hoffman (Frank Langella) immer weiter voran, während die Einsprüche und Anträge des Verteidigers William Kunstler (Mark Rylance) ein ums andere Mal ohne Begründung abgewiegelt werden. Nicht einmal der entlastende Auftritt des ehemaligen Justizministers Ramsey Clark (Michael Keaton) scheint den vorgezeichneten Ausgang des Verfahrens noch abwenden zu können...
John Froines (Danny Flaherty) und Lee Weiner (Noah Robbins), die zwei unbekanntesten Mitglieder der Chicago 7, wurden damals offensichtlich nur angeklagt, damit die Jury sie freisprechen kann. Eine erprobte Prozesstaktik, die das schlechte Gewissen der Jurymitglieder mindern soll, weil sie so zumindest einen Teil der Angeklagten nicht in den Knast schicken müssen. Die beiden nehmen die ganze Sache trotzdem erstaunlich locker – und so fällt im Film an einer Stelle der fraglos brillante Satz: „Dieser Prozess ist so was wie die Oscarverleihung der Protestbewegung – da ist es schon eine Ehre, nur unter den Nominierten zu sein.“
„The Trial Of The Chigaco 7“ ist – wie eigentlich jedes Skript von Aaron Sorkin – voll von solchen genialen Bemerkungen, die oft auch noch einmal die Aktualität der damaligen Geschehnisse in Bezug auf aktuelle Entwicklungen in den USA unterstreichen. Nur: Um zu zeigen, was für eine absurde Veranstaltung das damals war, hätte es soviel Cleverness gar nicht bedurft – allein die Performance von Frank Langella („Frost/Nixon“) als Richter, dessen Skurrilität zunächst amüsiert, bevor man auch als Zuschauer wie alle Prozessbeteiligten immer mehr Wut auf ihn entwickelt, reicht dafür völlig aus. Und auch der Versuch, die Spannungsschraube in der zweiten Hälfte noch einmal anzuziehen, indem ein einfaches sprachliches Missverständnis zu einem potenziellen Plot-Twist hochgejazzt wird, erscheint wenig überzeugend.
Brilliert als inkompetenter Arsch: Frank Langella
Das alles ändert allerdings nichts daran, dass Aaron Sorkin ein komplexes historisches Ereignis mit zahllosen Beteiligten und mehreren Zeitebenen einmal mehr dramaturgisch so perfekt verpackt, dass der Film ab der ersten Sequenz einen mitreißenden Erzählfluss entwickelt, der einen bis zum Abspann nicht mehr loslässt. Daran hat natürlich auch der großartige Cast einen entscheidenden Anteil – und dass die Schauspieler bei der kommenden Oscarverleihung (im Gegensatz zu Aaron Sorkin) eher keine Rolle spielen werden, liegt einzig und allein daran, dass sie sich mit ihren makellosen Performances gegenseitig die Butter vom Brot stehlen.
Eddie Redmayne („The Danish Girl“) nimmt sich als pragmatischer Tom Hayden, der im wahren Leben Jane Fonda geheiratet hat, diesmal nur deshalb ungewohnt zurück, damit sein großer Moment später noch mehr Gänsehautpotenzial entwickelt. Damit ist er das genaue Gegenstück zu Sacha Baron Cohen („Borat 2“), der als laut polternder Yippie-Aktivist Abbie Hoffman seine Prozesserfahrungen immer wieder in Stand-up-Routinen verarbeitet, bevor er auf der Zielgeraden plötzlich mit ruhigeren Auftritten überrascht. Der eindrucksvollste und coolste Auftritt ist zugleich aber auch der kürzeste: Michael Keaton führt seinen mit „Birdman“ und „Spotlight“ eingeläuteten zweiten Schauspielfrühling auch in „The Trial Of The Chicago 7“ nahtlos fort.
Fazit: Ein immens kurzweiliges, herausragend besetztes und brillant geschriebenes Justiz-Drama, dessen Erkenntnis- und Enthüllungswert sich jedoch in Grenzen hält.