In Darnell Martins Musical-Drama „Cadillac Records“ wird eine Blues-Legende nach der anderen durch das Aufnahme-Studio von Chess Records geschleust. Doch Pluralität ist nicht immer ein Pluspunkt. Weil die Lebensgeschichten von Chuck Berry, Etta James, Muddy Waters und Labelboss Leonard Chess eigentlich genug Stoff für vier Filme bieten würden, schleicht sich mit der Zeit das Gefühl ein, nicht genug über die einzelnen Legenden zu erfahren. Trotzdem ist die schiere Bandbreite an musikalischen Stilen und menschlichen Schicksalen extrem faszinierend, so dass „Cadillac Records“ nicht nur Blues-Fans überzeugen wird.
Chicago, 1947: Barbesitzer Leonard Chess (Adrien Brody, Der Pianist) entdeckt den genialen Gitarristen Muddy Waters (Jeffrey Wright, James Bond 007 – Ein Quantum Trost) und den impulsiven Mundharmonika-Virtuosen Little Walter (Columbus Short, „Save The Last Dance 2“). Fasziniert vom frischen Sound ihrer Songs und verführt vom Geldregen des boomenden Musik-Business finanziert Chess die Produktion von Waters erster Platte, die schnell die R’n’B-Charts stürmt. Das Plattenlabel Chess Records ist geboren und wächst durch Stars wie Chuck Berry (Mos Def, Abgedreht) und Etta James (Beyoncé Knowles, Dreamgirls) in wenigen Jahren vom kleinen Familienbetrieb zum erfolgreichen Unternehmen. Als Belohnung für einen Nummer-1-Hit schenkte Leonard seinen Künstlern traditionell einen neuen Cadillac. Doch aufgrund der Rivalität zwischen Muddy und Howlin’ Wolf (Eamonn Walker, The Messenger), der Verhaftung von Chuck Berry und den Drogenexzessen von Etta James bekommt die glänzende Fassade bald erste Risse…
Dass bei „Cadillac Records“ im Gegensatz zu Erfolgen wie Ray oder Walk The Line kein einzelner Star im Mittelpunkt steht, sondern die Geschichte eines Plattenlabels erzählt wird, ist Segen und Fluch zugleich. Bei Musiker-Biopics bekommt man oft das Gefühl, dass die immer gleichen Story-Motive wie etwa schwierige Kindheiten und Drogenexzesse relativ abwechslungslos aneinander geklatscht werden. Darnell Martin vermeidet als Regisseurin und Drehbuchautorin in Personalunion solche Klischees, weil ihre Erzählung in die Breite statt in die Tiefe geht. Problemkomplexe wie Rassentrennung, Ehekonflikte, Drogensucht und das schwierige Verhältnis zwischen Musikern und Manager werden allesamt angeschnitten. Aber das sprichwörtliche Schwarz-Weiß-Denken mit Stereotypen wie dem gierigen weißen Produzenten und den ausgebeuteten schwarzen Künstlern wird durch die facettenreichen Charaktere und ihre komplexen Beziehungen zueinander nicht bedient.
Die vielen Charaktere und Themen sind hochgradig abwechslungsreich. Genau diese Vielfalt löst aber mit dem Fortschreiten der Handlung eine gewisse Unzufriedenheit beim Zuschauer aus. Zu wenig erfährt man über die Einzelpersonen und ihre Geschichte, weswegen die Musiker-Schicksale weitaus weniger berühren, als sie dies aufgrund der teils dramatischen Lebensgeschichten eigentlich könnten. Jeffrey Wright ist sicherlich Mister Right für die Rolle des Muddy Waters und auch Adrien Brody liefert eine gewohnt gute Leistung ab. Trotzdem strahlen beide eine seltsame Distanz aus, die erst durch die inspirierte Performance von Beyoncé aufgelöst wird, die hier nicht nur stimmlich spitze ist. Erst wenn die „Destiny’s Child“-Sängerin am Mikrophone steht, nimmt „Cadillac Records“ richtig Fahrt auf. Auch die Szenen, in denen Mos Def in gekonntem Chuck-Berry-Entengang über die Bühne watschelt, zählen zu den stärkeren Momenten des Films. Gabrielle Union (Krass) erweist sich als Frau von Muddy Waters hingegen als Fehlbesetzung.
Durch die permanente Verschiebung des Fokus von Thema zu Thema und von Person zu Person tritt die Musik sehr stark in den Vordergrund. Die Songs der Protagonisten sind die einzige wirkliche Konstante in „Cadillac Records“. Die Hits von Muddy Waters zählen zu den einflussreichsten Musikstücken in der Geschichte des Blues. Der Titel „Rolling Stone“ war etwa Stein des Anstoßes für die Gründung einer der erfolgreichsten Bands des 20. Jahrhunderts. Deren Mitglieder sind derart große Muddy-Waters-Fans, dass sie den Song zum Bandnamen machten: „The Rolling Stones“. Etta James großartige Version des Songs „At Last“ ist aus unzähligen Filmen und Werbespots bekannt. Und Chuck Berrys „Johnny B. Goode”, „Roll Over Beethoven” und „Sweet Little Sixteen” sind längst Teil des kollektiven Musikgedächtnisses.
Fazit: „Cadillac Records“ schneidet zwar viel an, bringt aber kaum etwas zu Ende. Obwohl diverse Künstler, Musikstile und Problemkomplexe für abwechslungsreiche Unterhaltung sorgen, fehlt auf Dauer doch ein eindeutiger Schwerpunkt. Einzig der Blues dient als roter Faden und begeistert von Minute eins bis neunundneunzig. Starke schauspielerische Leistungen und mitreißende musikalisch Performances steigern den Genuss weiter. Die Aura des Unvollendeten kann „Cadillac Records“ dennoch nie ganz abschütteln.