Sandra Bullock dürfte mit dem Filmjahr 2009 zufrieden sein: zwar floppte noch im September die schräge Comedy „All About Steve“ mit „Hangover“-Star Bradley Cooper recht derbe, doch Anfang Dezember verdrängte sie mit dem Sportler-Drama „The Blind Side“ das Massenereignis „The Twilight Saga: New Moon“ von der Spitzenposition des amerikanischen BoxOffice und gilt nicht nur der überzeugenden Zahlen wegen als aussichtsreiche Oscar-Kandidatin 2010. Der in Nürnberg aufgewachsenen Schauspielerin, die Anfang/Mitte der 1990er durch Parts in „Demoltion Man“ (1993) und „Speed“ (1994) auf sich aufmerksam machte, besonders aber durch Komödien- und Romantik-Auftritte in „Während du schliefst...“ (1995), „Miss Undercover“ (2000) oder „Ein Chef zum Verlieben“ (2002) den Titel des Hollywood-Sweethearts von Meg Ryan übernahm, könnte der mehrfach angesetzte Sprung ins Charakterfach nun endlich glücken. Andererseits... war da nicht noch was in ’09? Aber sicher, ihre ebenfalls höchst erfolgreiche Abschiedsvorstellung (laut eigener Ankündigung) in Sachen Romanzen, „Selbst ist die Braut“.
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Die tyrannische Verlagslektorin Margaret Tate hat ein Problem: das Visum der verabscheuten Büro-Xanthippe ist abgelaufen und der Kanadierin droht die Ausweisung. Da kommt Margaret ihr ambitionierter und fleißiger Assistent Andrew gerade recht, denn kurze Hand erpresst sie ihn mit dem Versprechen einer Beförderung und der Androhung des Rausschmisses zu einer Scheinhochzeit. Doch ein just zuvor gekündigter Mitarbeiter schwärzt das unglückliche Paar bei der Einwanderungsbehörde an, so dass der zuständige Beamte mit ganz besonderer Wachsamkeit vorgeht. Um die Lüge aufrecht zu erhalten reisen Margaret und Andrew über’s Wochenende zu seiner Familie nach Alaska und beide müssen ihr Äußerstes geben, um vor der leicht verdrehten, aber herzigen Verwandtschaft den Schein zu wahren...
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Die Schauspielerin, Choreografin und seit dem Tanzfilm „Step Up“ auch Regisseurin Anne Fletcher geht mit „Selbst ist die Braut“ in vielerlei Hinsicht auf Nummer todsicher. Die schnuckelige Sandra Bullock würde in diesem Genre einfach jeden Kredit gewährt bekommen, mit einem der derzeit angesagtesten Sixpackträgern, Ryan Reynolds, kann man, zumindest optisch, ebenfalls kaum verkehrt liegen. Dazu ein Urgestein der Lustigkeit wie Betty White in eine spleenige Nebenrolle gestopft, gern gesehene Gesichter wie Craig T. Nelson und die umwerfend schöngealterte Mary Steenburgen als Dreingabe und schon kann man bei der Besetzung einen Haken setzen. Note zwei Plus, bestanden. Mit der romantic- und comedyerfahrenen Cutterin Priscilla Nedd-Friendly (in welchem Genre sollte man mit einem solchen Nachnamen auch sonst arbeiten?!), die unter anderem „Pretty Woman“ (1990), „American Pie“ (1999) und den Fletcher-Vorgängerfilm „27 Dresses“ (2008) schnitt, holte man sich eine in Sachen Timing auf solidem Niveau qualifizierte Kraft ins Loveboat. Gleiches gilt für Kameramann Oliver Stapleton („Gottes Werk & Teufels Beitrag“, 1999; „New York für Anfänger“, 2008), der aus verschiedenen Drehorten in Massachusetts das Städtchen Sitka formt und einige feine, stimmungsvolle Panoramen filmt. Haken hinter die Crew, Note drei Plus, bestanden. Dann wäre da noch Drehbuchautor Peter Chiarelli. Der hauptberufliche Studioverantwortliche erlaubte sich einen kleinen Akt der Verschwörung, indem er sein Scriptdebüt unter dem Pseudonym Jennifer Kirby auf die Reise schickte, um die Story nicht einzig über seinen bekannten Namen zu verkaufen. Eine Maßnahme, über deren Beweggründe (Stichwort Verständnis von Geschlechterrollen...) sich diskutieren ließe, die aber am Ergebnis, dem Script selbst, nichts ändert. Dieses fand problemlos einen Abnehmer und ist in seiner antiquarischen Struktur der Stützpfeiler der ganzen auf Sicherheit getrimmten Baute namens „Selbst ist die Braut“. Bis auf kleinere Einzelheiten und Variationen ist die Story des Films bis ins Detail vorraussagbar, das Happy-End ist selbstverständlich und der Sitz wird für den Zuschauer entweder umso bequemer, je sicherer er sich dessen sein kann – oder das Sitzfleisch wird dabei gnadenlos überreizt und der Film von ständigen „ohh, war ja klar“- und „mhh, schon wieder sowas“-Seufzern begleitet. Dieser Haken wird mit Bleistift gesetzt, Note vier mit dickem Minus, unter Vorbehalt bestanden.
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Wahrsager, Kartenleger und sonstige zum Blick in die Zukunft befähigte Zeitgenossen hätten nichts mehr, als bloß noch den Verlust ihres Jobs vorauszusagen, wenn die wirkliche Welt von ähnlicher gläserner Durchschaubarkeit wäre, wie sie in RomComs gezeigt wird. „Selbst ist die Braut“ gehört trotz dieses Umstandes nicht zu den ärgerlichen oder von vornherein zum Ignorieren freigegebenen Vertretern seines Genres. Das Altmodische in Erzählung und Gags wirkt hier nicht wie eine weitere berechnete Ideenausschlachtung, beziehungsweise ideenlose Trttbrettfahrerei, sondern wird durchweg unverkrampft und charmant aufbereitet. Das ganze Geschehen ist von einer gut gelaunten Harmlosigkeit mit ansteckender Wirkung. Nur wenige Minuten werden für die Einführung der gefühlsamputierten Margaret und ihrer bemitleidenswerten Untergebenen genutzt, so dass Sandra Bullock eigentlich zu wenige Szenen gegönnt werden, um eine richtig biestige Zicke zu geben. Der Kontrast des Films gerät dadurch fast schon zu weich, denn im Gegenzug ist auch Ryan Reynolds nicht unterdrückt genug, um die Sympathien voll auf sich zu lenken. So tendiert man irgendwie doch schnell eher in Richtung der Bullock, deren Figur ab der Ankunft in Alaska auch nicht in der Position der Edelzicke gehalten wird, sondern die sich als Etepetete-Städterin in Naturgefilden und unter quietschigen Verwandten durchschlagen muss. Aber sei’s drum, sie ist dabei einfach reizend und liefert mit ihrem Habitus physische Comedy nach Maß, etwa wenn Margaret sich Leitern hinunterquält oder die Familie nach einem leidenschaflichen Kuss mit Andrew verlangt. Dieser genießt es hingegen sichtlich, Herr über seine Chefin zu sein und scheucht und manövriert sie in einige schadenfreudige Situationen. Den strahlenden Traumprinzen, bei dem alles andere als sein Herz an ihn zu verlieren ausgeschlossen ist, gibt Reynolds nicht unbedingt, wirkt auch aufgrund des mit seinem Vater auftretenden Konflikt um die konträren familiengeschäftlichen Auffassungen zum Teil etwas übellaunig und bekommt in seiner Motivation, sich für die Karriere auf die Lüge einzulassen und seine herzensgute Familie damit vor den Kopf zu stoßen, auch nicht gerade den edelsten Charakterzug verpasst. „Selbst ist die Braut“ könnte seine Figuren also durchaus deutlicher und besser nutzen, bügelt diesen fehlenden Feinschliff aber durch das spür- und sichtbar gute Verständnis zwischen Bullock und Reynolds aus. Dahinter steckt eine mehrjährige private Freundschaft der Schauspielkollegen, die ihr Gegen- und Miteinander mit Esprit und Witz ausstattet und nicht nur die gemeinsame Nacktszene zu einer runden und ansehnlichen Sache macht.
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Sehr passabel dosiert „Selbst ist die Braut“ den Einsatz seiner schrägen Charaktere, wie den des Kellner/Verkäufer/Pfarrer/Strippers Ramone, gespielt von Oscar Nuñez, oder Betty White als Grandma Annie, die im Wald einen Ritualtanz aufführt, in den Bullock mit einer denkwürdigen Interpretation des HipHop-Fegers „Get Low“ einsteigt. Die eigentlich überflüssige Rolle von Andrews Ex-Freundin Gertrude, aus der sich für die Handlung rein gar nichts ergibt, ist mit „Watchmen“-Girl Malin Akerman immerhin honigsüß besetzt und die gebürtige Schwedin komplettiert mit ihren 31 Jahren das Generationentrio attraktiver Damen, dem außerdem Bullock (45) und Mary Steenburgen (56) angehören. Gemeinsam mit dem mürrischen Craig T. Nelson garantieren die Akteure und Anne Fletchers patente Inszenierung vergnügliche Zerstreuung, die zwar viel zu spät kommt, um „Selbst ist die Braut“ auch nur in die Nähe eines Genreklassiker zu bringen, für wohlige Erheiterung mit argloser Story vor schöner Kulisse ist aber gesorgt. Der tolerierbare Kitschpegel, bei dem nicht die Flutung des Kinosaals oder Wohnzimmers droht, sowie das wirklich witzige Verhör mit dem beharrlichen Beamten der Einwanderungsbehörde während des Abspanns fallen außerdem positiv auf und alles in allem erreicht der Film eine befriedigende Abschlussnote.
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komplette Review siehe: http://christiansfoyer.wordpress.com/2009/12/11/review-selbst-ist-die-braut/