Vor dem Auftritt übergibt sich der Drummer in die Hand, das Erbrochene stopft er sich in die Hosentasche. Das macht er immer so, die Kotze ist für ihn so etwas wie ein Glücksbringer. Lustig ist das sicherlich nicht, eher eklig und abstoßend. Eine Szene, wie man sie in den zahlreichen, den Direct-to-DVD-Markt verschandelnden American Pie-Epigonen erwartet, aber in einem Film von Peter Cattaneo? Immerhin hat der Regisseur mit seinem Debüt Ganz oder gar nicht um eine Gruppe strippender Arbeitsloser 1997 einen modernen Klassiker geschaffen, der gleich eine ganze Armada von augenzwinkernden Filmen über die problemgebeutelte britische Arbeiterklasse nach sich zog. Nach seinem Erstling inszenierte Cattaneo noch die Ausbrecherkomödie Lucky Break nach einem Roman von Stephen Fry, sowie das einfühlsame Familienrama „Opal Dream“ über ein Mädchen, deren Beziehungen zu ihren imaginären Freunden eine ganze Dorfgemeinschaft im australischen Outback auf Trab halten. Auf dieses Trio folgt nun „The Rocker“, jene Feel-Good-Komödie mit dem Erbrochenen in der Jeanstasche. Eine logische Regiekarriere sieht anders aus.
Vor zwanzig Jahren flog Robert „Fish“ Fishman (Rainn Wilson) aus einer Band, die kurz darauf „Rolling Stones“-ähnlichen Ruhm erlangte. Mittlerweile verdient er als Bürohengst seine Brötchen. Da bekommt der Ex-Rocker die Möglichkeit, in der Garagen-Teenie-Band seines Nerd-Neffen Matt (Josh Gad, 21) als Schlagzeuger bei einem Schulball auszuhelfen. Die Aktion geht zwar nach hinten los, „Fishs“ wildes 80er-Getrommel kommt bei den modernen Kids gar nicht an, doch bei den Proben entstehen folgenreiche Aufnahmen, auf denen „Fish“ nackt zu sehen ist. Auf YouTube avanciert das Video unter dem Titel „The Naked Drummer“ zu einem Knüller, der auch der Plattenindustrie nicht verborgen bleibt. So erhält „Fish“ auf Umwegen doch noch die Chance, sich in die Rock’n‘Roll Hall of Fame einzutragen…
Rainn Wilson (Almost Famous, Das Haus der 1000 Leichen, Juno) zählt zu den Stars der Comedy-Serie „The Office“, der amerikanischen Variante von „Stromberg“. Als „Fish“ haut er nun nicht nur auf seine Drums, sondern auch ordentlich auf den Putz. Für ihn, der den großen Rock-Ikonen der 70er und 80er Jahre nacheifert, bedeutet Rock’n‘Roll in erster Linie, Groupies flachzulegen und Hotelzimmer zu zertrümmern. Ganz anders sieht das bei seinen jugendlichen Bandkollegen aus, die noch die Erlaubnis ihrer Eltern brauchen, um überhaupt auf Tour gehen zu dürfen: Curtis (Teddy Geiger) ist der gutaussehende, aber gequälte Sänger, dessen Musik seine unverarbeiteten Gefühle für seinen nicht-existenten Vater spiegelt. Amelia ist das ironische, postmoderne Punkgirl (Emma Stone, Superbad, House Bunny), das niemals lächelt. Dazu der stereotype Supernerd Matt und „Fish“, der anachronistische Rocker aus dem vorherigen Jahrtausend – und fertig ist das unwahrscheinliche Quartett, das eine Casting-Show nicht besser hätte zusammenstellen können.
Dieses Personal offenbart in den besten Momenten gar – wenn auch nur oberflächliche – Ansätze von Satire, die sich aus den unterschiedlichen Spielarten des Rock in der Pre- und Post-„Nirvana“-Ära speisen. „Fish“ steht für den klassischen Rock, das ekstatische Aus-sich-Herausgehen, das Mick-Jagger-Gehopse und das Abbeißen von Fledermausköpfen. Curtis hingegen ist ein Nachfahre von Kurt Cobain, also jemand, der ohne Sicherheitsgurt in seiner Musik aufgeht. Seine Texte sind ein Katalysator für seine Gefühle, die er im Gegensatz zu den 80er-Größen nur zu gerne offenbart – böse Zungen würden ihn (und Cobain) ein Weichei, seine Texte weinerlich nennen. Am besten bringt dies „Fish“ auf den Punkt, wenn er auf Curtis verängstigte, ich-bezogene Haltung mit Sarkasmus reagiert: „1991 just called. They want their Teen Angst back.“
Leider treibt „The Rocker“ dieses Gedankenspiel nicht sonderlich weit, sondern folgt spätestens ab der Hälfte nur noch einer vorgefertigten Komödienstruktur (Aufstieg, Streitereien, Probleme, Versöhnung, Happy End). Dank der sympathischen Figuren ist das zwar kurzweilig und macht bis auf die absolut unnötigen, nur Hollywood zuliebe eingestreuten Niveaulosigkeiten auch Spaß, aber etwas Besonderes ist „The Rocker“ so zu keinem Zeitpunkt. Als optischer Leckerbissen für das männliche Publikum ist auch noch Christina Applegate (Super süß und super sexy, Flight Girls, Der Anchorman) mit von der Partie. Die Kelly Bundy aus „Eine schrecklich nette Familie“ erdet den abgehobenen Rockzirkus mit einer sehr zurückgenommenen Performance und sieht dabei so süß aus, wie nie zuvor. Ihre Rolle als Curtis alleinerziehende Mutter ist übrigens die einzige, bei der sich der Brite Cattaneo gegen seinen neuen Arbeitgeber Hollywood durchgesetzt hat – obwohl für jeden Komödienerfahrenen alles darauf hindeutet, kommt sie am Schluss nicht mit „Fish“ zusammen.
Fazit: „The Rocker“ ist nicht nur mittelmäßig, sondern auch irgendwas in der Mitte: ein Zwitter aus dem grotesk-kritischen Tonfall britischer Arbeiterkomödien und US-amerikanischem Gross-Out-Humor. Eine Mischung, die im Gegensatz zu „Ganz oder gar nicht“ kaum Nachahmer finden wird, aber zumindest 102 Minuten ordentlich unterhält.