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    Söhne
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Söhne
    Von Christian Horn

    Volker Koepp gilt in Fachkreisen als „Chronist des Ostens“. Immer wieder porträtiert er Menschen und Landschaften Osteuropas, auf der Suche nach Spuren der Geschichte. Seit 1970 dreht er regelmäßig Dokumentarfilme, die nicht selten auf Festivals ausgezeichnet wurden. Seine dokumentarische Methode ist so simpel wie effektiv: Koepp verzichtet auf jegliche Art von Pomp und Effekt, verlässt sich ganz auf seine Protagonisten, lässt sie, die Kamera auf dem Geschehen ruhend, ausführlich erzählen und gibt dem Betrachter somit ausreichend Zeit, das Gehörte und Gesehene selbst zu reflektieren. In „Söhne“ lotet Koepp ein Kapitel deutsch-polnischer Geschichte aus, indem er am Beispiel einer Familiengeschichte von der Generation der Kriegskinder des Zweiten Weltkriegs berichtet.

    Zu Beginn des Films stehen die fünf Brüder, von deren Geschichte der Film erzählt, gemeinsam vor einer Esskastanie. Einer der Brüder bescheinigt dem Baum „wohl die größte Esskastanie“, die er kenne zu sein und die Brüder stellen sich gemeinsam um den Baum herum, um seinen Umfang abschätzen zu können. Dieses Vorspiel, wenn man so will, beschäftigt sich zwar noch nicht mit dem Thema an sich, gibt dem Zuschauer aber reichlich Gelegenheit die Protagonisten von „Söhne“ kennen zu lernen, ihre charismatischen Schrullen und spezifischen Charaktereigenschaften abzulesen. Typisch Koepp eben.

    Die Geschichte der Familie Paetzold könnte aus einem historischen Krimi stammen: 1945 flüchtet Elisabeth Paetzold mit ihren beiden ältesten Söhnen Klaus und Wolf aus Danzig vor den anmarschierenden Russen in Richtung Westen. Eine Flucht mit allen vier Söhnen erscheint ihr zu gefährlich, weswegen die beiden jüngeren Friedrich und Rainer auf dem Gut der Großeltern bleiben, um später – so der Plan – nachgeholt zu werden. Elisabeth kommt bei Verwandten am Bodensee unter, immer von einer schrecklichen Ungewissheit über das Schicksal ihrer beiden zurückgelassenen Söhne gequält. Gleich nach Kriegsende kehrt sie, ihre beiden Söhne suchend, nach Polen zurück (Klaus und Rainer bleiben in einem deutschen Internat) und findet nach einer regelrechten Odyssee ihren Sohn Friedrich bei einer Pflegefamilie in der Nähe von Zoppot. Nach langem Hin und Her wird ihr der Sohn zugesprochen und Elisabeth bittet die Pflegemutter um eine Unterkunft, bis sie wieder zurück reisen wird. Die Pflegemutter willigt ein, doch dann wird Elisabeth überraschend von der polnischen Miliz festgenommen und muss als „deutsche Spionin“ für acht Monate ins Gefängnis. Nach der Haft kehrt sie zum Haus der Pflegemutter zurück, die allerdings – gemeinsam mit Friedrich – unbekannt verzogen ist…

    Die verzweifelte Mutter findet Arbeit als Dienstmädchen bei einer Juristenfamilie in Danzig, die sie bei der Suche nach ihren beiden Söhnen unterstützt. In Danzig finden sich Hinweise auf den jüngsten der Brüder, Rainer. Elisabeth identifiziert das mittlerweile zweieinhalbjährige Kind und darf es 1947 mit nach Deutschland nehmen – Friedrich bleibt weiterhin verschwunden. Von Deutschland aus lässt die Mutter ihren Sohn durch Anwälte suchen. Jahre später wird Friedrich, der nun den Namen Stanislaw trägt und bereits 13 Jahre alt ist, in Polen ausfindig gemacht, entscheidet sich aber dafür, bei seiner Pflegefamilie in Polen zu bleiben. Doch damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende, denn 1959 stellt sich heraus, dass Elisabeth sich bei der Identifizierung ihres Sohnes Rainer geirrt hat. Der „richtige Rainer“ wird in Polen gefunden und emigriert 1977 in die BRD, wo es jetzt zwei gleichnamige Brüder mit identischem Geburtsdatum gibt.

    Und da stehen sie nun vor der Esskastanie: Klaus, Wolf, Friedrich, Rainer und der „richtige Rainer“. Aus dem Off stellt Koepp ihnen Fragen und lässt den Brüdern ausreichend Zeit, die oben skizzierte Geschichte zu erzählen, ihre Empfindungen und Sichtweisen kund zu tun: frühe Kindheitserinnerungen, die verzweifelte Suche der Mutter, das Andenken an den im Krieg verschollenen Vater und anderes. Koepp bringt sie an die Orte des Geschehens, zeigt die Brüder in Szenen mit ihren Ehepartnern und zeichnet so – wie in jedem seiner Filme – ein intensives, ungeschminktes Porträt von Menschen, deren Biografie mit der historischen Entwicklung eng verzahnt ist. Dabei fällt beispielsweise auf, dass Rainer (nicht der „richtige Rainer“) gerne mal eine Kontraposition bezieht oder dass die beiden ältesten Söhne, Wolf und Klaus, sich wohl am differenziertesten mit der eigenen Geschichte befasst haben.

    Ohne Schnitte lässt Koepp seine Protagonisten plaudern, wobei er ihnen auch Pausen des Redeflusses gönnt, teilweise recht lange sogar. Wo viele andere Dokumentarfilmer einen Schnitt setzen würden, bleibt die von Thomas Plenert geführte Kamera auf dem Geschehen ruhen – auch dann, wenn gerade (zumindest scheinbar) nichts passiert. Plenerts Kamera entgeht kaum ein Detail, alles wird eingefangen und den Reflexionen der Zuschauer zur Verfügung gestellt. Die aus Koepp-Filmen bekannten, imposanten Landschaftsaufnahmen fehlen natürlich auch bei „Söhne“, dem besten Koepp seit „Herr Zwilling und Frau Zuckermann“, nicht und laden regelmäßig zum Nachdenken des Berichteten ein.

    Gerade in der heutigen, beschleunigten Zeit fällt die „Ruhe des Blicks“ in den Filmen von Volker Koepp besonders auf. In „Söhne“ gibt es – selbstredend - keinen belehrenden Off-Kommentar, keine musikalische Dramatisierung, keine Berge von Foto- und Archivaufnahmen oder dergleichen, sondern das, was ein Dokumentarfilm leisten kann/ soll/ muss in Reinform: abgebildete Wirklichkeit.

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