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    Nine
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Nine
    Von Christoph Petersen

    Wenn ein Film mit einem Budget von 45 Millionen Dollar mehr als 170 Millionen allein an den amerikanischen Kinokassen einspielt und zudem sechs Oscars (darunter auch „Bester Film“) abräumt, dann muss nach den aktuell in Hollywood geltenden Gesetzmäßigkeiten eigentlich zwingend eine Fortsetzung her. Doch dass man Musicals besser nicht fortsetzen sollte, egal wie erfolgreich sie waren, hat uns Grease 2 schon in den 80er Jahren vor Augen geführt. Und so war Rob Marshall nach dem überwältigenden Erfolg seines Debüts Chicago nicht gezwungen, einen zweiten Teil nachzuschieben. Vielmehr gaben ihm seine Produzenten vollkommen freie Hand, solange er sich nur in ähnlichem Fahrwasser austoben würde. Marshall entschied sich für die Leinwandadaption des 1982 am Broadway uraufgeführten Musicals „Nine“, einer musikalischen Bühneninszenierung von Federico Fellinis selbstreferenziellem Meisterwerk 8 ½. Eine ambitionierte Wahl, die lange Zeit als größte Hoffnung in der Award-Saison 2009/10 galt, sich nach den ersten Vorführungen aber schnell (und zu Recht) wieder aus dem Oscar-Rennen verabschiedete. Das hat einen simplen Grund: Statt mitreißend wie „Chicago“ ist „Nine“ nämlich vor allem eines - langweilig.

    Rom in den 60er Jahren: Mit seinen Filmen hat Meisterregisseur Guido Contini (Daniel-Day Lewis) dem italienischen Kino einst zu internationalem Glanz verholfen. Zuletzt sind seine Werke jedoch reihenweise gefloppt. Mit dem Großprojekt „Italia“ plant er ein Comeback. Doch kurz vor dem Beginn der Dreharbeiten fällt er in ein tiefes kreatives Loch. Ohne fertiges Skript flieht er nach einer Pressekonferenz aus Rom, um den ganzen Trubel endlich einmal hinter sich zu lassen. In den folgenden Tagen, an denen Guido zunehmend verzweifelt, sind es vor allem die Frauen, die auf ihn einwirken: seine Ehefrau Luisa (Marion Cotillard), seine Geliebte Carla (Penélope Cruz), seine Hauptdarstellerin Claudia (Nicole Kidman), seine Kostümschneiderin Lilli (Judi Dench), seine verstorbene Mutter (Sophia Loren), eine Mode-Journalistin von der Vogue (Kate Hudson) und eine Nymphe aus den erotischen Träumen seiner Jugend (Stacy Ferguson)...

    In der Filmstarts-Kritik heißt es, „8 ½“ sei „ein Film, in dem alles vorkommt“. Doch wenn „8 ½“ ein Film über „alles“ ist, dann dürfte „Nine“ ein Film über „wenig bis gar nichts“ durchgehen. Statt seinen Protagonisten wie das Vorbild bis ins kleinste Detail zu sezieren, kratzt „Nine“ bei Guido und seinen Frauengeschichten nur an der Oberfläche herum. Nun lässt sich einem Musical schwer vorwerfen, sich nicht à la Fellini rückhaltlos in selbstreflexive Abgründe zu stürzen, schließlich geht es in diesem Genre nun einmal um die schöne Oberfläche, doch auch hier versagt Regisseur Rob Marshall (Die Geisha). Tolle Kostüme, tolle Sets und tolle Schauspieler ergeben hier nämlich leider noch lange keinen tollen Film, sondern zwar erlesene, aber in letzter Konsequenz ermüdend leblose Bilder. Den eingeschobenen Musical-Einlagen, deren ständiger Wechsel in eine Schwarz-Weiß-Optik den Eindruck einer „Form über Inhalt“-Inszenierung noch verstärkt, geht mit ganz wenigen Ausnahmen jeglicher Drive ab.

    Auch das Prunkstück des Films, die einzigartige Besetzung, bleibt weit hinter den Erwartungen zurück. Ist man vor einem halben Jahr noch davon ausgegangen, die Darsteller würden die Oscars unter sich ausmachen, dürfte es jetzt nicht einmal mehr für eine Nominierung reichen. Daniel Day-Lewis (Im Namen des Vaters, Gangs Of New York, There Will Be Blood) ist zwar gewohnt brillant, doch fällt es schwer, sich länger als eine Viertelstunde für den krisengeschüttelten Regisseur zu interessieren. Der Charakter des Vorzeige-Italieners, der an Gott wie an die Frauen glaubt und für den seine Mutter über allem steht, ist viel zu schnell durchschaut, um das Publikum knappe zwei Stunden lang zu fesseln.

    Bei all den Frauen, die nach und nach in Guidos Leben auftauchen, mag dem Zuschauer jedes Mal wieder die Kinnlade runterklappen, welche Superstars die Produzenten noch für ihr Projekt gewinnen konnten. Doch wirklich etwas zum Film beitragen kann auch der Diven-Auflauf nicht. Der Gesang ist durch die Bank solide, aber nicht außergewöhnlich, Nicole Kidman (Australia) hat etwa in Moulin Rouge bedeutend besser gefallen. Einzig Kate Hudson (Almost Famous) bringt mit dem extra für die Leinwandversion komponierten Song „Cinema Italiano“ etwas Schwung in die Angelegenheit. In Sachen Schauspiel enttäuschen vor allem die vorab hoch eingeschätzten Penélope Cruz (Volver) und Marion Cotillard (Public Enemies), während Judi Dench (Tagebuch eines Skandals) als lebenskluge Schneiderin die meisten Sympathien auf sich vereinigt und Sophia Loren (Oscar für „…und dennoch Leben sie“ von 1960) als überlebensgroße italienische Mama mit ihrem Diva-Image kokettiert.

    Fazit: Rob Marshall hat seine Darsteller in aufwändige Kostüme und seinen Film in erlesene Bilder gehüllt, darüber aber leider vergessen, seine Vision mit Leben zu füllen. „Nine“ hat sich als ernstzunehmender Konkurrent zu Recht frühzeitig aus dem Oscar-Rennen verabschieden und wird im Gegensatz zu „Chicago“ wohl auch nur den Platz einer Randnotiz in den Musical-Annalen einnehmen.

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