Johnny Depp ist ein Kultstar – und das liegt nicht nur an Captain Jack Sparrow, sondern ebenso an seiner schrägen Performance als bedröhnter Gonzo-Journalist Raoul Duke in Terry Gilliams „Fear and Loathing in Las Vegas". In der Hunter-S.-Thompson-Verfilmung von 1998 schuf Depp einen großartigen Antihelden, der zwischen die Fronten des irrlichternden Spät-Hippietums und einer offen mit dem Faschismus liebäugelnden Obrigkeit gerät, während er eigentlich nur so schnell wie möglich high werden will. Bis zum Selbstmord des Autors waren Depp und Thompson auch privat dicke Kumpel und so war klar, dass Depp auch in „The Rum Diary" wieder mit dabei sein wollte. Nach etlichen Dreh- und Veröffentlichungsverschiebungen kam Bruce Robinsons Verfilmung des früh verfassten aber spät veröffentlichten Thompson-Werkes 2011 endlich in die US-Kinos – und wurde zum bitteren Flop. Hat Disney Depps PR-Arbeit eingeschränkt, um ihre familientaugliche „Fluch der Karibik"-Marke frei von schmutzigen Alkohol- und Sex-Assoziationen zu halten? Oder war der Film trotz Depps Starpower nicht zeitgeistig oder schlichtweg nicht aufregend genug? Wie so oft liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte – der etwas unentschiedene Genremix „The Rum Diary" ist ein unterhaltsamer Ausflug in die Karibik, ein euphorisierendes Erlebnis oder gar ein zweiter „Fear and Loathing in Las Vegas" ist Robinson aber leider nicht geglückt.
Paul Kemp (Johnny Depp) hat die Schnauze voll vom sittlich wie moralisch verlogenen Eisenhower-Amerika und macht sich 1959 auf nach Puerto Rico. Im schwülen San Juan heuert er bei einem mit US-Geldern finanzierten Schmierblatt an. Auch wenn ihn der zugeknöpfte Chefredakteur Lotterman (Richard Jenkins) zu Beginn noch über die strenge Arbeitsmoral unter seiner Knute hinweist, sieht die Realität bald anders aus. Die meiste Zeit verbringt Kemp damit, sich nach wenigen Arbeitsstunden in den Spelunken von San Juan herumzutreiben, mit seinen ebenfalls reichlich demotivierten Kollegen Moberg (Giovanni Ribisi) und Sala (Michael Rispoli) die Zeit totzuschlagen und sich hochprozentigen Rum hinter die Binde zu kippen. Als er sich zwischen Komasuff, Hahnenkampf und Voodoo-Ritualen in Chenault (Amber Heard), die Geliebte des schneidigen Unternehmers Sanderson (Aaron Eckhart), verguckt, kommt Bewegung in seinen schrägen Alltag...
Um gleich alle falschen Erwartungen im Keim zu ersticken: „The Rum Diary" ist nicht „Fear and Loathing in Las Vegas – Episode 1". Depps Rolle basiert zwar wie schon Raoul Duke auf Hunter S. Thompson selbst, ein derartiger Drogenfreak ist Kemp aber keineswegs – so gibt es hier auch keine psychedelischen Irrfahrten à la Terry Gilliam zu sehen. Statt „Gras, Mescalin, extrastarkes Acid, Kokain, Uppers, Downers, Heuler und Lacher" wird hier vor allem hochprozentigem Fusel zugesprochen und so ist auch die Bildsprache von „The Rum Diary" eher verkatert als visionär. Am besten funktioniert Bruce Robinsons etwas fadenscheiniger Thompson-Nachklapp tatsächlich dann, wenn er erzählerisch auf der Stelle tritt und sich auf seine eher lose erzählte Vorlage beruft – also auf die Geschichte eines jungen Mannes, der sich auf der Flucht vor den moralisch bankrotten USA im selbstherrlichen Alkoholrausch an exotischen Kulissen selbst finden will.
Im Herzen ist Thompsons biografisch angehauchtes Suff-Tagebuch ein fiebriges Coming-of-Age-Kleinod mit offensichtlichen Hemingway-Hommagen. Hier müssen Männer die Ferne suchen und sich bei brütender Hitze Hochprozentiges geben, um zwischen Katerfrühstück und Nachdurst ihre Mitte zu finden. Für den jungen Mann auf der Schwelle zur Reife ist Depp trotz massivem Botox-Einsatz auf Nicolas Cage-Niveau einfach nicht mehr der richtige. Das muss auch Regisseur und Autor Robinson geahnt haben. Zumindest ließ er den zornigen Protagonisten in seiner Adaption zum relaxten Dandy mutieren. Da sich bloß mit saufenden Journalisten und verpeilten Deadlines aber kaum ein Spielfilm füllen lässt, musste noch eine Love-Story ins Drehbuch gequetscht werden.
Nennenswerte Fallhöhe erhält Kemp damit nicht, eher steht der Einschub symptomatisch für die Einfallslosigkeit, mit der Thompsons Text hier auf „abendfüllende Kinounterhaltung" gebürstet wird. Der wilden Vorlage wird die Adaption so nicht gerecht, dabei wäre Robinson eigentlich der richtige Mann für die Weltflucht-Eskapaden des Thompson-Alter-Egos Kemp gewesen. Schließlich hat er schon 1987 mit „Withnail and I" bewiesen, wie zielstrebig und ungeschönt er die Verweigerungshaltung zorniger Nonkonformisten umzusetzen versteht. Hier jedoch wirkt seine Regie wie ein uninspirierter Dienst nach Vorschrift.
Anerkennung verdient wiederum Johnny Depp, der hier endlich wieder schauspielert, statt sich in den Manierismen zu verlieren, die er bei Tim Burton oder als Jack Sparrow einstudiert hat. Auch Kemp verleiht er ein paar kleinere Spleens, driftet dabei aber nie in selbstzweckhafte Exzentrik ab. „The Rum Diary" ist Depps erfolglosester, gleichzeitig aber schauspielerisch bester Auftritt seit Jahren. Durch Overacting fällt hier eher Giovanni Ribisi („Avatar - Aufbruch nach Pandora") auf, insbesondere neben dem konzentrierten Spiel eines Richard Jenkins („Six Feet Under"), womit er gelegentlich wie ein Fremdkörper zwischen all den angenehm reduzierten Darstellungen wirkt. Auch Aaron Eckhardt („World Invasion: Battle Los Angeles") in der undankbaren Rolle des schnöseligen Nebenbuhlers gefällt – und man wundert sich einmal mehr, warum der „The Dark Knight"-Schurke noch immer auf seinen Durchbruch warten muss.
Fazit: Bruce Robinsons „The Rum Diary" ist ein hübsch anzuschauendes mit einer Liebesgeschichte garniertes Trinker-Drama, aber auch eine Enttäuschung auf hohem Niveau. Mit etwas mehr Mut zum Stilbruch und zur Abgründigkeit, für die Hunter S. Thompson als Person, Journalist und Autor bekannt war, wäre „Rum Diary" möglicherweise der Kultfilm geworden, auf den so viele gewartet haben.