Die Machtergreifung und der Aufstieg Adolf Hitlers zählen zu den Lehrstoffen, mit denen deutsche Schüler gefühlt in jeder einzelnen Klassenstufe konfrontiert werden. In den Geschichtsbüchern lesen sie von Schleicher, Himmler und Goebbels. Das intensive Studium des Nationalsozialismus soll den Jugendlichen klar machen, dass etwas Vergleichbares auf keinen Fall noch einmal passieren darf. Ein ähnliches Ziel verfolgt auch Robert Youngs Drama „Eichmann“. Doch der Erklärungsversuch der perfiden Tötungsmaschinerie der Nazis unter der Führung von Adolf Eichmann scheitert, weil die britisch-ungarische Produktion die nationalsozialistische Ideologie und ihre brutalen Mechanismen mitunter als rätselhaftes Handeln von geisteskranken Charakteren statt als systemimmanente Abartigkeit darstellt.
1960 greifen israelische Agenten Adolf Eichmann (Thomas Kretschmann) in Argentinien auf und entführen ihn nach Israel. Dort erwartet den ehemaligen SS-Obersturmbannführer – anders als in Deutschland – die Todesstrafe. Im Zweiten Weltkrieg koordinierte er die Vertreibung und Deportation der Juden und schickte dabei Millionen von Menschen in den Tod. Captain Aivner Less (Troy Garity) verhört den Kriegsverbrecher, doch er tritt auf der Stelle: Eichmann weigert sich vehement, ein Geständnis abzulegen. Er behauptet, nur ein kleines Rädchen im Getriebe gewesen zu sein und lediglich Befehle von oben ausgeführt zu haben. Fieberhaft arbeit das israelische Team daran, schriftliche Beweise für Eichmanns Schuld in Nazidokumenten ausfindig zu machen…
Der überwiegend auf TV-Produktionen abonnierte Regisseur Robert Young („Die Abenteuer des jungen Indiana Jones: Spionage Eskapaden“) beginnt seinen Film vielversprechend: Eine traurige Melodie zu einer atmosphärischen Diashow stimmt den Zuschauer auf die kommenden Verhöre ein. Wer Sophie Scholl - Die letzten Tage gesehen hat, hat bald ein Déjà-vu: In einem dunklen Verhörzimmer sitzen sich die Kontrahenten lauernd gegenüber, stets auf Fehler des Anderen bedacht. Young filmt diese Szenen mit einem Filter, der nahezu alle Farben aus den Gefängnisszenen heraussiebt. Um den grausamen Geschehnissen hinter den Vorwürfen mehr Leben einzuhauchen, nimmt Young stets den Filter von der Linse, wenn er Szenen aus Eichmanns Karriere in der NSDAP zeigt. Auf diese Weise arbeitet er simpel, aber effektiv die Figur des brutalen Mörders ohne Gewissen heraus und liefert zugleich einen entlarvenden Kontrast zu den herunterspielenden Aussagen des Nazi-Verbrechers.
Mit den Rückblenden wählt Young zwar das ideale Mittel, um die langwierigen Verhöre aufzulockern, doch deren Inhalt ist mitunter fragwürdig. Obgleich die Darstellung der Judentransporte meist angemessen ausfällt, verfehlen die Szenen über Eichmanns Liebschaften ihr Ziel zum Teil gründlich. Wenn der Transportführer mit einer Adeligen anbandelt und diese sich lüstern vor ihm auszieht, sich nackt auf seinen Schoß setzt und ihm lasziv einflößt, dass er noch mehr Juden töten müsse, etabliert der Film ein Rätsel, anstatt Erklärungen anzubieten. Eichmann soll von einer dominanten Adeligen zu noch grausameren Taten angestachelt worden sein, da es sie sexuell erregt, wenn sich jemand zum Herrscher über eine andere Rasse erhebt? Das riecht - gelinde ausgedrückt - nach einem billigen Hollywoodklischee, das man so vielleicht in einem James-Bond-Abenteuer erwarten würde.
Genau wie auf diese fragwürdige Szene hätte man besser auch auf die Familiengeschichte des israelischen Captains verzichtet. Seine Frau (Franka Potente, Lola rennt) sorgt sich um ihren Mann und während der monatelangen Verhöre hat Less nur wenig Zeit für seine Kinder. Weiter bringen diese Einschübe die Geschichte kein Stück. Der einzige Teil der Familiengeschichte, der tatsächlich von Bedeutung ist, ist die Unterschrift Eichmanns unter einen Deportationsbefehl, der den Vater von Less nach Auschwitz brachte. Dies hätte sich aber sicherlich auch ohne das ständige Unterbrechen der Handlung, um Familienprobleme auszuwalzen, unterbringen lassen.
Die Duellanten Thomas Kretschmann und Troy Garity überzeugt hingegen in den atmosphärischen Verhörszenen. Die Befragungen selbst sind trotz stetiger Unterbrechungen gelungen umgesetzt. Das Drama punktet außerdem in Sachen Geschichtsaufbereitung: Immerhin beleuchtet der Film eine der Schlüsselfiguren der Judendeportation. Leider vermeidet es Regisseur Young, Eichmanns Handeln auch nur im Ansatz zu erklären. Stattdessen appelliert er im Abspann mittels eines Off-Kommentars an den Wert von Demokratie. Die Stimme betont, dass es ein Drittes Reich nie wieder geben dürfe. Obwohl jedes Wort der kurzen Rede stimmt, wirkt dieser letzte Versuch, die Aussage von „Eichmann“ noch hinzubiegen, eher kläglich.