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    Stille Sehnsucht - Warchild
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,0
    schlecht
    Stille Sehnsucht - Warchild
    Von Christoph Petersen

    Schon während im Vorspann die geldgebenden Filmförderungen und Fernsehsender eingeblendet werden, sind aus dem Off die ersten Gewehrschüsse zu vernehmen. Natürlich sollen diese auf das folgende Kriegsszenario vorbereiten, aber böse Zungen könnten sie auch als Salutschüsse an die Fördergremien missverstehen. Hat man doch nach den 103 Minuten von Christian Wagners Drama „Warchild“, dem nach dem Kurzfilm „Zita“ zweiten Teil seiner „Balkan Blues Trilogy“, das merkwürdige Gefühl, dass das Drehbuch mit seinem falschverstandenen Weltschmerz und seiner überkonstruierten Dramaturgie doch eigentlich nur für diese und nicht etwa das Publikum, an dem der Film vollends vorbeiläuft, geschrieben wurde.

    Senada (Labina Mitevska) hat die Hoffnung nie aufgegeben. Gerade einmal zwei Jahre war ihr Baby Aida alt, als sie es Mitte der 90er Jahre in den Wirren des Krieges verloren hat. Ihr Ex-Mann Samir (Senad Basic) hat zwar selbst jahrelang nach Aida gesucht, hatte aber keinen Erfolg. Als Senada durch einen Zeitungsartikel erfährt, dass damals viele kranke Kinder ins Ausland gebracht wurden, klammert sie sich an diesen letzten Strohhalm und schafft es mit Hilfe einer Schleuserbande schließlich bis nach Italien. Von dort geht es über Österreich weiter nach Deutschland, wo sie in Ulm endlich auf ihre erste heiße Spur stößt – die Jugendamt-Mitarbeiterin Frau Jadrasko (Katrin Sass) erinnert sich an einen Fall, der zu Senadas Beschreibungen passt. Doch Aida heißt mittlerweile Kristina (Joelle Ludwig), wurde von deutschen Eltern adoptiert und nach geltendem Recht hat Senada damit jegliche Ansprüche auf ihre Tochter verloren…

    Man stelle sich vor: Eine bosnische Frau, die die vergangenen zehn Jahre mit der Suche nach ihrem im Krieg verschollenen Kind verbracht hat, kämpft sich schließlich bis nach Deutschland durch, wo sie ihre Tochter wohl behütet bei sie liebevoll umsorgenden Adoptiveltern vorfindet. Wenn man dem Zuschauer dann noch alle drei Parteien mit dem gleichen Maß an Sympathien näher bringen würde, ergäbe sich ein hochinteressanter Konflikt, der gerade deshalb so spannend ist, weil es innerhalb bestehender politischer und juristischer Grenzen eigentlich keine Möglichkeit gibt, ihn für alle Seiten gleichermaßen zufrieden stellend aufzulösen – auch das Publikum wüsste dann nicht, wem es nun die Daumen drücken soll, ihm würde so die Ausweglosigkeit dieses Dilemmas knallhart vor Augen geführt.

    Was aber macht Drehbuchautor Edin Hadzimahovic? Kristina ist im ganzen Film nur in zwei bis drei kurzen Szenen überhaupt zu sehen, wird ansonsten unter einer schweren Eishockey-Ausrüstung versteckt und erhält nicht das kleinste bisschen eigenen Charakter – so ist die Perspektive des Kindes schon einmal komplett ausgespart. Das zweite Treffen von Senada und Herrn Heinle endet in einer Quasivergewaltigung und Frau Heinle wird als arrogante, durchgehend gefühlskalte Oberschichten-Bitch vorgeführt – diesen Leuten würde man sein Kind trotz ihres großen Hauses nun wirklich nicht anvertrauen wollen. Dazu verpasst man Senada noch traurige Rehaugen und schon ist das nicht aufzulösende Dreieck auf eine einfache Schwarz-Weiß-Gegenüberstellung reduziert.

    So gibt Regisseur Wagner dem Zuschauer die Lösung des Konflikts schon fest vor, bevor dieser überhaupt weiß, worum es eigentlich geht. Ohne die Möglichkeit zum selbstständigen Denken verschwindet die Aussage von „Warchild“ in der absoluten Bedeutungslosigkeit und das Publikum kann sich die Zeit bestenfalls noch damit vertreiben, in Wagners undifferenziertes Einprügeln auf das deutsche Adoptivrecht, das das Kindeswohl an die allererste Stelle setzt, mit einzustimmen. Oder noch besser: Er wendet sich so schnell wie möglich von der manipulativen Art des Films ab. Unter einer Deutscharbeit hätte gestanden: Leider komplett am Thema vorbeigeschrieben. Note 6.

    Aber nicht nur thematisch, auch dramaturgisch bekommt „Warchild“ kein Bein auf den Boden. So bringen die ersten vierzig Minuten, in denen Senada in Sarajewo ermittelt und nach Italien geschleust wird, weder die Geschichte noch die Figur merklich voran. Hier ging es wohl viel eher darum, möglichst viele auf dem Balkan spielende Szenen zu integrieren, um so einfacher die Fördergremien von dem Projekt überzeugen zu können. Auch später findet Wagner keine klare Linie mehr, beschleunigt immer wieder von kleinen Nuancen auf überzogenen Kitsch in nur 3,5 Sekunden. Inszenatorisch kommt „Warchild“ größtenteils ohne besondere Einfälle aus. Probiert Wagner aber dann doch mal etwas Spektakuläreres aus, geht es meist komplett in die Hose. So wirkt die Vergewaltigungsszene mit ihrer schwankenden Glühbirne wie aus einem schlechten Horrorfilm geklaut. Und die emotionaleren Momente stellen mit ihrer Zeitlupe samt sakraler Musikuntermalung selbst die meisten vor Pathos triefenden US-Schmachtfezen noch in den Schatten.

    Hinzu kommen noch störende Ungenauigkeiten, die einem, wenn überhaupt noch vorhanden, auch die letzte Lust am Film rauben. So können Samir und Senada gerade so das Geld für ihre Schleusung bezahlen, dennoch steht auch er nur kurze Zeit später vor ihrer Tür in Ulm. Auch der Schleuser selbst, der zuvor noch abweisend war und sich aus allem Gefährlichen herausgehalten hat, taucht auf einmal in der Domstadt auf und ist anscheinend zu allem bereit. Auch die Szene, in der Senadas Pension von einem kompletten SWAT-Team! gestürmt wird, stößt sauer auf – hier flüchtet sich Wagner mal wieder auf einen seiner vielen überflüssigen Nebenkriegsschauplätze und beginnt auch noch eine kurze, absolut haltlose Kampagne gegen Polizeigewalt. So bleibt Labina Mitevska, die ihre Rolle gegen alle filmischen Widerstände mit einer ungeheuren Menge Charme versieht, das einzig Positive an „Warchild“. Im Endeffekt zeigt dieses aber auch nur noch deutlicher auf, welch großes Potential hier eigentlich total unnötig in den Wind geschossen wurde.

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