Kulinarische Genüsse und erwachende Gefühle, das allein ist schon aufgrund seiner Symbolkraft ein gefundenes Fressen für die große Kinoleinwand. In allen erdenklichen Variationen wurde das Sujet schon durchgespielt, in Werken aus allen Kontinenten. Michael Hofmann schickt seine Gourmets nun in seinem Drama „Eden“ in den gleichnamigen Garten, der, wie wir alle wissen, nicht nur Verführerisches, sondern auch bittere Erkenntnisse bereithält. Damit gelingt es dem Autorenfilmer, das Thema um eine Perspektive zu erweitern und dabei dem Publikum erst das Wasser im Munde zusammen laufen und später schwer schlucken zu lassen. Ein Film, der sich leise heranschleicht um dann ungeahnte Dynamik zu entwickeln.
Der massiv gebaute Gregor (eine reine Freude: Josef Ostendorf) ist Gourmet mit Leib und Seele. In einem kleinen Kurort im Schwarzwald geht der zurückgezogen lebende Mann seiner Leidenschaft nach, ohne großes Aufhebens von seinen kulinarischen Verführungskünsten Gebrauch zu machen. Als sich eine verheiratete namens Eden (Charlotte Roche) ungefragt in seine Küche und damit in sein Leben drängt, hat das ungeahnte Folgen. Zögerlich beginnt er, sein Heiligtum aus Töpfen und Pfannen zu teilen. Die emotional verkümmerte Frau mit dem unsäglichen Outfit blüht durch die Gaumenfreuden und die rein platonische Freundschaft zu Gregor auf. Das entgeht selbst ihrem Mann (Devid Striesow) nicht, der mit seinen eigenen Träumen und Sehnsüchten auch die seiner Familie längst begraben hat. Getrieben nicht zuletzt von der Angst vor dem Verlust seines Status in der Kleinstadt, nimmt er den Kampf um seine Frau auf.
Von außen betrachtet würde man Gregor sicher nichts Großes zutrauen, gerade wegen seines voluminösen Körpers. Aus dem Off räumt er allerdings gleich mit einigen möglichen Missverständnissen auf: Jedes Gramm an seinem Körper hat er sich hart erarbeitet, Essen ist sein Lebenselixier in jeder Hinsicht. Wer es als reine Nahrungsaufnahme sieht, vergisst seine kulturellen und sensuellen Qualitäten. Dass dem Ganzen eine zwanghafte Komponente beiwohnt, ahnt man beim Auftreten Edens. Als Kellnerin ist sie ein Objekt seiner Begierde und unterliegt gleichzeitig seinen strengen Kriterien des ganzheitlichen leiblichen Genusses. So lieblos, wie sie ihren geschmacksarmen Kaffee serviert, ist sie an sich inakzeptabel. Über Edens Tochter Leonie (Leonie Stepp), die das Down-Syndrom hat, finden die beiden doch einen Weg zueinander.
Hofmann, der nach mehreren Kurzfilm mit „Der Strand von Trouville“ (1997/98) auf sich aufmerksam machte, beobachtet mit großer Ruhe, wie die holprig beginnende Beziehung beiden eine Tür öffnet, ihr bisheriges Leben zu hinterfragen und Neues zu erproben. Dabei schwingt der Eros seicht mit durch den Raum, versteckt sich in den Speisen und weckt Sehnsüchte. Wie unsicher der bis dahin asexuell lebende Gregor sich dabei seiner eigenen Gefühle wird, macht der wunderbare Josef Ostendorf in kaum wahrnehmbaren Änderungen der Mimik und des Blicks deutlich. Seit jeher gewöhnt daran, Frauen als unerreichbare Projektionen seiner Vergötterung der eigenen Mutter nur aus der Ferne zu erleben, wird er durch Edens forsche Art, auf ihn zuzugehen, verwirrt. Und verletzt. In ihrem Überschwang an Lebensfreude, die Gregor auf unverhoffte Art in ihr Leben bringt, verliert die so sensibel wirkende Frau jedes Gefühl dafür, was er sich von ihr erhofft. Charlotte Roche so völlig gegen ihr Image als Enfant Terrible der deutschen televisionären Unterhaltungskultur zu besetzen, überrascht und funktioniert, auch wenn sie schauspielerisch neben Ostendorf manchmal etwas blass wirkt. Das Außergewöhnliche und Auffällige wie z. B. die Lesung aus einer Doktorarbeit über Penisverletzungen bei Masturbation mit Staubsaugern liegt der 1978 in Großbritannien geborenen „Queen of German Pop Television“, wie Harald Schmidt sie gerne betitelt, offensichtlich doch mehr.
Die Dynamik, die das Geschehen nach diesen zarten Anfängen nimmt, kommt unerwartet und mit Wucht. In den irrationalen Handlungen der Personen, allen voran Edens Mann Xaver, entlädt sich der Druck, den gesellschaftliche Erwartungen bis in die Intimsphäre hinein aufbauen. Xaver, überzeugend gespielt von Devid Striesow, wirkt nur dann sicher, wenn das Bild, das er abgibt, nach außen hin korrekt ist. Seine ebenso belanglose wie unbefriedigende Animation der Kurgäste zu Gesellschaftstanz und Wassergymnastik steht dabei sinnbildlich für die immerwährende leidenschaftslose Gleichförmigkeit seines Alltags. Als die Ereignisse jedoch eine eigene Entscheidung von ihm verlangen und Eden sich gegen den Druck wehrt, bloß nicht aufzufallen, verliert der Mann seinen Halt. Hofmann verwebt gleich mehrere Psychogramme zu einer funktionierenden Geschichte, in der das Zusammenwirken von persönlichen und sozialen Effekten einen Spannungsbogen ergibt, der für die Filmdramaturgie ungewöhnlich ist. Mit wenigen Szenen gelingt es ihm, die Persönlichkeit jeder Figur nachvollziehbar zu gestalten, ohne sie damit zu entschuldigen. Den unerwarteten Schritt von der zarten Romanze zum Beziehungsdrama geht man mit, weil der Umschwung auf leisen Sohlen daherkommt und dennoch durch die Charakterisierung der Personen glaubwürdig vorbereitet ist. Der wohl dosierte Wechsel zu einer Erzählperspektive aus der Ich-Perspektive mit Kommentaren führt vor Augen, wie diese so in sich gekehrte Person durch ihre stille Konsequenz die Handlung vorantreibt.
Jutta Pohlmanns Kamera bleibt dagegen in der Position des scheinbar neutralen Betrachters und geht dabei oft nah an ihre Objekte heran. Ohne Showeffekte wird dadurch die Drastik der Ereignisse deutlich, ohne allerdings die Hierarchien dabei spürbar werden zu lassen. So gewinnt die Bildgestaltung selten eine eigene Bedeutung, sondern begnügt sich damit, dabei zu sein. Nicht unbedingt leichte Kost, die Hofmann da serviert, ebenso verführerisch wie entlarvend und dabei sehr anregend und mit interessantem Nachgeschmack.