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    Standard Operating Procedure
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,5
    enttäuschend
    Standard Operating Procedure
    Von Andreas Staben

    Im Frühjahr 2004 gingen jene mittlerweile legendären Fotos aus Abu Ghraib um die Welt, die Misshandlungen und Erniedrigungen irakischer Gefangener durch amerikanische Soldaten zeigen. Die von erhitzten Debatten begleitete offizielle Untersuchung der Vorfälle führte schließlich zu Gefängnisstrafen und der Entlassung einer Handvoll Militärangehöriger, die auf den Fotos zu sehen sind. Diese Täter, die überwiegend eher niedrige Ränge bekleideten, wurden von der Führungsebene als „faule Äpfel“ bezeichnet, ihr Verhalten als Ausnahme hingestellt. Die Enthüllungen aus Abu Ghraib haben dennoch ähnlich wie die Zustände in Guantanamo nachhaltig die Grundlagen und die Maßstäbe für den amerikanischen Krieg gegen den Terror in Frage gestellt. Ausgehend von den Fotografien aus dem vom US-Militär übernommenen und zum Verhörzentrum gemachten irakischen Gefängnis, versucht der Oscar-Preisträger Errol Morris (The Fog of War, „Eine kurze Geschichte der Zeit“) die Ereignisse zu rekonstruieren. Seine nach mehrjähriger Recherche im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale vorgestellte Dokumentation „Standard Operating Procedure“ war der Jury ihren Großen Spezialpreis wert, während viele Kritiker erhebliche Einwände formulierten. Auch die in Berlin vertretenen FILMSTARTS.de-Redakteure bemängelten Morris' Infotainment-Methoden zu Recht als fragwürdig und beklagten den kaum vorhandenen Erkenntnisgewinn.

    Im Zentrum von „Standard Operating Procedure“ steht eine Materialauswahl aus sehr umfangreichen Interviews, die Morris mit fünf der sieben Verurteilten und weiteren in Abu Ghraib tätigen Amerikanern geführt hat. Neben den Angehörigen der 372. MP Company, die ab Oktober 2003 im Rahmen einer neuen Verhör- und Antiwiderstandsstrategie in Abu Ghraib eingesetzt wurde, kommen vor allem Brigadier General Janis Karpinski, der zivile Verhörbeauftragte Tim Dugan und der Ermittler der Anklage Brent Pack, der die Fotos für das Militärgerichts analysierte, zu Wort. Die Äußerungen der Zeugen und Täter fängt der Regisseur mit seiner schon in The Fog of War angewandten „Interrotron“-Technik ein, die sowohl Morris als auch den Zuschauern den Augenkontakt mit den direkt in die Kameralinse schauenden Interviewten ermöglicht. Die Fragen und Kommentare des Regisseurs haben bis auf ganz wenige Ausnahmen nicht den Weg in den Film gefunden. Morris setzt auf Erlebnisberichte aus erster Hand, die weitgehend in loser Folge montierten Segmente werden ergänzt durch Auszüge aus den Briefen, die Specialist Sabrina Harman aus Abu Ghraib an ihre Lebensgefährtin schrieb. Hinzu kommen natürlich die Fotos selber. Die Materialsammlung vermittelt einen Eindruck von den Vorgängen, aber erhellt nicht die tieferen Zusammenhänge. Vielmehr verwischt und vermischt Morris das entstehende Bild mit zum Teil unsäglichen Nachstellungen, Spielszenen und Illustrationen.

    Massenverhaftungen, Entführungen von Kindern zur Dingfestmachung der Väter, Erniedrigung von Gefangenen, Schlafentzug und Dauerbeschallung mit Country-Musik: Im ständig unter Mörserbeschuss liegenden und überfüllten Abu Ghraib herrschte Ausnahmezustand. Der Anklagevertreter Brent Pack demonstriert demgegenüber mit kühler Präzision seine Aufgabe an einigen Fotos. Er musste nach Prüfung der Umstände entscheiden, ob die Aufnahmen eine kriminelle Handlung beweisen oder ob auf ihnen lediglich eine „Standard Operating Procedure“ festgehalten ist, also ein Standardverfahren, ein Verhalten innerhalb der für die Soldaten geltenden Normen. So ist etwa sexuelle Erniedrigung wie beim Zwang zur Masturbation ein Vergehen, aber die berühmte Aufnahme eines Gefangenen, der mit verhülltem Kopf auf einer Kiste steht und an dessen Körper Drähte angebracht sind, verweist nur auf ein Standardverfahren. Es wurden zwar Stromstöße angedroht, entscheidend für die Einstufung sei aber der Umstand, dass die Drähte keinen Strom führten. So werden unzweifelhafte Grausamkeiten per willkürlicher Definition zur Normalität. Tim Dugan äußert die Vermutung, dass die Angeklagten letztlich weniger für ihre Taten selbst bestraft wurden als vielmehr dafür, sie fotografiert zu haben. Bezeichnenderweise wurde nach Aufnahme der Ermittlungen eine kurzzeitige Amnestie erlassen, die es weiteren Beteiligten ermöglichte, etwaige Fotobeweise zu vernichten, ohne selbst Strafen befürchten zu müssen. Die konkrete Untersuchung der Machtstrukturen, die solche Zustände ermöglichen, interessiert Morris kaum, er beschwört stattdessen mehr als einmal die Vieldeutigkeit der fotografischen Medien und setzt uns zum Beleg hochglanzpolierte unsinnige Nachinszenierungen vor, die noch am ehesten der Verschleierung Vorschub leisten.

    Die Frage nach der Verantwortung ist in „Standard Operating Procedure“ dennoch immer präsent. Die von ranghohen Militärs und führenden Politikern vorgebrachte Behauptung, dass sich die Zustände in Abu Ghraib in Übereinstimmung mit der Genfer Konvention befunden hätten, ist gelinde gesagt unverfroren. Die „faulen Äpfel“ selbst sehen sich als Sündenböcke, sie sind empört und ernüchtert. Es ist auffällig, wie sie ihre individuelle Verantwortung durch Hinweise auf die Hierarchie, auf Befehlsgehorsam und eigene Todesängste zu relativieren suchen, ohne dabei die Taten zu leugnen. Ihre Aussagen sind psychologisch sehr aufschlussreich. In den Schilderungen der bekanntesten Angeklagten, der damals 20-jährigen Lynndie England, offenbart sich hinter einer erstaunlichen Mischung aus Naivität, Überforderung und Kälte eine regelrechte Seifenoper. Ihre notorische Pose - eine Aufnahme zeigt, wie sie einen nackten Gefangenen an der Leine hält – nahm sie aus Liebe zum Fotografen Charles Graner ein, der sie später schwängerte, gleichzeitig aber auch ein Verhältnis mit der mitangeklagten Kameradin Megan Ambuhl unterhielt, mit der er heute verheiratet ist.

    Errol Morris setzt den verschwommenen Kriterien der politischen Führung, der Militärgerichtsbarkeit und den Angeklagten keinen eigenen Standpunkt entgegen. Ganz im Gegenteil lässt er den Film in der ästhetischen Indifferenz versinken. Morris bezeichnet „Standard Operating Procedure“ als nicht-fiktionalen Horrorfilm – ein entlarvendes Attribut. Es genügt ihm nicht, die schockierenden Fakten sachlich zu dokumentieren, er setzt stattdessen auf die ganze Bandbreite inszenatorischer Kunstgriffe, um die Wirkung zu verstärken. Während wir erzählt bekommen, wie Saddam Hussein sich ein Spiegelei briet, sehen wir ebenso kunstvolle wie alberne Zeitlupen-Aufnahmen eines Eis, das in eine Pfanne gehauen wird. Viele der Nachstellungen folgen den Konventionen des Horror-Thrillers so genau, dass sie vom Thema des Films nur ablenken statt es zu kommentieren. Endlos scheinende Großaufnahmen zähnefletschender Hunde und das Stakkato von Schüssen auf der Tonspur verstärken nicht den Schock, sondern banalisieren im Gegenteil das empörende Geschehen.

    Spätestens wenn Morris in Zeitlupe das Blut aus einem nach allen Regeln der Make-Up-Kunst präparierten malträtierten Gesicht tropfen lässt, ist eine Grenze überschritten. Diese Bilder könnten auch aus Saw oder Hostel stammen und sind einer Dokumentation realen Leidens unwürdig. Durch die permanente Überinszenierung, die von Kameramann Robert Richardson (JFK, Aviator) und von Danny Elfmans (Spider-Man, Batman) Hollywoodscore tatkräftig mit vorangetrieben wird, untergräbt Morris sowohl seine Glaubwürdigkeit als auch seinen aufklärerischen Anspruch. Mit einer Armada von Tiertrainern, Stuntleuten, Maskenbildnern und Schauspielern wird die Dokumentation zum Spektakel gemacht, was unnötigerweise selbst den Wert der aufwändigen Informationssammlung in Frage stellt. Morris mag womöglich so etwas wie eine Reflexion über die Natur des Mediums vorgeschwebt haben, erreicht hat er eine für die Veränderungen des nicht-fiktionalen Erzählens typische Multiplikation bedeutungsloser Bilder, die immer mehr zum Standardverfahren wird. Dass dabei leicht der Eindruck fehlenden Respekts gegenüber den Opfern der dargestellten Taten entstehen kann, ist offensichtlich.

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