Das Langfilmdebüt des Briten Gerald McMorrow gehört zu jenen Filmen, die einen entweder unbeeindruckt zurücklassen oder sofort eine angeregte Diskussion zwischen den Zuschauern in Gang setzen. McMorrow greift vier scheinbar unabhängige Handlungsstränge auf, wobei jeder von einem hochkarätigen Akteur wie Eva Green, Ryan Phillippe, Bernard Hill oder Sam Riley angeführt wird. Die sehr breite Melange aus Sci-Fi, Thriller, Drama, Comic und Dystopie geht es ausnehmend gemächlich an, bleibt lange kryptisch und vermag es nicht, schlussendlich alle Episoden gleichermaßen nahtlos zusammenzufügen. Somit ist „Franklyn“ zweifelsohne ein herausfordernder Film, der sich jedoch nicht entscheiden kann, ob er nun die Geduld oder den Intellekt des Zuschauers auf die Probe stellen möchte.
Vier Geschichten, zwei Dimensionen. Im London der Gegenwart wird Milo (Sam Riley) vor dem Traualtar sitzengelassen. Deprimiert streift er durch die Stadt und erblickt immer wieder seine alte Sandkastenliebe, die er mehr als 20 Jahre nicht mehr gesehen hat, ohne sie jedoch stellen zu können. Der Gemeindevorsteher Peter Esser (Bernard Hill) ist auf der Suche nach seinem Sohn. Nachdem dieser traumatisiert und als psychischer Pflegefall aus dem Irak heimgekehrt war und vier Jahre in einer Anstalt verbracht hatte, nutzte er eine Gelegenheit zur Flucht. Die Kunststudentin Emilia Bryant (Eva Green) leidet unter dem Tod ihres Vaters sowie unter ihrer versnobbten und kaltherzigen Mutter. In wiederholten Nahtoderfahrungen versucht sie, einen Sinn in ihrem Leben zu finden.
In der Megametropole Meanwhile City, die in einer anderen Dimension verortet ist, herrscht Religionszwang, wobei es egal ist, an was oder wen man glaubt, solange man nur glaubt. Alles ist der Überwachung durch ein Ministerium Orwell’schen Typus’ ausgesetzt, das keine Devianz duldet. Jonathan Preest (Ryan Phillippe), der einzige Ungläubige, steht ganz oben auf der Fahndungsliste des Ministeriums. Doch der stets Maskierte hat eigene Pläne, denn er ist auf Vergeltung aus. Er plant „Das Individuum“, den Chef des Geheimbundes „Duplex Ride“, zu ermorden, weil dieser ein Mädchen getötet hat, das Preest einst liebte. Der Lauf einer Gewehrkugel sowie ein ominöses Klingelschild mit dem Namen „Franklyn“ führen dazu, dass sich die Leben der vier Protagonisten schließlich kreuzen…
Die Grundidee, über die hier nicht allzu viel verraten werden soll, ist so originell wie reizvoll und installiert auf eigene Weise die dystopische Urbanität aus Orwells „1984“, eine Nuance von Alan Moores Watchmen-Look sowie den Hauch eines Superheldentopos in einer kontemporären Episodenfilmhandlung. Gerade das konturierte Motiv des „Superhelden“ Jonathan Preest in seiner Dekonstruktion ist geschickt eingesetzt. Als Einzelgänger mit unbändigem Willen und beachtlicher Kampferprobtheit rückt er gegen die Verblendung und das Versagen einer Glaubensdiktatur an, ohne zu erkennen, wie schmal der Grat zwischen aufrechtem Gerechtigkeitssinn und Wahn ist. Wie erwähnt wartet „Franklyn“ mit guten Ideen auf, die jedoch nicht verbergen können, wo es hakt. Nachdem die erste Stunde die geschundenen Seelen skizziert hat und dann allmählich die Fäden zusammen geführt werden, verharrt der Film am Ende unentschieden zwischen den angerissenen großen und kleineren Themen. Gesellschaftskritische Auseinandersetzungen werden auf private Sachverhalte herunter gebrochen - und umgekehrt. So kommt der Film im Niemandsland zwischen Religionskritik und Psychodrama zum Stehen. Dabei findet das Spiel mit den Realitäten in seinen besseren Momenten Bezug zum Kino als massive Eskapismusmaschinerie, in seinen weniger gelungenen Augenblicken lässt er den Zuschauer am ausgestreckten Arm verhungern.
Voraussetzung für das Funktionieren von Episodenfilmen (siehe Magnolia) sind fesselnde darstellerische Leistungen. Eine Crux im Falle von „Franklyn“ ist schlechterdings, dass die Schauspieler nie zur vollen Entfaltung kommen. Dies mag dem Drehbuch zuzuschreiben sein, denn der Mangel an Tempiwechsel gibt den Darstellern kaum Gelegenheit, sich auszuzeichnen. Am besten gelingt dies noch Bernard Hill (Herr der Ringe - Die zwei Türme, Operation Walküre), der sich in seinen vielen ruhigen Szenen mit Zurückhaltung Raum für dramatische Akzentuierungen schafft und somit der Zerrissenheit seiner Figur gerecht wird. Die betörende Eva Green („Die Träumer“, Casino Royale) trägt um ihre Mundwinkel zwar formidabel Züge verzweifelter Verachtung und Lebensmüdigkeit, nichtsdestotrotz bleibt sie ein wenig blass in ihrer suizidalen Rolle und man fühlt sich auf seltsame Weise an ihre Hexe Serafina Pekkala aus Der Goldene Kompass erinnert: Sie wirkt irgendwie nicht von dieser Welt.
Auch der lange unterschätzte Ryan Phillippe (L.A. Crash, Flags Of Our Fathers), der unter anderen in Enttarnt unerwartetes Potential offenbarte, scheint nie wirklich in seiner Rolle anzukommen, obwohl es die für die Handlung wichtigste ist. Sam Rileys (Control) Kleinbubenverunsicherung und Träumertum ist ein gewisser Niedlichkeitsfaktor nicht abzustreiten, man möchte ihn tröstend in den Arm nehmen und ihn mit Haferbrei füttern, und doch fehlt etwas. Vielleicht akkurate, kleine Gesten, die hinter die Fassaden der Charaktere blicken ließen. Um falschen Eindrücken vorzubeugen: Das Ensemble ist nicht schwach, „Franklyn“ ist kein mieser Film, aber eine Enttäuschung, wenn man bedenkt, was daraus hätte werden können – auch trotz der limitierten monetären Mittel.
Dabei hat Regisseur Gerald McMorrow durchaus eine Vision, gerade was die Kinematographie betrifft. Die Realitätsebenen werden oft durch Panoramaansichten von London oder Meanwhile City eingeleitet. Hier der regenverhangene Himmel über einer Stadt in Grau, dort spitz in furchterregendes Schwarz ragende pompöse Prunkbauten. Meanwhile City wirkt wie eine Stadt, die kein Tageslicht kennt und gefangen ist zwischen Mittelalter und Technizimus. Auf dem Markt wird lauthals Religion feilgeboten, Ampeln befehlen aus einem Menschengewimmel heraus „Don’t walk“, die Architektur ist durchsetzt mit religiösen Statuen und Symbolen und von der grundsätzlichen Konstruktion absolut beeindruckend. Leider mutet das weite Hintergrundpanorama in jenen Szenen, in denen Schauspieler im Vordergrund agieren, mitunter wie Animation an, ohne jedoch die absichtliche Künstlichkeit eines Michel Gondry zu evozieren. Bevor man sich jedoch daran stößt, sollte man die schlussendliche Form der Konfliktauflösung und Zusammenführung der vier Protagonisten abwarten. Demgegenüber sorgen sämtliche Szenen in geschlossenen Räumen aufgrund der dunkel vergilbten Töne für eine greifbar deprimierende und beengende Atmosphäre.
Wer Geduld und Offenheit für eine ungewöhnliche Plotline aufbringt, könnte hier belohnt werden. Der unter seinen Möglichkeiten bleibende Cast sowie die teils behäbige Umsetzung und der indifferent anmutende Umgang mit angedeuteten Themen sollten einen nicht davon abhalten, die guten Ideen zu goutieren. Darüber hinaus gehört „Franklyn“ zu jener Sorte Film, bei der ein zweites Sichten vor allem die Dialoge und Monologe in ein anderes Licht rückt. Trotzdem fühlt sich McMorrows Debüt an wie eine verpasste Chance.