Was soll bloß dabei herauskommen, wenn Werner Herzog einen Science-Fiction-Film dreht? Nach eigener Aussage kennt er immerhin den ersten Krieg der Sterne und hat auch schon mal diesen Mr. Spock oder wie der heißt von „Star Trek“ gesehen. Der mit den langen Ohren. Doch viel weiter ist der Autorenfilmer noch nicht in die Materie vorgedrungen. Ist aber auch völlig egal. Mit dem, was Herzog veranstaltet, hat das alles sowieso nichts zu tun. Er bezeichnet seinen „The Wild Blue Yonder“ als „Science-Fiction-Fantasy“, was es ziemlich genau trifft. Herzogs wildester Ritt seit Jahrzehnten mixt verschiedene externe Quellen mit Monologen Brad Dourifs und fügt dies zu einer hypnotischen, wüsten, essayartigen Arie zusammen, die durch pure Schönheit und schlichte Originalität glänzt.
You know, our great-great-great-great-great-great-great-great grandfathers were fine scientists, but the journey was long and boring and when we got here, hundreds of hundreds and hundreds and hundreds and hundreds of years later, those of us who arrived here just... sucked. (The Alien)
„We aliens suck!” Das denkt der Außerirdische (Brad Dourif, Herr der Ringe - Trilogie, Mississippi Burning, Einer flog über´s Kuckucksnest) tatsächlich. Viele Jahre nachdem Vertreter seiner Rasse von dem weit entfernten, sterbenden Planeten Andromeda auf der Erde landeten, weil sie sich hier bessere Lebensbedingungen versprachen, ist die Ernüchterung groß. Die Pläne waren kühn, gingen aber nicht in Erfüllung. Die Aliens bauten eine Stadt nach dem Vorbild Washingtons auf, doch es passierte nichts. „The whole thing sucked – nobody came, nobody settled and nobody stopped. We aliens all suck.” Mr. Alien hat sich jedoch auf der Erde integriert. Er arbeitete für die CIA, wurde so Beobachter der Wiederaufnahme der Untersuchungen des UFO-Absturzes von Roswell. Das havarierte Raumschiff kam von Andromeda und enthielt scheinbar gefährliche außerirdische Organismen. Die NASA entschließt sich, die Galileo-Expedition zu starten und eine Crew auf eine One-Way-Mission in die Weiten des Alls zu schicken, um neuen Lebensraum zu annektieren. Durch das Ausnutzen von Raumtunneln (die Stringtheorie [1]) gelangt die Crew plötzlich unverhofft zum Planeten Andromeda, der jedoch fast verlassen ist. Dennoch übt diese flüssige Atmosphäre unter einem gefrorenen Himmel eine seltsame Faszination aus...
„By the time Herzog tried to pass off jellyfish as Dourif's old pals, my indulgence was nearing its end.” Soweit J.R. Jones im „Chicago Reader“. Wer nach Lesen der wüsten Inhaltsangabe bereits die Hände über dem Kopf zusammenschlägt, sollte sich besser gar nicht ausführlicher mit dem Thema „The Wild Blue Yonder“ befassen. Natürlich ist der Film kontrovers diskutierbar, aber wer sich zur Fangemeinde Werner Herzogs zählt oder Aufgeschlossenheit für wilde filmische Experimente aufbringt, wird mit einer absolut kühnen, hypnotischen Odyssee entlohnt, die Herzogs Ausnahmestellung außerhalb aller Systeme unterstreicht.
Wer anders könnte ein derartiges Mini-Projekt mit diesem Ergebnis auf die Beine stellen? Niemand. Ausgangspunkt war Herzogs Interesse an der Galileo-Mission. Die 1989 ausgesandte Sonde erforschte den Jupiter und seine Monde, bevor sie 2003 im Jupiter-Orbit verglühte. Durch Zufall stieß der Filmemacher in seinem Wohnort Los Angeles in einem alten Lagerhaus auf bisher unveröffentlichte Aufnahmen der NASA. Diese stammen von Bord des Space Shuttles STS-34 aus dem Jahre 1989, das damals die Galileo-Sonde freisetzen sollte. Diese Bordroutinen der Astronauten Donald Williams, Ellen Baker, Franklin Chang-Diaz, Shannon Lucid und Michael McCulley setzt Herzog in einen anderen Kontext und strickt daraus eine Story, die mit faszinierender, fremdartig wirkender Musik unterlegt wird. Der niederländische Star-Jazz-Cellist Ernst Reijseger spielt zu Klängen des senegalesischen Sängers Mola Sylla, der in seiner Stammessprache singt und von dem sardinischen Chor Tenore & Cuncordu de Orosei begleitet wird. Zwischen diese Szenen sind die Monologe Brad Dourifs geschnitten. Diese Aufnahmen entstanden an einem einzigen Drehtag in einer Geisterstadt südlich von Los Angeles. Der Mann ist ein Naturereignis. „I come from the outer reaches of Andromeda. I am an alien.” Der Zuschauer sollte Dourif dies besser glauben. Zu intensiv ist seine Ansprache, als dass dort irgendwelche Zweifel aufkommen würden. Mit wilden Augen, teils ganz nah dran an der Kamera, strahlt er eine durch Mark und Bein gehende Präsenz aus, in dessen Essenz eine berührende Bitterkeit mitschwingt. In der Konsequenz mahnt Herzog mit dieser Parabel die fortschreitende Zerstörung der Erde an, indem er unseren Weg, den die Andromedaner bereits erlebt haben, vorzeichnet.
Die Bilder von „Andromeda“ hat Herzog der Musiker Henry Kaiser zur Verfügung gestellt. Der Hobbytaucher filmte diese unglaublich schönen Aufnahmen am McMurdo-Sund [2] in der Antarktis. Zwischen diesen drei Hauptteilen Alien, Raumschiff und Andromeda schneidet der Regisseur die hochrangigen Mathematiker Roger Diehl, Ted Sweetser und Martin Lo, die über Theorien zu Raumreisen berichten. Ergänzt wird das Material durch kleine Archivschnipsel aus den Zwanziger- und Dreißigerjahren. Diese vogelwilden Elemente verschmelzen erstaunlicherweise kongenial zu einer faszinierenden Symphonie. Bierernst nimmt Herzog seine Fabel jedoch nicht. Der Film behält sich einen ironischen Unterton vor und spart auch nicht mit kleinen Humoranflügen. Die Science-Fiction-Fantasie hat sich nachträglich als Teil einer inoffiziellen Trilogie herauskristallisiert. Was 1971 mit dem rauschartigen Doku-Essay Fata Morgana begann, wird mit „Yonder“ fortgeführt und mit Encounters At The End Of The World (2007) schließlich zuende gebracht.
Fazit: „The Wild Blue Yonder“ ist zweifelsfrei ein Experiment, ein radikales noch dazu. Doch mit einem Minimum an Budget kreiert Werner Herzog das eigenwilligste Stück Zelluloid seit langem - sein „Reqiem For A Dying Planet“ (so die erste der zehn Kapitelüberschriften). Das bringt „Yonder“ glühende Verehrung wie abgrundtiefe Ablehnung ein. Beim Filmfest in Venedig erhielt „The Wild Blue Yonder“ den FIPRESCI-Preis und wurde beim Mar del Plata Film Festival in Argentinien als bester Film nominiert. Wer sich auf diese beschriebene kühne Konstruktion einlassen will, sollte dem Programmkino unbedingt einen Besuch abstatten (oder wahlweise die DVD in den USA oder Großbritannien bestellen).
„You can look out and see, other than points of light, there is no sense of being close to anything, so you are truly an island.” (The Alien)
[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Stringtheorie
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/McMurdo-Sund