Leontine Sagans Drama „Mädchen in Uniform“ aus dem Jahre 1931, indem sich eine Internatsschülerin in ihre Lehrerin verliebt, ist noch immer einer der wichtigsten Klassiker des lesbischen Kinos. Zunächst sowohl in Deutschland und den USA verboten, versuchten die Nazis gar, alle Kopien des Films zu vernichten. Erst als First Lady Eleanor Roosevelt die Bedeutung des Films erkannte und sich gegen die Verbannung einsetzte, konnte er endlich seinen verdienten Siegeszug antreten. Regisseurin Katherine Brooks, die sich mit Reality-TV-Shows wie „The Real World“, „The Osbournes” oder „The Simple Life” einen Namen machte, hat selbst eine Sammlung seltener Erinnerungsstücken an „Mädchen in Uniform“, die sie nun zu ihrem Spielfilmdebüt „Loving Annabelle“ inspirierten. Und auch wenn ihr kleines romantisches Drama sicherlich nicht an die klassische Vorlage heranreicht, ist Brooks doch ein überzeugender Erstling gelungen, der vor allem mit seinem tollen Darstellerinnen-Duo und einer sensiblen Story punktet.
Weil sie ihrer Senatorinnen-Mutter mit ihren Eskapaden nur schlechte Schlagzeilen einbrachte, wird die rebellische Teenagerin Annabelle (Erin Kelly) unter Androhung einer Militär-Akademie in ein katholisches Mädcheninternat verfrachtet. Zu ihren Mitschülerinnen und Zimmergenossinnen, der schüchternen Colins (Laura Breckenridge), der hübschen Kristen (Michelle Horn) und der wütenden Cat (Gustine Fudickar), baut die abgeklärt tuende Annabelle schnell ein gutes Verhältnis auf. Ansonsten interessiert sie sich aber weniger für Algebra und gute Noten, sondern vielmehr für ihre süße Englischlehrerin Simone (Diane Gaidry). Zunächst macht Annebelle ihrer Lehrerin nur beim Gedichte Interpretieren eindeutig erotische Avancen, doch damit kommt sie nicht weit. Erst als Annabelle Simone besser kennen und zu verstehen lernt, kommen die beiden sich näher. Simone lebte einst selbst in einer lesbischen Beziehung, nachdem sich ihre Freundin aber wegen ihrer Homosexualität das Leben nahm, passte sie sich widerwillig an. Zwei verlorene Seelen, die sich gegenseitig Halt geben, aber die Liebe zwischen einer Schülerin und ihrer Lehrerin darf natürlich trotzdem nicht sein…
„Loving Annabelle“ erzählt eine extrem schnörkellose Liebesgeschichte, bis auf ein furzendes Stachelschwein lenkt kaum etwas von der Beziehung zwischen Annabelle und Simone ab. So ergibt sich auf der einen Seite eine ungewöhnliche Nähe und Intensität, auf der anderen hofft man auf Überraschungen aber auch vergebens – gerade in Anbetracht der kurzen Spieldauer von gerade einmal 76 Minuten wäre der eine oder andere Extra-Schlenker auf jeden Fall drin gewesen. Aber wirklich stören möchte man sich an dieser Geradlinigkeit dann auch wieder nicht, dafür ist die sich vorsichtig anbahnende Lovestory einfach zu berührend, gefühlvoll und glaubhaft umgesetzt. Das große Interesse an den beiden Protagonistinnen rührt allerdings nicht nur von der sensiblen Inszenierung und den absolut treffenden Dialogen her, sondern ist auch den beiden ausdrucksstarken Hauptdarstellerinnen zu verdanken – mit nur wenigen Gesten schaffen sie eine unerwartete, die Einfachheit der Geschichte weit übertreffende Tiefe. Auch wenn Diane Gaidry bisher nur Rollen in kleineren Independent-Produktionen bekleidete; Erin Kelly zwar zur Stammbesetzung von Regisseurin Brooks gehört, ansonsten aber nur in zwei Episoden einer eher unbedeutenden Surfer-Serie aufgetreten ist – hier empfehlen sich beide eindeutig für größere Aufgaben.
Natürlich besteht „Loving Annabelle“ nicht nur in erster Linie, sondern beinahe ausschließlich aus seiner Liebesgeschichte. Aber dennoch gibt es zwei Aspekte am Rande, die den Film noch interessanter machen. Zum einen fällt der ungewöhnliche Umgang mit dem Thema Glauben auf. Watschen die meisten queeren Genrefilme die christliche Kirche – und das meist mit jedem Recht – einfach nur ab, überrascht „Loving Annabelle“ mit einem ungewohnt versöhnenden Blick auf dieses sonst meist eher angespannte Verhältnis. So ist mit Father Harris (Schauspiel-Urgestein Kevin McCarthy) ausgerechnet ein über 90 Jahre alter katholischer Priester die verständnisvollste Figur des Films – nicht gerade die offensichtlichste Wahl! Der zweite Einfall ist weniger versöhnlich, dafür gelungen satirisch. Annabelle ist die Tochter einer konservativen Senatorin - die gleiche Konstellation wie im Hause von Dick Cheney, der sich ja bekanntlich trotz lesbischer Tochter nicht auf ein einziges Recht für Homosexuelle einlassen würde und dabei zynischerweise auch noch von eben dieser Tochter unterstützt wird. Zwar sind es nicht viele Szenen, aber wenn die Senatorin ihre Sorge um das eigene politische Image über jede Mutterliebe stellt, sind diese zumindest extrem bissig ausgefallen. Ein versöhnlicher Brückenschlag in Richtung Kirche – angenehm! Ein sitzender Schlag in Richtung Magengrube der Konservativen – noch besser!!
Auch wenn die eine oder andere zusätzliche Wendung sicher nicht geschadet hätte, ist Katherine Brook hier ein ebenso gefühlvoller Liebesfilm wie bissiges Drama gelungen. So ist „Loving Annabelle“ in jeder Hinsicht gut, auch wenn ihm am Schluss vielleicht so ein wenig das Besondere fehlt.