Trần Anh Hùng - ein Name, den man sich merken sollte! Trần Anh Hùng - wer bitte? 1993 wurde der vietnamesische Regisseur für sein Langfilmdebüt „Duft der grünen Papaya" für den Auslandsoscar nominiert, auch sein Zweitling „Cyclo", ein kunstfertiges Drama über die kriminelle Unterschicht im Nachkriegsvietnam, konnte Kritikerlob und den Goldenen Löwen in Venedig einheimsen. In unseren Breitengraden ist der mittlerweile 49-jährige Auteur trotzdem lange weitestgehend unbekannt und unerkannt geblieben – zu stark sein Stilwillen, zu hoch seine Arthouse-Ambition. Immerhin, mit „Naokos Lächeln", seiner Adaption des Romans von Bestsellerautor Haruki Murakami, ändert sich das langsam. Einen ersten Versuch, die Leinwände der Welt zu erobern, unternahm er dabei schon 2009 mit dem englischsprachigen Thriller „I Come With The Rain".
Seit seiner gewalttätigen Begegnung mit dem Serienmörder Hasford (Elias Koteas) ist der Ex-Cop Kline (Josh Hartnett) ein seelisches Wrack. Zu tief hat er bei den Ermittlungen in die kranke Seele des diabolischen Killers geblickt. Jahre und einen Suizidversuch später hat er den Job an den Nagel gehängt und verdingt sich als Privatdetektiv. Sein neuester Auftrag führt ihn nach Asien, wo er den Großindustriellen-Sohn Shitao (Takuya Kimura) aufspüren soll. Obwohl man ihn in Thailand angeblich habe sterben sehen, führt Shitaos Spur weiter nach Hongkong. Hier gerät Kline mit der scheinbar verrückten Unterweltgröße Su Dong-Po (Lee Byung-Hun) aneinander. Während der Detektiv mit seinen Dämonen ringt und seine Spur zu erkalten droht, gerät Dong-Pos heroinsüchtige Freundin Lili (Trần Nữ Yên Khê) in die Gewalt eines mysteriösen Wunderheilers mit Stigmata an Händen und Füßen. In Kline reift ein sonderbarer Verdacht...
Was wie ein handelsüblicher Mystery-Thriller mit Noir-Einschlag vor exotischer Kulisse beginnt, erfährt im weiteren Handlungsverlauf wahrlich waghalsige Wendungen. Thriller, Gangsterfilm, Horror, religiöses Drama – in zwei Stunden „I Come With The Rain" bricht Trần so gerissen mit Sehgewohnheiten und Erwartungshaltungen, dass ungläubiges Staunen vorprogrammiert ist. Das neonlichtern Wolkenkratzer-Labyrinth Hongkongs wird grandios von Kameramann Juan Ruiz Anchia eingefangen, auch der Soundtrack-Komponist Gustavo Santaolalla („21 Gramm (21 Grams)", „Brokeback Mountain") scheint hier wie entfesselt. Nein, Tiefstapler sind Trần und seine Crew ganz sicher nicht, bis hin zum Casting, bei dem Schauspieler aus aller Welt zusammengetrommelt wurden. Zu den vielen Chinesen, Südkoreanern, Japanern und Vietnamesen gesellt sich der Spanier und Almodovar-Veteran Eusebio Poncela („Das Gesetz der Begierde"). Angeführt wird der Film derweil von Josh Hartnett, der ein englischsprachiges Publikum locken sollte.
Hartnett, der ähnlich wie Ben Affleck seit Jahren darum bemüht ist, sich vom filmischen Jahrhundertverbrechen „Pearl Harbor" zu rehabilitieren, müht sich redlich, den verzweifelten und von Albträumen geschüttelten Ermittler zu vermitteln. Mit seiner in Sorgenfalten geworfenen Stirn sieht der Sunnyboy dabei gar noch verkniffener als Leonardo DiCaprio in seinen ernstesten Rollen aus. Lee Byung-hun hingegen – bekannt als Muse des koreanischen Regie-Derwischs Kim Jee-woon („I Saw the Devil", „The Good, The Bad, The Weird") – ist da schon ein ganz anderes Kaliber. Der südkoreanische Beau zieht Blicke magisch an, ob er nun wehmütig-dandyhaft seiner Mätresse nachtrauert oder sich in hysterischen Gewaltorgien verliert. Lee Byung-hun ist ein großartiger Schurke, sinister und charismatisch. Um jeden seiner Helden und Antihelden hat Trần eine Welt in der Welt errichtet. Sei es Klines Isolation in den klinischen Hotelzimmern oder das dekadente Ambiente in Dong-Pos Loft: Hier verraten die Interieurs das Seelenleben ihrer Bewohner und Passanten.
Schade, dass sich die Akteure phasenweise in diesen Welten verlieren und sich zu selten berühren. Auch wenn die Handlungsfäden immer wieder zusammenlaufen, driften sie wenige Minuten später wieder auseinander und ins Vage. Besonders der tolle Auftritt von Shawn Yue („Infernal Affairs", „Infernal Affairs II") als Cop bleibt bloßes Fragment. Nach wenigen einprägsamen Szenen – etwa einer schrägen Unterhaltung mit Lee Byung-hun im Rückwärtsgang seines Wagens – verschwindet er auf Nimmerwiedersehen. Ob sich sein Schicksal irgendwo auf dem Boden des Schnittraums verloren hat? Yues Performance bleibt ein großes Versprechen, das letztlich nicht eingehalten wird. Nein, makellos ist „I Come With The Rain" bei all der großen Ambition nicht. Mitreißend ist Trầns Film dennoch, vor allem in der überwältigenden zweiten Hälfte.
Wenn dem Thriller-Genre dann also endgültig abgeschworen wird, fällt der Startschuss zu einem cineastischen Rausch, bei dem eine stringente Geschichte wohl bloß stören würde. Zu den Postrock-Klangcollagen von „Godspeed You! Black Emperor", „Explosions in the Sky" und „A Silver Mt. Zion" wird der entscheidende Schritt über die Grenze gen Irrsinn vollzogen. Seien es die Bacchanalien in einem thailändischen Bordell, die expressionistischen Heilungsszenen, in denen Shitao den Hoffnungslosen und Elenden, die sich um ihn scharen, förmlich das Leid aus dem Körper wringt oder die Hongkong-Nachtbilder, in denen die Stadt selbst wie ein trauriger Akteur wirkt - Trần weiß, wie man Gänsehaut erzeugt. Wenn Dong-Po allerdings einen Obdachlosen mit dem eigenen toten Hund erschlägt oder in wiederkehrenden Flashbacks die verstörenden Skulpturen eingefangen werden, die der Serienkiller Hasford aus seinen Opfern angefertigt hat, bekommt das überrumpelte Publikum Bilder eingehämmert, die lange nachhallen werden.
Die christliche Symbolik um den Heiler Shitao, der zu seinem bloß als Telefonstimme präsenten Vater zurückfinden soll, lässt derweil kaum Deutungsfragen offen. In Hasford findet sogar der einfach nicht aus der Welt zu treibende Beelzebub seine Entsprechung. Wer mit Sinnbildern wie diesen nichts anfangen kann und die Verquickung neutestamentarischer Metaphern mit pulpigem Neo-Noir für geschmacklos hält, der wird – wie auch Freunde des klassischen Erzählkinos – keine Freude an Trầns wuchtigem Film haben. Im exzessiven Finale wirkt seine Passionsgeschichte, als hätte Michel Gondry Düstermann Abel Ferrara und Body-Horror-Experte David Cronenberg auf einen Asienurlaub begleitet; das darf als Kompliment und Warnung gleichermaßen gelten. Ist „I Come With The Rain" nun überambitioniertes, prätentiöses Filmschaffen; der Acid-Horrortrip eines verkappten Jesus-Freaks – oder etwa doch ein Meisterwerk? Eines hat Trần in jedem Fall geschafft: Hier findet jeder genau das, was er selbst mit in diese außergewöhnliche Filmerfahrung bringt.