In schöner Regelmäßigkeit gebärt das amerikanische Independent-Kino erstaunliche Kassenerfolge – zuletzt etwa Juno oder Little Miss Sunshine. Neben den klassischen Genrezutaten bestechen diese Filme durch famose Feel-Good-Qualitäten und jede Menge Herz und Witz. Ein solcher Überflieger blieb in der Saison 2008 komplett aus. Es ist schon bezeichnend, wenn Altmeister Woody Allen (von Haus aus US-Kassengift) mit Vicky Cristina Barcelona den erfolgreichsten Indie der Spielzeit vorlegt. Ein Abräumer an den Kinokassen wird auch „Sunshine Cleaning“ nicht werden, dafür glänzt Christine Jeffs wunderbare, für den „Grand Jury Prize“ in Sundance nominierte Tragikomödie als kleines Indie-Highlight, das es auf jeden Fall zu entdecken lohnt.
Albuquerque, New Mexiko: Im Mittleren Westen der USA schlägt sich die alleinerziehende Mutter Rose Lorkowski (Amy Adams) mit Anfang Dreißig als Putzfrau durchs harte Leben. Vom Glanz der Tage, als sie Cheerleader und das begehrteste Mädchen der Highschool war, ist nur noch wenig übrig. Ihr siebenjähriger Sohn Oscar (Jason Spevack) ist verhaltensauffällig, die Lehrer raten zur Unterbringung in einer spezialisierten Privatschule. Doch das kann sich Rose beim besten Willen nicht leisten. Ihr Vater Joe (Alan Arkin) versucht, sich im Rentenalter mit kauzigen Geschäftsideen über Wasser zu halten, ist aber keine große Hilfe - ebenso wenig wie Roses jüngere Schwester Norah (Emily Blunt), die gerade wegen Unfähigkeit ihren Aushilfsjob als Kellnerin verloren hat. Rose hat ein Verhältnis mit dem verheirateten Cop Mac (Steve Zahn), für den es aber außer Frage steht, seine Frau zu verlassen. Mehr als heimlicher Motel-Sex fällt für Rose nicht ab. Doch Mac verschafft seiner Geliebten eine neue Chance, finanziell Fuß zu fassen. Er besorgt Rose und ihrer Schwester lukrative Aufträge: Fortan reinigt das ungleiche Schwestern-Duo Tatorte von Gewaltverbrechen – das bringt satte 500 Dollar pro Blutbad. Das Geschäft läuft so gut an, dass Rose ihre eigene Reinigungsfirma gründet: „Sunshine Cleaning“!
Eine gewisse stilistische Nähe zu „Little Miss Sunshine“ ist bei Christine Jeffs dritter Regiearbeit (nach „Rain“ und Sylvia) leicht auszumachen. Das kommt nicht von ungefähr – schließlich wurde „Sunshine Cleaning“ vom selben Team produziert wie Jonathan Daytons und Valerie Faris‘ Indie-Superhit. Dennoch sind beide Werke völlig eigenständig und nicht unbedingt vergleichbar. Ebenso wie „Little Miss Sunshine“ weist auch „Sunshine Cleaning“ durchaus heitere Momente auf und gibt sich nicht durchweg pessimistisch-düster, zeichnet sich insgesamt aber doch durch einen deutlich dunkleren Grundton aus, der den Film tief in der amerikanischen Wirklichkeit verankert. Somit steht die Tragikomödie dem meisterhaften Junebug wesentlich näher. Aber im Gegensatz zu Phil Morrisons Film ist „Sunshine Cleaning“ nicht als universelle Antwort auf amerikanische Befindlichkeiten zu sehen, sondern nur als kleiner Ausschnitt der US-Gesellschaft. Doch das betrifft nur die Perspektive, nicht die Relevanz.
Es spielt Regisseurin Jeffs in die Karten, dass sie exzellente Zutaten für ihren Film zur Verfügung hatte. Zum Beispiel ein erstklassiges Drehbuch von Debütantin Megan Holley, die präzise, lebensnahe Dialoge geschrieben und eine solide Storyline aufgebaut hat, die nur dezent den üblichen dramaturgischen Spielregeln folgt. Die kleinen Geheimnisse der Beziehungen der Figuren zueinander werden geschickt erst nach und nach preisgegeben. Die Geschichte offenbart trotz einer nicht zu leugnenden Bitternis immer wieder fröhliche Augenblicke, die einfach Spaß machen und den Zuschauer in die Story hineinziehen. Das Leben ist eines der härtesten. Ja, aber trotzdem ist es zu meistern – oder zumindest ist die Chance gegeben, sich irgendwie durchzuschlagen. An dieser These rackert sich Rose Lorkowski mit allen Höhen und Tiefen ab.
Lynn: „How did your mother die?“
Norah: „It was a do-it-yourself-kinda-thing.”
Ohne die hervorragend aufspielenden Darsteller wäre „Sunshine Cleaning“ dennoch nur halb soviel wert. Die wundervolle Amy Adams (Verwünscht, Der Krieg des Charlie Wilson, Catch Me If You Can) erinnert nach einigen Mainstream-Auftritten schauspielerisch nun eher wieder an ihre Oscar-nominierte Durchbruchsrolle in Junebug. Die Figur der Rose ist perfekt auf Adams zugeschnitten. Als ehemalige Highschool-Attraktion ist sie im Vergleich zu ihren früheren Mitschülerinnen sozial abgestiegen, wird teils mitleidsvoll belächelt, hat sich aber den Stolz, sich ein glückliches Leben zu erkämpfen, bewahrt – selbst wenn der Traum von einer Lizenz als Immobilienmaklerin möglicherweise für immer einer bleiben wird. Ohne falsche Töne zu treffen, ist Adams mit ihrer Natürlichkeit der unumstrittene Glanzpunkt des Ensembles.
Norah (zu Rose, die gerade einen Auftrag am Telefon annimmt): „What was that?“
Rose: „Suicide”
Norah (zum fragend guckenden Oscar): „That’s a good thing.”
Emily Blunt (Der Teufel trägt Prada, Der Krieg des Charlie Wilson, Der Jane Austen Club) weiß als chaotische, aber bemühte Norah zu überzeugen, während Alan Arkin (Glengarry Glen Ross, Machtlos) sich den leisen Vorwurf gefallen lassen muss, seine Oscar-prämierte Rolle aus Little Miss Sunshine nur leicht variiert zu wiederholen. Das schmälert seine sehenswerte Leistung aber nur wenig. Von den weiteren Nebendarstellern verdient sich Clifton Collins Jr. (Capote, Mindhunters, Star Trek 11) eine besondere Erwähnung. Als einarmiger Reinigungsartikelverkäufer Winston strahlt der Kalifornier eine ungeheure Gelassenheit aus, die ihm sehr viel Würde verleiht – selbst wenn Rose, mit der er sich anfreundet, für ihn unerreichbar scheint. Es sind auch diese leisen Andeutungen, wie die zarte Bande, die Winston zu Rose knüpft, die Megan Holleys Drehbuch und Christine Jeffs Regie auszeichnen.
Fazit: „Sunshine Cleaning“ ist eine feine Indie-Perle, die von ihrem großartigen Ensemble und einem klugen Drehbuch lebt - für Freude des unabhängig produzierten amerikanischen Films absolutes Pflichtprogramm.