Die deutsche Filmindustrie kann sich offensichtlich keine großen Kinofilme mehr leisten. Anders ist es kaum zu erklären, warum immer mehr sogenannte Amphibienfilme - also Filme, die fürs Fernsehen und Kino zugleich produziert werden - den Markt überschwemmen. Von Der Untergang, Der Baader Meinhof Komplex und Buddenbrooks gibt es etwa jeweils zwei Fassungen – eine kurze fürs Kino und eine längere, zweiteilige für die TV-Ausstrahlung. Bei der Produktion des Historien-Dramas „Die Päpstin“ hat der Streit über Sinn und Unsinn solcher Amphibienfilme sogar dazu geführt, dass Regisseur Volker Schlöndorff, der sich in dieser Hinsicht kritisch in einem Zeitungsessay geäußert hatte, nach jahrelanger Vorarbeit und Recherche seinen Platz räumen musste. Für ihn übernahm Sönke Wortmann (Der bewegte Mann, Das Wunder von Bern, Deutschland. Ein Sommermärchen). Doch, wo man sich nach der Kurzfassung von „Der Baader Meinhof Komplex“, die in Windeseile die wichtigsten Stationen des RAF-Terrors abhakte, tatsächlich eine längere Version wünschte, ist im Falle von „Die Päpstin“ bereits die Kinofassung derart betulich ausgefallen, dass es beim besten Willen nicht einleuchtet, warum man den Film mit einer zusätzlichen halben Stunde noch weiter ausbremsen sollte.
Als Frau im neunten Jahrhundert scheint ihr Leben vorherbestimmt. Doch die kleine Johanna (erst: Tigerlily Hutchinson, dann: Lotte Flack) hat keinen Bock auf Schuften und Kinderkriegen. Entgegen der Gebote des strenggläubigen Vaters (Iain Glen, Die letzte Legion) lernt sie von ihrem älteren Bruder (Sandro Lohmann) heimlich Lesen und Schreiben. Mit der Hilfe des weisen Aesculapius (Edward Petherbridge) gelingt ihr sogar der Sprung nach Dorstadt, wo sie beim Grafen Gerold (David Wenham) unterkommt und als einziges Mädchen überhaupt am Unterricht in der Domschule teilnehmen darf. Doch dann überfallen Normannen die Stadt und brennen alles nieder. Johanna (nun: Johanna Wokalek) flieht – als Mann verkleidet – in ein Kloster nach Fulda. Hier vertieft sie – von den Mönchen unerkannt - ihre Kenntnisse der Medizin. Erst als sie ein schweres Fieber befällt und ihre Glaubensbrüder ihr mit kalten Umschlägen Linderung verschaffen wollen, muss sie erneut die Flucht ergreifen. Diesmal führt Johannas Weg nach Rom, wo sie als Leibarzt und Vertrauer des Papstes (John Goodman) Karriere macht. Doch im Vatikan gilt das Schmieden von Komplotten als Volkssport und schon bald geraten die Machtverhältnisse gehörig ins Wanken…
Sönke Wortmann liefert mit „Die Päpstin“ – nicht nur für deutsche Verhältnisse – bombastisches Ausstattungskino. Mehr als 3.000 handgenähte (und handbeschmutzte) Kostüme vermitteln – rein optisch – einen glaubhaften Eindruck des Mittelalters. Auch die Nachbauten der römischen Gebäude und der Papstgemächer sind mit viel Liebe zum Detail entstanden. Leider wurde auf eine durchweg spannende Story weit weniger Sorgfalt verwendet. Bereits der zugrundeliegende Weltbestseller der amerikanischen Autorin Donna Woolfolk Cross aus dem Jahre 1996 musste die Kritik ertragen, dass er lediglich einige mehr oder weniger belegte historische Fakten zu einem simplen Emanzipationsmärchen formt. Und auch die Leinwandumsetzung muss sich nun den Vorwurf gefallen lassen, ohne allzu viel Nachdruck an der Oberfläche zu kratzen.
Ohne merkliche Höhepunkte plätschert die Handlung zweieinhalb Stunden vor sich hin. Die Stationen aus Johannas Leben werden in erlesene Bilder gehüllt und abgehakt, ohne dass wirklich Dramatik aufkäme. Nicht einmal ein abgeschlagener Kopf inklusive Blutfontäne beim Überfall der Normannen vermag es da, den Zuschauer aus seiner Lethargie zu reißen. Außerdem gleitet der Film mit fortlaufender Spielzeit immer häufiger in Richtung Kitsch ab – und zwar nicht nur dann, wenn Johanna in einem idyllischen Teich bei Mondenschein ihr erstes Mal erlebt. Die Charakterzeichnung ist pure Schwarz-Weiß-Malerei – der Vater ist böse, die Mutter feige, Aesculapius weise, Papst Sergius herzensgut und seine rechte Hand Anastasius (Anatole Taubman, Luther, Ein Quantum Trost) intrigant. Spannungsfördernd ist auch diese Eindimensionalität natürlich nicht gerade.
Johanna Wokalek (Barfuß, Nordwand, Der Baader Meinhof Komplex), die ihre Rolle von Franka Potente (Lola rennt) geerbt hat, spielt als angehendes Oberhaupt der katholischen Kirche so zurückgenommen, dass es mitunter schwerfällt, sie als Heldin eines Historienepos zu akzeptieren. Ihr Leben ist ein einziges Wechselbad der Gefühle, doch von diesen Emotionen kommen nur wenige beim Publikum an. Außerdem gibt es kaum Stellen, an denen sie ihr Schicksal aktiv vorantreibt, meist sind es schlichte Zufälle, die das nächste Kapitel eröffnen. Amüsant sind hingegen all die Szenen, in denen Johanna der versammelten Männerwelt ihren überlegenen Intellekt beweist. Da erinnert sie mal an Justus Jonas von den Drei Fragezeichen (wenn sie einen Milchbetrüger auf dem Marktplatz entlarvt), an TV-Arzt Dr. House (wenn sie Krankheiten per Urin-Geschmacktests diagnostiziert) oder an Wikinger-Schlaumeier Wicki (wenn sie mittels eines überdimensionierten Türschließers den Vatikan vor einfallenden Soldaten bewahrt).
Der Australier David Wenham (Herr der Ringe – Trilogie, 300, Australia, Public Enemies) verkörpert Johannas Love Interest Graf Gerold, als würde er schon vor dem Frühstück die gängigen Beziehungsratgeber verschlingen. Im Schlachtengetümmel markiert er den starken Mann, aber in der Liebe tritt er derart verständnisvoll auf, dass er nicht nur im neunten, sondern auch im 21. Jahrhundert als Weichei durchgehen würde: „Ich will, dass du lebst und glücklich bist – ob mit mir oder ohne mich!“ Ja ne, is‘ klar. Hollywood-Schwergewicht John Goodman („Roseanne“, The Big Lebowski, Speed Racer) sorgt als gutherziger Papst hingegen für lang ersehnte Auflockerung. Mit seinem Grinsen bringt er im letzten Drittel Licht in einen Film, der sich ob seiner oberflächlichen Story über weite Strecken selbst viel zu ernst nimmt.
Fazit: „Die Päpstin“ erweist sich als bombastisch ausgestatte, schwelgerisch bebilderte, aber auch reichlich triviale Historienunterhaltung.