Der Gläserne Bär des Berlinale-Kinderfilmfests. Stolze sechs Auszeichnungen mit dem dänischen Filmpreis Robert, unter anderem für Bester Film, Beste Regie und Bestes Drehbuch. Geehrt mit dem Cinekid Film Award 2006 in Amsterdam. Gewinner des Kinderjurypreises beim Chicago International Children´s Film Festival. Niels Arden Oplevs dänisches Jugenddrama „Der Traum“ hat bereits eine ganze Latte an gewichtigen Filmpreisen vorzuweisen. Doch handelt es sich hier, wie es bei Filmfestivals übrigens wahrlich kein selten zu beobachtendes Phänomen ist, einmal mehr um eine Umkehrung des Ausspruchs „Form über Inhalt“. Der Preisregen dürfte in diesem Fall nämlich eindeutig mehr mit der Thematik an sich, denn mit der Umsetzung eben dieser zusammenhängen. Es gelingt „Der Traum“ zweifelsfrei – mit Ausnahme der über das Ziel hinausschießenden letzten fünf Minuten – die Freiheitsideale der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung kindgerecht in eine ansprechende, auf wahren Tatsachen beruhende Story verpacken. Und dafür allein gebührt ihm auch schon ein gewisser Respekt. Aber leider kommt der Film abseits der charmant-unterhaltsamen Elemente oft auch ganz und gar nicht stimmig daher.
Dänemark im Jahre 1969: Auch hier prallen zu Zeiten der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung die verschiedensten Weltsichten aufeinander. So auch im Fall des kleinen Frits (Janus Dissing Rathke), der auf seiner neuen Schule mit den veralteten, streng-autoritären Methoden seines schlagenden Schulleiters Lindum Svendsen (Bent Mejding) kollidiert. Als Frits durch einen „Unfall“ in den Umkleideraum der Mädchen gerät und so ein wildes Durcheinander anrichtet, reißt Svendsen ihm in seinem Büro das halbe Ohr ab. Trotz der schweren Verletzung raten jedoch alle Frits und seinen Eltern, dem Bauern Peder (Jens Jorn Spottag) und der Krankenschwester Stine (Anne-Grethe Bjarup Riis), davon ab, sich mit Svendsen, der gerade sein 25-jähriges Jubiläum als Rektor feiern durfte, anzulegen. Lediglich in Frits heimlicher Liebe Iben (Sarah Juel Werner) und dem neuen Musiklehrer Freddie Svale (Anders W. Berthelsen), der mit Beatles-Frisur nur wegen akutem Lehrermangel überhaupt eingestellt wurde, findet Frits Verbündete. Als Vater Peder schließlich eine offizielle Beschwerde gegen Svendsen einlegt, spielt dieser seinen gesamten Einfluss aus, um Frits´ Familie mit allen Mitteln in Verruf zu bringen…
Der größte Pluspunkt von „Der Traum“ ist sicherlich sein interessantes Thema. Die Verquickung von Frits´ Widerstand gegen die körperlichen Züchtigungen seines Rektors und Martin Luthers Kings Widerstand gegen die Rassengesetze in den USA ist an sich unglaublich ergiebig. Vor allem, weil ein so komplexer Vorgang wie die amerikanische Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre durch die Verbindung mit dem für jeden jugendlichen nachvollziehbaren Schulalltag auch für jüngere Kinobesucher erfahrbar gemacht wird, ist die Grundidee des Films an sich absolut begrüßenswert. Leider führt dieser etwas schematische Ansatz im Fall von „Der Traum“ aber teilweise auch zu extrem klischeehaften Figuren.
Vor allem auf Direktor Svendsen und Lehrerneuling Freddie, die beide eher eine Funktion erfüllen und weniger als nachvollziehbare Charaktere rüberkommen, trifft dieser Vorwurf zu. Svendsen ist durch und durch, mit jeder einzelnen Faser seines Körpers einfach nur böse, nicht der kleinste helle Fleck auf der pechschwarzen Seele wird der Figur zugestanden. Freddie hingegen ist mit Beatles-Frisur, Blues-Platten und Bildern von Friedensdemos an der Wand ein waschechter Vorzeigehippie. Mit dieser plumpen Charakterisierung tut sich der Film vor allem deshalb keinen Gefallen, weil so Freddies späteres Einknicken wenig glaubhaft erscheint. Als Entschädigung für die oberflächlichen erwachsenen Figuren bekommt man mit Janus Dissing Rathke als Frits und Sarah Juel Werner als Iben allerdings zwei charmant-launige Jungdarsteller geboten – ein erfrischender Lichtblick.
Auch das Einbringen von 60er-Jahre-Zeitkolorit ist recht 08/15 geraten. So entspricht vor allem die Stückauswahl haargenau dem Erwarteten. Für die jüngeren Zuschauer mag „House Of The Rising Sun“ sicherlich ein lohnender Einstieg in die Ära der Freiheitsmärsche sein, für ältere hingegen dürfte dieses eher einfallslos anmuten. Die Parallelen zwischen Frits´ Schulrevolution und Martin Luther Kings Reden sind recht lose gehalten, wirken in manchen Momenten aber dennoch konstruiert – hierdurch bekommt der Film eine gewisse lehrstückhafte Note, die wirklich nicht Not getan hätte. „Der Traum“ kann oft mit kleinen sympathischen Einfällen punkten: So hat Frits` Großvater beispielsweise irgendwann einmal entschieden, nicht mehr von seinem Sofa aufzustehen, es würde sich ja eh nicht mehr lohnen. Erst zum Erntedankfest erhebt er sich nach Jahren zum ersten Mal wieder, um seinen Enkel im Kampf gegen Svendsen zu unterstützen. An anderen Stellen schlägt diese sympathische Ader aber auch in Blauäugigkeit um. So ist die letzte Szene im Krankenhaus, in der Frits seinen depressiven Vater lieber Zuhause in Ordnung bringen will, übertrieben naiv. Und die auf spektakulär getrimmte Auflösung des Widerstandes wäre in der hier präsentierten Form wohl auch kaum im Sinne eines Martin Luther King gewesen.
Auch wenn der Film mit zahlreichen Schwächen aufwartet, muss man eingestehen, dass „Der Traum“ vor allem auf der emotionalen Ebene doch so gut funktioniert, dass er trotz aller Defizite durchaus charmante und oft auch spannende Jugendunterhaltung mit ernstem Kern bietet.