Das permanent und stark umkämpfte Thema der politischen Agenda „Gewalt in den Medien“ schlägt in regelmäßigen Abständen große Wellen. Immer wieder werden Gründe für Massaker an Schulen, für schlechte Leistungsfähigkeit der Schüler oder auch für Gewalt in der Familie darin gesehen, dass man in den Medien andauernd mit blutigen, brutalen Bildern konfrontiert wird, oder sich selbst, in Form von Ego-Shooter-Spielen, in solche Szenarien begibt. Natürlich kann auch das Gegenteil behauptet werden: Gewalt kommt in den Medien nur vor, da diese lediglich das reproduzieren, was sie in der Wirklichkeit vorfinden. In beiden Fällen kommt es zu einem Austausch zwischen realem, ernstem Leben und simulierter Realität. Mit dem Mechanismus dieses Austauschverfahrens beschäftigt sich der österreichische Filmemacher Michael Haneke (Caché, Die Klavierspielerin, „Wolfzeit“,) in seinem Gewalt-Thriller „Funny Games“.
Das Ehepaar Anna (Susanne Lothar) und Georg (Ulrich Mühe) fährt zusammen mit seinem Sohn Schorschi (Stefan Clapczynski) in das an einem See gelegene Ferienhaus, um dort Urlaub zu machen. Kurz nach ihrer Ankunft bekommen sie Besuch von zwei jungen Herren, die sich Peter (Frank Giering) und Paul (Arno Frisch) nennen und sich im Namen der Nachbarn ein Paar Eier borgen möchten. Schnell wird klar, dass die beiden nicht wirklich wegen den Eiern gekommen waren. Nach einem Missverständnis bricht Paul dem Familienvater mit einem Golfschläger das Bein, da dieser ihm wegen seines rüden Tons eine Ohrfeige gegeben hat. Peter und Paul bringen die Familie schnell in ihre Gewalt, terrorisieren die einzelnen Familienmitglieder und setzen sie mit Demütigungen und Schlägen psychischen Extremsituationen aus. Sie geben aber vor, nur „Spiele“ zu spielen. Das wichtigste Spiel dabei ist eine Wette, die das Überleben der Familie bis zum nächsten Morgen zum Inhalt hat. Peter und Paul wetten dagegen.
Die ersten Minuten des Films erinnern sehr stark an die Anfangssituation von Stanley Kubricks Shining. Hier wie dort fährt eine dreiköpfige Familie in ein abgelegenes Anwesen, um sich dort eine Zeit lang aufzuhalten. Der Horror schleicht sich in „Funny Games“ jedoch nicht allmählich ein und besitzt nicht die mysteriöse Konnotation, die sich in „Shining“ in dem kleinen Danny manifestiert. Vielmehr erscheint es so, dass Hanekes Beschäftigung mit Kafka – er dreht im selben Jahr für das österreichische Fernsehen die Romanverfilmung von Kafkas „Das Schloss“ – ihren Niederschlag findet. Die Gewalt bricht, wie bei Kafka, abrupt und unvermittelt in das Alltagsleben ein. Erfrischend im Vergleich zu anderen Horror-Thrillern ist, dass einem die lange Suche nach dem Täter erspart bleibt. Die beiden sadistischen Helden Peter und Paul geben sich gleich zu Beginn zu erkennen und hadern nicht lange ihrer Pläne. Durch diese Verschiebung des konventionellen Hergangs der Handlung schafft sich Haneke einen Freiraum, um den Hauptakzent des Films auf andere Bereiche zu verschieben.
Filme leben davon, dass sie eine Illusion herstellen, die das Publikum dazu bringt, das Gesehene als echte, authentische Abbildung des Lebens zu akzeptieren. Spielt beispielsweise ein Schauspieler seine Rolle nicht überzeugend oder fällt gar aus ihr heraus, wird die Illusion zerstört und man wird sich bewusst, „dass man nur einen Film anschaut“. Dieser Effekt wurde jedoch zu einem Stilmittel erhoben, dem wir Werke wie Bernardo Bertoluccis „Vor der Revolution“, Jean Luc Godards Außer Atem oder Orson Welles Im Zeichen des Bösen verdanken. Vor kurzen hat sich auch Hollywood das Thema für sich entdeckt und so wird in Matrix die Filmwelt, das heißt die Welt der Matrix, die wie ein Film nur aus Projektionen besteht, als Illusion entlarvt und auf die dahinter liegende wirkliche Realität verwiesen.
Auch „Funny Games“ lebt davon, dass er die Illusion durchbricht. Dafür zuständig sind Peter und Paul, die, wie sie selbst sagen, auch anders heißen könnten: zum Beispiel Beavis und Butthead oder Max und Moritz. Das Familienoberhaupt Georg insistiert ständig darauf, die Wahrheit, den Grund für das Handeln der zwei Eindringlinge zu erfahren. Paul gibt irgendwann zu verstehen, dass es erstens viele Gründe, genauer gesagt viele mögliche Gründe, für ihr Handeln geben könnte. Einer zähle aber soviel wie der andere. Kurze Zeit später verrät Paul dann doch den wirklich wahren Grund für den Fortgang ihrer Taten:
Paul: „Ist es wirklich schon genug? Wir sind doch noch unter Spielfilmlänge! (in die Kamera gewendet) Sie wollen doch ein richtiges Ende mit plausibler Entwicklung, oder?“
Hier spricht Paul, in sehr charmantem Ton an den Zuschauer gewandt, tatsächlich eine nicht zu leugnende Tatsache aus. Denn genauso wenig wie Michael Myers mitten in den „Halloween“-Filmen wirklich tot ist, weil der Film dann schon viel zu früh aus wäre, kann an diesem Punkt mit den Qualen der Familie noch nicht Schluss sein. Paul scheint jedoch ganz offensichtlich der Einzige zu sein, der die Kamera im Raum bemerkt und mit ihr interagiert und kommuniziert. Das Erstaunliche ist ohnehin, dass die Illusion trotz dem Versuch der Subversion von Paul weiterfunktioniert! Den Umstand, dass dieses Konzept nahtlos aufgeht, verdankt der Film der herausragenden schauspielerischen Leistung von Ulrich Mühe und Susanne Lothar. An den beiden Hauptcharakteren gewinnt der Horror, den sie erleiden erst Filmrealität.
In „Funny Games“ lassen sich demnach zwei Repräsentationsebenen ausmachen, die jedoch in ihrer Anlage unentwirrbar einer Torsion unterliegen. Die erste Ebene ist die, auf der sich die Familie befindet. Diese wird konsequent realistisch inszeniert und repräsentiert damit die alltägliche Lebenswelt. Peter und Paul verkörpern eine fiktive, gespielte Wirklichkeit. Sie geben sogar vor, dass ihre Namen nur Rollennamen und ihre Lebensgeschichten rein erfunden und ersetzbar sind. Das Entscheidende aber ist nun, dass genau diese beiden fiktiven Figuren diejenigen sind, die wissen, dass sie nur eine Rolle in einem Film spielen, die mimetische Wirklichkeit im Film nicht real ist, und dass wirkliche Realität quasi „dahinter“ liegt. Verdeutlichen könnte man dies durch das Matrixuniversum: Peter und Paul sind wie Neo oder Morpheus, die sich in die Matrix eingehackt haben und dort, aufgrund ihres Wissens, Macht „über Leben und Tod“ haben. Die oben gestellte Frage, ob die Gewalt in den Medien bloße Reflexion der Gewalt im Leben ist, oder die eigentliche Realität angesichts der filmischen Gewalt beeinflusst wird, stellt sich als paradox heraus. Sie kann entweder nicht beantwortet werden, oder aber beide Antworten sind richtig.
Innerhalb des Oeuvres von Michael Haneke ist „Funny Games“ ein in vielerlei Hinsicht typischer Film. Insbesondere sind der Soundtrack und die Tongestaltung zu erwähnen. Haneke erweist sich hier einmal mehr als Minimalist und Purist. Es kommt fast ausschließlich Musik zum Einsatz, die in das Filmgeschehen eingebettet ist. Die übliche Ausnahme von der Regel stellt der Vorspann dar, in dem zunächst klassische Musik zu hören ist, die dann von lautem Heavy Metal abgelöst wird, dessen Einsatz an dieser Stelle aber eigentlich keinen Sinn ergibt. Dieser Musik begegnet man im Verlauf des Films noch ein weiteres Mal, als Paul den kurzzeitig entlaufenen Schorschi verfolgt. Im Haus der Nachbarn spielt Paul eine CD ab, auf der sich dieses Lied befindet. Zwei Aspekte sind hierbei merkwürdig: Zum einen die Tatsache, dass überhaupt in einem bieder wirkenden Anwesen Heavy Metal zum Inventar gehört. Zum anderen frappiert an dieser Stelle, dass im Film bisher vollständig auf die üblichen Effekte verzichtet wurde, die ansonsten angewandt werden, um Spannung zu erzeugen – also besonders auf Musik mit tiefer langsamer Modulation, oder hohe Frequenzen mit schnellerem Rhythmus.
Noch 2007 soll ein Remake von „Funny Games“ in die Kinos kommen. Michael Haneke dreht dieses genau zehn Jahre nach dem Erscheinen der hier besprochenen Version. Dieses Mal wird in Amerika gedreht und namhafte Hollywoodschauspieler wie zum Beispiel Naomi Watts (Mulholland Drive, 21 Gramm, I Heart Huckabees, King Kong) wird in einer der Hauptrollen zu sehen sein. Es bleibt spannend, inwiefern sich Haneke auch stilistisch und inhaltlich den Gepflogenheiten des Landes anpasst, beziehungsweise ob das Remake dem Original etwas hinzufügen kann. Die 1997er Version bietet auf jeden Fall Haneke pur und zudem ein ansehnliches und für manchen gewöhnungsbedürftiges Horrorerlebnis abseits der herkömmlichen Pfade des Genres.