Mein Konto
    Miss Marple: 16 Uhr 50 ab Paddington
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Miss Marple: 16 Uhr 50 ab Paddington
    Von Björn Becher

    Die von Agatha Christie geschaffene Figur der Miss Marple hat ihren festen Platz in der Krimigeschichte. So war es nur eine Frage der Zeit bis die Bücher mit der resoluten Hobbydetektivin verfilmt wurden. Den Anfang machte 1961 das vier Jahre zuvor erschiene Buch „Murder She said“, im Deutschen bekannt unter dem Titel „16 Uhr 50 ab Paddington“.

    In diesem Film (im Buch ist das Ganze etwas anders) beobachtet die mit der Bahn reisende und begeisterte Krimileserin Miss Jane Marple (Margaret Rutherford) in einem vorbeifahrenden Zug den Mord an einer Frau. Sie bringt das Gesehene sofort zur Anzeige. Die Polizei forscht nach, doch es findet sich nichts. Der ermittelnde Inspector Craddock (Charles Tingwell, „Blut für Dracula“) legt den Fall schließlich als Tagträume einer alten Frau und Krimileserin zu den Akten. Doch so einfach lässt Miss Marple sich nicht abspeisen. Gemeinsam mit ihrem Krimilesefreund, dem ängstlichen Mr. Stringer (Stringer Davis), stellt sie eigene Ermittlungen an. Die Spur führt zu dem feudalen Landhaus des alten Ackenthorpe (James Robertson Justice, Die Kanonen von Navarone). Miss Marple verdingt sich dort als Wirtschafterin und stößt auf einen großen Kreis von Tatverdächtigen. Ihr erster Kriminalfall nimmt seinen Lauf...

    „16 Uhr 50 ab Paddington“ ist nicht nur die erste, sondern wohl auch die beste Verfilmung eines Romans von Agatha Christie mit der schrulligen Miss Marple im Vordergrund. Der Hauptgrund dafür ist neben der spannenden Story und dem kauzigen Humor die Hauptakteurin: Margaret Rutherford verkörpert die Hobbydetektivin wie keine andere Darstellerin. Sie ist die Idealsbesetzung, obwohl Miss Marple in der Romanvorlage völlig anders beschrieben ist. Die eigentliche Miss Marple ist eine aus feineren Kreisen kommende, eher schlanke Persönlichkeit. Margaret Rutherford dagegen ist klein und burschikos - mehr Bürgertum als höhere Gesellschaft. Trotzdem verleiht sie der Romanfigur das richtige Gesicht, so dass keine ihrer zahlreichen Nachfolgerinnen in dieser Rolle einen Vergleich mit ihr gewinnen kann (die daneben bekanntesten Miss Marples sind Joan Hickson, welche die Figur in mehreren britischen TV-Filmen aus den 80er Jahren spielte sowie die vor allem aus der TV-Serie „Mord ist ihr Hobby“ bekannte Angela Lansbury, welche die Rolle 1980 in einem zwar illuster – z. B. Geraldine Chaplin, Rock Hudson, Tony Curtis, Kim Novak und Elizabeth Taylor - besetzten, aber eher mäßigen Film von „James Bond 007 – Goldfinger“ – Regisseur Guy Hamilton spielte).

    Der erste „Film-Fall“ von Miss Marple (im literarischen Leben der Figur gab es schon einige zuvor) zeichnet sich neben den üblichen Agatha-Christie-Zutaten (typischer „Whodunit-Aufbau“, sprich: Ungewissheit über den Mörder bis zum Schluss und damit verbunden das Mitraten des Zuschauers bezüglich der Identität des Täters) vor allem auch durch seine skurrilen Figuren aus. Neben Margaret Rutherford als Miss Marple tritt zum Beispiel der ihr treue, sie wohl auch anhimmelnde, ängstliche Mr. Stringer auf, der extra für die Filme geschaffen wurde, um dem Ehemann von Margaret Rutherford, Stringer Davis, eine Rolle zu verschaffen. Was aussieht wie Vetternwirtschaft, ist ein kluger Schachzug der die Filme gegenüber den Büchern ungemein bereichert. Auch wenn die Wortduelle zwischen Stringer und Marple, die Stringer immer verliert, im ersten Film noch recht rar gesät sind, so blitzt doch schon gelegentlich das Kultpotential auf, welches diese beiden Figuren und ihr Zusammenspiel über die gemeinsamen Filme entwickeln sollten.

    Die im ersten Film der Reihe leider noch recht kleine Rolle des Mr. Stringer gleichen zwei andere interessanten Charaktere aus: Zum einen der von James Robertson Justice gespielte alte Ackenthorpe, der auf den ersten Blick einen alten Geizhals aller erster Güte verkörpert und der sich mit seiner neuen Haushälterin Miss Marple einige schöne Wortgefechte liefert, die fast sogar noch besser sind als die von Marple und Stringer. Marple und Ackenthorpe sind nämlich beide Dickköpfe, die nicht klein beigeben wollen, während Stringer die Duelle mit Marple immer verliert. Zweiter interessanter Charakter ist der Lausbub Alexander (Ronnie Raymond in seiner einzigen Filmrolle), der mit seinen Streichen das Geschehen noch weiter aufpeppt. So ist „16 Uhr 50 ab Paddington” ein wahrer Klassiker geworden. Trotz zahlreicher Änderungen gegenüber der Romanvorlage entstand ein sehenswerter Spaß, dessen Stärke nicht nur in der Spannung der Mördersuche liegt, sondern auch in dem Humor, der von den zahlreichen kauzigen Figuren und den satirischen Pfeilspitzen in den Dialogen ausgeht.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top