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    American hardcore
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    American hardcore
    Von Martin Thoma

    Musikfilm oder Porträt einer Jugendbewegung? Ein Dokumentarfilm über den amerikanischen Hardcore Punk Rock bewegt sich fast zwangsläufig zwischen diesen beiden Polen. Regisseur Paul Rachman, der in den frühen 80ern selbst zur Szene gehörte, konzentriert sich in „American Hardcore“ vor allem auf ihre soziale Bedeutung für wütende weiße Jungmänner im Amerika unter dem Präsidenten Reagan. Chronologisch und geografisch geradlinig brettert er durch sein Thema wie durch einen Punk-Rock-Song: 1980 an der Westküste ging’s los, über die Ostküste, Washington D.C., New York, bis tief ins Landesinnere und 1986 war Schluss. Punkt, aus. Auch wenn ein wenig mehr filmische Originalität wünschenswert gewesen wäre, gelingt es ihm doch, ein überraschend vielschichtiges Bild dieser Subkultur, ihrer Besonderheiten und Widersprüche, zu zeichnen.

    „Don’t fuck with me“ war die griffig formulierte Richtlinie, an die sich alle „echten“ Hardcore-Bands bei der Aufnahme ihres Materials hielten. So wie es beim ersten Take auf Band war, war es richtig. Dabei, einen Song eventuell ein zweites Mal aufgenommen zu haben, wollten sich die meisten Bands nicht erwischen lassen. Die Not, keine großartige Studiotechnik zur Verfügung zu haben, galt selbstverständlich als Tugend. Ganz so hält es auch Regisseur Rachman mit seinem „historischen“ Videomaterial. Hier stößt das Konzept aber spürbar an seine Grenzen. Die Tonspur fleißig zusammengesuchter Amateuraufnahmen bildet den größten Teil des Soundtracks. Paul Rachman behauptet, das sei dann so, wie es damals bei den Konzerten tatsächlich geklungen habe. Das ist Quatsch. Eine dünne Videokameratonspur klingt nicht wie ein Live-Konzert. Die beschränkten Möglichkeiten zur Ästhetik zu verklären, nützt da nichts. Amateurvideos funktionieren eben vor allem für den, der dabei war. Dann müssen sie kein Gefühl gewissermaßen erzeugen, sondern nur das Gefühl von damals wieder in Erinnerung rufen. Von solchen Einschränkungen ganz abgesehen gibt es leider nur einen einzigen Song (der Bad Brains), den Rachman filmisch originell in Szene setzt. Ein bisschen mehr Kreativität wäre keinesfalls verkehrt gewesen. Die Musik steht bei „American Hardcore“ nicht wirklich im Vordergrund und eigentlich – so zumindest stellt es sich im Film dar – stand sie das für den Großteil des Publikum auch in der Blütezeit des Hardcore-Punks nie, weil sie immer hauptsächlich Vehikel für etwas anderes war. Hier setzt der Film seinen Schwerpunkt.

    „Don’t care what they may say we got that attitude” singen die „Bad Brains”. Punk, das zeigt “American Hardcore”, ist vor allem anderen Haltung. Und Haltung ist das Gegenteil von „Deutschland sucht den Superstar“, „Popstars“ und allen anderen Unternehmungen des sich Anpassens und des Angepasstwerdens an den kleinsten gemeinsamen Nenner des Massengeschmacks. Den Hardcore-Punks war nicht nur klar, dass keiner von ihnen jemals ein Star werden würde, es war auch das allerletzte, was sie gewollt hätten. Je kleiner und radikaler die Opposition, desto besser. Verloren musste man sich nicht mehr fühlen, die Szene, die man geschaffen hatte, gab schließlich Halt. Die Kehrseite der Medaille: Offenheit gegenüber anderen musikalischen Experimenten war nicht angesagt. „Flipper“, die sich die Freiheit nahmen, nur halb so schnell auf ihre Instrumente zu knüppeln wie die anderen Hardcore-Bands, wurden dafür von vielen gehasst und waren eine Ausnahmeerscheinung. Gegen Reagan zu sein, weil er dreist behauptete, alle Amerikaner zu vertreten, obwohl er nur Politik für eine ganz kleine Schicht machte und den Rest mehr oder weniger ausgrenzte, das war die eine Seite. Der Konformismus im Nonkonformismus der eigenen, sehr homogenen Gruppe die andere.

    Es gehört zu den Stärken dieser Dokumentation, dass die Zuschauer immer wieder auf Brüche und Widersprüche im Weltbild stoßen, obwohl der Film keine Deutung vorgibt und nicht kommentiert. Nur erschöpfend genau und einfach strukturiert einen recht eng gesteckten Rahmen ausleuchten, Kamera und Mikrofon an, und die Beteiligten erzählen lassen. Das ist das Konzept, und in den Interviews funktioniert es hervorragend. Die Protagonisten reden sehr entspannt über ihre Erlebnisse und Ansichten. Offenbar weil sie mit Rachman einen Gesprächspartner haben, der damals dazugehörte. Niemand setzt sich übertrieben in Szene, aber genauso wenig gerät der Film zu einem nostalgischen Ehemaligentreffen. Selbst der unvermeidliche Henry Rollins, der Bono des Hardcore, hält keine Reden, sondern erzählt einfach entspannt.

    So erfährt man, dass der Weg von der Punkszene in eine religiöse Gemeinschaft, gar kein so weiter sein muss, zumindest nicht in den USA. Die „attitude“ kann im Prinzip eine ähnliche bleiben. Allerdings - die Konzerte der später religiös Erleuchteten waren in ganz Washington D.C. wegen ihrer Wildheit verboten. Man erfährt von dem Teil der Hardcoreszene um Ian Mackayes „Minor Threat“, der das Schlagwort „Straight Edge“ prägte, mit dem ein alkohol- und drogenfreies und am besten auch ansonsten abstinentes Leben propagiert wurde. „Minor Threat“ wollten friedliche Konzerte, in L.A., der Geburtsstadt des Hardcore, war es dagegen üblich, sich untereinander und mit der Polizei Schlägereien zu liefern. Ausgerechnet Mackayes Freund Henry Rollins war als Sänger von „Black Flag“ häufig Zentrum dieser Art von Bühnenshow. „Minor Threat” schrieben auch den später gerne von Nazis gesungenen Text „Guilty of Being White“:„I'm sorry for something I didn't do / Lynched somebody but I don't know who / You blame me for slavery a hundred years before I was born // Guilty of being white // I'm a convict of a racist crime / I've only served 19 years of my time // Guilty of being white”. Mackaye sagt: ein Song gegen Rassismus. In seiner Schule gehörte er als weißer Junge einer Minderheit an. In diesem Zusammenhang müsse man das Lied sehen. Andererseits spielten „Minor Threat“ für ein Publikum, das sich fast ausschließlich aus weißen Jungen zusammensetzte, die aggressionsgeladen zu Konzerten kamen, auf denen aggressive Musik geboten wurde. In diesem Zusammenhang muss man sich „Guilty of Being White“ vorgetragen vorstellen. Nicht allzu verwunderlich, dass einige Bands ein Problem mit den falschen Fans hatten, mit rechten Skins. Interessant aber auch, dass „Minor Threat“ ihre Karriere als Vorband der „Bad Brains“ begannen, der einzigen Hardcore-Band, die sich aus schwarzen Musikern zusammensetzte. Noch exotischer als Schwarze waren wahrscheinlich nur Frauen. Die „Black-Flag“-Bassisten Kira Roessler in einem Konzertmitschnitt auf der Bühne zu sehen, ist ebenso aufschlussreich, wie sie im Rückblick darüber reden zu hören.

    Ein bisschen mehr Ausblick hätte sein dürfen. Die These, die im Film über das Ende des American Hardcore aufgestellt wird, lautet in etwa: Die Bands haben sich in unterschiedliche Richtungen weiterentwickelt, die die Szene, mit der sie untrennbar zusammengehörten, nicht mehr akzeptieren konnte. Das hätte man gerne ausführlicher gehabt. Zu erfahren, welchen musikalischen Weg zum Beispiel der häufig zu Wort kommende Mackaye später mit „Fugazi“ eingeschlagen hat, wäre doch ganz interessant gewesen - es fällt nicht einmal der Name der Band. Dass die „Bad Brains“, die musikalisch mit Abstand beste unter den vorgestellten Bands, 1986 plötzlich begannen Reggae und Heavy Metal zu spielen, wird immerhin erwähnt, aber als Provokation nicht ausreichend gewürdigt. Dass Hardcore einflussreich für die amerikanische Jugendkultur gewesen sei, wird behauptet. Wie sieht der Einfluss bis heute aus? Dieser Frage intensiver nachzugehen, hätte den Film interessanter gemacht. Für alle, die sich ein bisschen für Punk und für Jugendkulturen interessieren, ist „American Hardcore“ aber ganz sicher einen Blick wert.

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