Im Oktober 2002 zog die provozierend-offene (andere sagen: proleten-dämliche) Biographie „Nichts als die Wahrheit“ von Dieter Bohlen neben amüsanten Kommentaren zu Bohlens schmerzhaften Penisbruch auch den ein oder anderen Rechtsstreit hinter sich her. Nadja Abdel Farrag, Verona Feldbusch und Thomas Anders waren nur einige der mehr oder weniger prominenten „Opfer“ der Wahrheit. Als dann für 2005 eine Kino-Zeichentrick-Umsetzung des Mega-Bestsellers angekündigt wurde, war die Hoffnung groß, dass der Film ähnlich hemmungslos-radikal wie die Vorlage werden könnte. Aber dann wurde der Film überraschend von einer Kino-Auswertung zurückgezogen – in der Regel kein gutes Zeichen. Nun, wo Bohlens Fernseh-Präsenz durch eine neue Staffel „Deutschland sucht den Superstar“ wieder ungehörige Maße angenommen hat, hat „Dieter – Der Film“ aber zumindest im Fernsehen seine Weltpremiere erhalten. Und glücklicherweise geht die Verfilmung trotz einer unumgänglichen Verniedlichung durch den Zeichenstil immer noch offensiv genug zur Sache, als dass man sich nicht 80 Minuten lang köstlich unterhalten lassen könnte, auch wenn man sich da natürlich keinen im herkömmlichen Sinne guten Streifen reinzieht.
Wer seid ihr? Sperma. Was seid ihr? Fruchtbar. Was wollt ihr? Kinder machen. - Bohlens Filmbiographie beginnt wirklich ganz am Anfang. Der Sperma-Kommandant sucht in seiner Einheit einen Freiwilligen, der unangepasste Soldat Dieter, der mit seinem lautstark dröhnenden Walkman ein wenig abseits steht, fällt ihm dabei sofort ins Auge. So erblickt neun Monate später Dieter Bohlen am 7. Februar 1954 das Licht Ostfrieslands. Schon als Baby verdient er mit seiner Musik Geld – der Bauer von nebenan zahlt jedes Mal fünf Mark dafür, dass Dieter mit dem Gekreische aufhört, weil sonst die Milch seiner Kühe sauer würde. Weil Dieter in seiner Schulzeit als Streber beim anderen Geschlecht eher unbeliebt ist und mehr schlagende Argumente (“Meine Schönheit kam von täglichen verprügeln.“) als Zuneigung bekommt, beschließt er nach einer Begegnung mit dem jungen Westernhagen ins Showgeschäft zu gehen, wo die Groupies den Stars zu Füßen liegen. Tausende von zurückgeschickten Demobändern später steht auf einmal der kleine Bruder von Winnetou, der seine Zehnerkarte fürs Solarium auf einmal eingelöst hatte - mit bürgerlichem Namen: Thomas Anders - vor seiner Tür und zusammen verkaufen sie als „Modern Talking“ Trillionen von Platten und scheffeln Geld ohne Ende. Und weil sie nicht gestorben sind, kamen die Frauen. Zuerst Thomas Wachhund-Freundin Nora, dann die alkoholkranke, nur auf der Fernsehcouch hockende Naddel und schließlich die geldgeile Schlange Verona…
Die Produktionsfirma „TFC Trickcompany“ hat aus ihren letzten beiden Fehlschlägen „Derrick – Die Pflicht ruft“ und „Werner – Gekotzt wird später“ ihre Lehren gezogen. Indem die Witz-Schlagzahl nämlich drastisch erhöht wurde, fällt es kaum mehr ins Gewicht, dass die Trefferquote ähnlich niedrig wie in den vorhergegangenen Produktionen ist. Auch die Mischung aus markigen Sprüchen wie “Los ihr Schlampen, gebt mir Schotter!“ (Drafi Deutscher), phantasievoll-aggressiven Parodien wie Naddels Titten-TÜV und Zeichentrick-Satire mit leicht verfälschten „Bild“-Zeitungs-Schlagzeilen kann in Sachen Abwechslungsreichtum meist überzeugen. Der Zeichenstil an sich ist zwar sehr schlicht, trotzdem sind viele kleine amüsant-liebenswürdige Details versteckt – für den Versuch einer Zeichentrick-Realsatire, dessen Ergebnis zwar meist unterhaltsam, aber nicht immer bissig genug ist, eine durchaus passende Umsetzung.
“Die Formel meines Erfolges habe ich von der Toilettentür: Haste Kohle => Haste Auto => Haste Frauen – mehr hätte ich mir sowieso nie merken können.“ Auch wenn ein Großteil der Gags auf das Konto von Bohlens zynischen Beschreibungen seiner Geschäftspartner und Ex-Frauen geht, so hält zum Beispiel Verona beim Aushandeln des Ehevertrags solange die Luft an, bis Dieter ihr im Falle einer Scheidung eine Trillion bezahlt und sie einen Mercedes – aber von Ferrari - kriegt, kommt der Film auf der anderen Seite aber auch mit einer erfrischenden Portion Selbstironie daher. So kann Bohlen seinen Welthit „Cherry Cherry Lady“, den er seinem Produzenten mit den Worten “Der Titel ist doch stark, habe ich extra auf der Herfahrt im Bus komponiert“, erst ordentlich einsingen, nachdem eine kaputte Sprungfeder seine Stimmlage durch einen Schlag in die Weichteile künstlich erhöht hat. Wobei in diesen Momenten, in denen Bohlen über sich selber lacht, aber auch immer darauf geachtet wird, dass er trotzdem noch sympathisch rüberkommt. Zum Beispiel wurden seine Prügelattacken auf Verona bewusst weggelassen, mit seinen Gegenspielern ist Dieter im Vergleich nicht so zimperlich umgegangen. Fazit: Unterhaltsame 80 Minuten, die aber durchaus noch eine Ecke böser hätten sein dürfen. Link-Tipp: CD-Kritik „Soundtrack – Dieter: Der Film“