Vor knapp drei Jahren überraschte Marco Petry als frischgebackener Absolvent der Filmhochschule mit der unbeschwerten Komödie „Schule“ das deutsche Publikum. Knapp eine Million Besucher strömten in die Kinos. Mit der Tragikomödie „Die Klasse von 99“ folgt nun Petrys zweite Leinwandarbeit, die zwar wieder stilsicher beobachtet ist, aber nicht ganz die charmante Wirkung erzielt wie der Vorgänger.
Nach einem halben Jahr in der Fremde kehrt Felix (Matthias Schweighöfer) in seine Heimat zurück. Das Lehramtstudium hat er längst geschmissen, auf der Polizeischule kommt er nicht klar, eckt an und lässt sich in seine Stadt an der deutsch-niederländischen Grenze versetzen. Bei seinen Freunden hat sich wenig verändert. Alles ist beim alten geblieben. Fast. Sein bester Kumpel Sören (Tim Sander), der sich mit Ecstasy-Schmuggel ein Zubrot verdient, ist jetzt mit Felix’ heimlicher Liebe Simona (Anna Bertheau) zusammen. Da sich ein Dealpartner von Sören ins Ausland abgesetzt hat, springt Felix für ihn ein. Dass sich der Polizeischüler damit selbst in Schwierigkeiten bringt, ist ihm klar, aber er will seinen Freund nicht hängen lassen und das leicht verdiente Geld mitnehmen. Erst als ein tragisches Unglück geschieht, wendet sich das Blatt und Felix steht vor einer schweren Entscheidung...
Der gezielte, geschärfte Blick auf die Heranwachsenden der heutigen Zeit zeichnete Petrys Überraschungshit „Schule“ aus. Dieses Talent ist dem Regisseur nicht abhanden gekommen, allerdings weicht diesmal die Unbekümmertheit des Debüts einer thematisch bedingten Schwermütigkeit, mit der die Protagonisten versuchen, das Leben in den Griff zu bekommen. An Glaubwürdigkeit mangelt es den Figuren jedenfalls nicht. Matthias Schweighöfer („Soloalbum", „Nachts im Park") macht seine Sache insgesamt ordentlich, fällt aber im Vergleich zu Tim Sander, der zugegeben auch die dankbarere Rolle hat, etwas ab. Obwohl Comedy-Sternchen Axel Stein im Prinzip immer die gleiche Rolle spielt, ist es dennoch eine Freude, den bulligen Jungmimen auf der Leinwand zu sehen. Zwar machte er die hirnlose Schenkelklopfer-Posse „Harte Jungs“ (und die nicht weniger dämliche Fortsetzung „Knallharte Jungs“) oder die Peinlichkeit „Feuer, Eis und Dosenbier" nicht erträglich, aber immerhin sorgte er für kurze Lichtblicke. Was bei unterirdischen Filmen wie den genannten schon einer Wohltat gleichkommt. Seine Sprüche passen zu seinem Typ.
Petry zeigt wieder ein feines Näschen für das Kleinstadtleben in der namenlosen Provinz. Bei der Milieuzeichnung ist „Die Klasse von 99“ am stärksten. Dass der Film hinter „Schule“ zurückbleibt, hat auch dramaturgische Gründe. Die Handlung schleppt sich manchmal etwas behäbig voran. Erst ein dramatisches Ereignis soll die Clique aus ihrer mentalen Lethargie befreien. Verschenkt ist zudem die Frauenfigur der Simona, gespielt von Anna Bertheau („Wie Feuer und Flamme“), die den Spannungsbogen zwischen den beiden Jugendfreunden Felix und Sören verstärken soll. Allerdings wird ihr zu wenig Raum gewährt, um zwingend zu überzeugen. In „Schule“ gab Jasmin Schwiers eine charmante Figur ab, was mindestens im gleichen Maße für den damals noch unbekannten Daniel Brühl galt (er hat wie Niels Bruno Schmidt einen charismatischen Cameo-Auftritt). Im Vergleich zu Brühl, dem besten deutschen Schauspieler seiner Generation, bleibt der ansonsten passable Schweighöfer blass. Das Problem: Sein Charakter Felix reißt den Zuschauern nicht mit. Ob er nun seine Polizeikarriere weiterverfolgt, ausreißt oder einfach etwas anderes macht, ist eigentlich egal. Viel interessanter ist das Schicksal von Sören: Werden ihm seine kriminellen Energien zum Verhängnis? Verrät ihn Felix zum Schluss? Oder kriegt er noch mal die Kurve?
Doch auch wenn „Die Klasse von 99“ Schwächen hat, ist es lobenswert, dass Regisseur Marco Petry seiner Linie treu bleibt und sein Talent konsequent einbringt. Der Film, der zwischen rustikaler Komik und leiser Melancholie pendelt, hat Frische und Natürlichkeit, die einigen anderen deutschen Filmen dringend zu wünschen wäre. So ist „Die Klasse von 99“ keineswegs gescheitert, ein ordentlicher Film ist Petry allemal gelungen.
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