Manche Filme haben einfach Pech, dass sie den Vergleich mit erfolgreichen internationalen Produktionen mit einer ähnlichen Geschichte erdulden müssen. Wenn „Die Boxerin“ knapp ein Jahr nach Clint Eastwoods Kritikerliebling Million Dollar Baby in die Kinos kommt, steht die deutsche Produktion bei diesem Vergleich natürlich mächtig unter Druck.
Eberswalde nach der Wende. Die unangepasste Johanna (Katharina Wackernagel), kurz Joe gerufen, bekommt ihr Leben einfach nicht auf die Reihe. Sie hangelt zwischen Sozialhilfe und kurzfristigen Jobs hin und her und bekommt keinen Fuß auf die Erde. Ihr Vater - ein lokaler Boxheld - starb vor ein paar Jahren, die Mutter (Manon Straché) ist seitdem ziemlich heruntergekommen, die kleine Schwester (Karoline Teska) tut alles, um nicht nach Hause kommen zu müssen. Joes ehemalige Freundinnen um Mandy (Teresa Weißbach) sind zu einem aufgetakelten blonden Zickenverein mutiert, die in der Öffentlichkeit mit der burschikosen Joe nicht gesehen werden wollen und sich wo immer möglich über sie lustig machen. Einziger Lichtblick für Joe ist das plötzliche Auftauchen ihrer nach Berlin gezogenen Freundin Stella (Fanny Staffa). Die ermutigt Johanna, ihrem großen Traum von einer Boxkarriere nachzujagen und im ehemaligen Club ihres Vaters zu trainieren. Trainer Igor (Martin Brambach) will in den Männerclub zunächst kein Mädchen aufnehmen, macht aber schließlich eine Ausnahme für die Tochter seines verstorbenen Freundes.
Doch auch dieser Erfolg bringt Joe kein dauerhaftes Glück. Die prolligen männlichen Boxer machen ihr das Training zur Hölle; die ungestüme Boxerin lässt sich immer wieder von ihnen zu Ausbrüchen provozieren. Auch fehlt es Johanna an Disziplin und Durchhaltevermögen. Als Stella und Mandy ihre alte Freundschaft wieder beleben, ist Joe enttäuscht und wendet sich Mandys Freund Mario (Devid Stiesow) zu. Schließlich werden die Alltagsprobleme quasi übermächtig. Verzweifelt versucht Johanna auszubrechen und meldet sich zu den Amateurboxmeisterschaften der Frauen in Berlin an.
Mit „Die Boxerin“ gibt Regisseurin Catharina Deus ihr Spielfilm-Debüt. Drehbuchautorin Martina Klein kennt sie bereits aus der gemeinsamen Zeit an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin. Im Team wollen die beiden westdeutschen Filmemacherinnen ein realistisches Portrait über Erwachsenwerden und Selbstbewusstsein mitten in Brandenburg verwirklichen. Auch ohne den nahe liegenden Vergleich mit dem Oscar-prämierten „Million Dollar Baby“, an welches sich ein Großteil des Publikums noch lebhaft erinnern dürfte, scheitert ihr gemeinsames Werk an seiner Zielsetzung. Denn auch handwerklich wirkt „Die Boxerin“ nicht besonders stimmig und bietet mit seiner Storyline und der Entwicklung keine wirkliche Nähe zu den Figuren. Stattdessen wirken viele Szenen wie zusammengepuzzelt und nur durch endlos nervige Einstellungen der sinnfrei auf ihrem Mofa durch die brandenburgische Provinz kurvenden Johanna aneinander gereiht. Dieses Motiv wird so überstrapaziert, dass sich dem Zuschauer schon der Magen zusammenzieht, wenn die Protagonistin in Spuckweite ihres Mofas kommt oder nur durch eine Haustür nach draußen schreitet. Auch die Auswahl des Handlungszeitraums gestaltet sich schwierig. Der Zuschauer lernt Johanna kennen und verlässt sie wieder zu einem Zeitpunkt, der gerade ein Minimum an Spannung aufgebaut hat und endlich die nach absolut platten Stereotypen aufgebauten Nebenfiguren langsam aus der Geschichte verschwinden. Charakterlichen Tiefgang sucht man in diesen Figuren leider vergeblich, jede verkörpert eigentlich nur eine Eigenschaft oder Einstellung.
Was der Boxerin aber wirklich jede Chance auf Publikumsakzeptanz nimmt, ist die thematische Verbindung zum „Million Dollar Baby“. Mit diesem Film gelang Clint Eastwood nach einem großartigen Drehbuch eine feinfühlige und in jeder Beziehung angemessene Sozialstudie von drei Menschen, deren Lebensmittelpunkt das Boxen darstellt. Auch wenn im Unterschied zu „Die Boxerin“ hier der Trainer mit seiner Lebensgeschichte im Mittelpunkt steht und eher äußere als innere Widerstände gegen die Boxkarriere einer Frau thematisiert werden, kommt gerade die von Hillary Swank verkörperte Boxerin, deren soziale und psychische Situation durchaus der von Johanna entspricht, mit ihrer Motivation großartig zur Geltung. Demgegenüber sucht man ausgefeilte Charaktermomente in „Die Boxerin“ vergebens. Die Nebenhandlungen bei der deutschen Produktion werden eher in die Handlung hineingewürfelt als integriert, frei nach dem Motto: „welchen gesellschaftlichen und privaten Katastrophen könnte unsere Protagonistin jetzt eigentlich noch ausgeliefert sein?“ Wo Eastwoods aktuelle Regiearbeit subtil und minimalistisch vorgeht, packen Deus und Klein ordentlich den Holzhammer aus, bevor Johanna auf ihrem Mofa wieder eine andere Landstraße in Brandenburg herunterbraust.
Dabei macht Katharina Wackernagel (Das Wunder von Bern) in der Rolle der dörflichen Außenseiterin eigentlich keine schlechte Figur. Mutig stellt sie die Unruhe und das Geltungsbedürfnis von Joe heraus, aber sie hat gegen das klischeebeladene Drehbuch mit ihrem Spiel keine Chance, einen dauerhaften Eindruck zu hinterlassen. Denn als Fazit bleibt ganz klar festzuhalten, dass jemand, der einen guten Film über Frauenboxen mit sozialkritischem Hintergrund sehen will, weiterhin lieber sein Geld in das „Million Dollar Baby“ als eine Kinokarte für „Die Boxerin“ investieren sollte.