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    Wir sagen Du! Schatz.
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Wir sagen Du! Schatz.
    Von Andreas Staben

    Marc Meyer und seine Schauspieler waren beeindruckt. Soeben hatten sie miterlebt, wie ihre Tragikomödie „Wir sagen Du! Schatz.“ in gleich vier ausverkauften Sälen des örtlichen Multiplex das 18. Kinofest Lünen eröffnet hatte. Festivalleiter Michael Wiedemann hatte sich nicht getäuscht und seine persönliche Begeisterung für Meyers ersten langen Spielfilm wurde von großen Teilen des Publikums geteilt. Ein gelungener Auftakt also für das Kinofest, das sich ganz dem deutschen Film verschrieben hat und an jeweils vier Tagen im November ein breites Spektrum des hiesigen Kinoschaffens in verschiedenen Reihen präsentiert. Das Publikum in der 91.000-Einwohner-Stadt an der Lippe nimmt gerne die Gelegenheit wahr, Filme zu sehen, die sonst nicht den Weg nach Lünen finden würden, und es bestimmt auch den Gewinner des Hauptpreises des Festivals, der Lüdia. „Wir sagen Du! Schatz.“ steht 2007 neben so unterschiedlichen Filmen wie Hotel Very Welcome, Leroy und dem brillanten „Der blinde Fleck“ - ein weitgespannter Bogen bis zum Abschluss mit Nichts als Gespenster. Während einige Filme noch ohne Verleih dastehen, fiel die Lüner Premiere mit dem offiziellen Kinostart von „Wir sagen Du! Schatz.“ zusammen. Eine geschickte Bündelung der Aufmerksamkeit für einen clever angelegten Film über das Familienleben.

    Berlin in der Weihnachtszeit: Der Mittdreißiger Oliver Eckstein (Samuel Finzi) zieht mit Chloroform bewaffnet los und entführt sich eine Familie. Sofia (Nina Kronjäger, Stellungswechsel, Die Aufschneider), die Frau seines Chefs, Oma Edna (Margot Nagel, „Der Campus“) aus dem Altersheim, einen Säugling aus der Babyklappe, einen neunjährigen Jungen und die unterwegs aufgegabelte sechzehnjährige Maya (Anna Maria Mühe, Was nützt die Liebe in Gedanken, Schwesterherz) verschleppt er in die hermetisch abgeriegelte 18. Etage eines leerstehenden Hochhauses. Ergänzt wird die Gruppe durch Opa Horst (Harald Warmbrunn, Schröders wunderbare Welt), einen alten Einmieter des Stockwerks, den Oliver übersehen hatte. Die Entführten sind natürlich empört, als sie erkennen, in welcher Situation sie sich befinden, aber beharrlich versucht Oliver sie mit einem Korsett aus Regeln zur Teilnahme am „Familienleben“ zu bewegen. Als die wichtigste Anweisung – regelmäßige und pünktliche Teilnahme an gemeinsamen Mahlzeiten – nicht befolgt wird, verschließt er den Zugang zu den üppigen Vorräten und stellt das Wasser ab. Die Gruppe fügt sich nach und nach stärker in das Schema, vorsichtige Annäherungen stehen neben Ausbruchsversuchen. Einem desolaten Weihnachtsfest folgt unerwartete Harmonie auf dem Hausdach. Und am Ende haben sich alle verändert.

    Edna sagt einmal, dass sie kein Freund von gruppendynamischen Experimenten sei. Olivers zunächst wahnsinnig wirkendes Projekt kommt tatsächlich daher wie eine Versuchsanordung aus dem Labor von Soziologen, Psychologen oder Drehbuchautoren. Die Grundkonstellation einer zusammengewürfelten Gruppe, deren Mitglieder unter ständiger Beobachtung ungewohnte Rollen übernehmen und Aufgaben lösen müssen, erinnert an diverse Reality-TV-Formate. Der entscheidende Unterschied zu den konfliktfördernden Strukturen der Fernsehsendungen à la „Big Brother“ liegt in der Hauptfigur und ihrem Anliegen. Oliver lässt sich von seiner Überzeugung leiten, dass man allein nicht glücklich sein kann. Er liebt die Mitglieder seiner Ersatzfamilie, einfach weil sie da sind. Mit seiner ganz eigenen Art von Idealismus erreicht er, dass die anderen sich allmählich öffnen und ihre sorgfältig kultivierten, geschönten Eigendarstellungen aufgeben. Die Autoritätsperson Edna befindet sich längst auf dem Abstellgleis des Ruhestands, Sofias glückliche Ehe erweist sich als Illusion und Horsts selbstgewählte Aufgabe aller Kontakte wird am Ende durch einen hoffnungsvollen Aufbruch in die Welt hinein ersetzt. Oliver, dem Samuel Finzi (Ein ganz gewöhnlicher Jude, Das Wunder von Bern) eine sanfte Bestimmtheit verleiht, setzt Dinge in Gang und verhilft den Gruppenmitgliedern zu neuen Perspektiven. Die zum modernen Sisyphos stilisierte Figur findet das eigene Glück in dem der Anderen.

    Die ideenlastige Anlage der Hauptfigur, die den Autor und Regisseur Marc Meyer spürbar am meisten interessiert, führt zu einer gewissen Unausgewogenheit in Stimmung und Stimmigkeit. Die psychologische Komponente der Extremsituation wird vernachlässigt oder wirkt unglaubwürdig.

    Der Tonfall wechselt von dramatischer Zuspitzung zu satirischer Distanz und die weitgehend realistische Inszenierung verweist immer wieder durch symbolisch aufgeladene Einstellungen auf sich selbst. „Wir sagen Du! Schatz.“ ist ein bis in die Schreibweise des Titels hinein reflektierter und reflexiver Film. Es ist nicht zu weit hergeholt, in Oliver ein Alter Ego des Regisseurs zu sehen. Auch Filmdreharbeiten sind schließlich mit delikater Gruppendynamik auf engem Raum verbunden, mit dem Ringen um Rollen und Sichtweisen. Der Regisseur versucht die Kontrolle zu behalten, dazu muss er auch auf Manipulationen und auf autoritär durchgesetzte Regeln zurückgreifen. Und wenn sich die Figuren verselbstständigen und der Film ein Eigenleben beginnt, kann der Macher ein neues Werk in Angriff nehmen. „Wir sagen Du! Schatz.“ mag viele weniger gelungene Elemente besitzen, aber in seiner Mischung aus Unterhaltung und Selbstbezogenheit fördert er den Gedanken an andere Filme - ein passender Auftakt für ein Fest des Kinos in allen seinen Facetten.

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