Am 9. August 1962 starb Hermann Hesse, Autor des „Steppenwolf", Weltbürger und einer der größten Humanisten der deutschen Literaturgeschichte. Dass ihm ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod nicht nur in den Feuilletons, sondern auch mit einer Wiederaufführung der Roman-Adaption „Siddhartha" gedacht wird, ist trotz der ambivalenten Qualität des Films eine schöne Würdigung. 1972 hatte sich der amerikanische Regisseur und Drehbuchautor Conrad Rooks an die Verfilmung des Entwicklungsromans von 1922 gewagt, die trotz hehrer Ambition vor allem ein Beispiel dafür ist, dass eine möglichst wortgetreue Umsetzung nicht automatisch gleichbedeutend mit einer guten Buchverfilmung ist. Freunde märchenhafter Indien-Panoramen und schwelgerischer Folkloristik mögen dem Kino-Nirvana hier einen großen Schritt näher kommen, doch bei aller visuellen Gestaltungsfreude bleibt Rooks ein ausgesprochen konservativer Erzähler: Statt die ekstatischen Erlebnisse seines Protagonisten mit filmischen Mitteln darzustellen, begnügt sich der Filmemacher damit, Siddharthas Weg zur Erleuchtung in zwar ansprechend fotografierten, aber auch monotonen und hölzern gespielten Dialogszenen nachzustellen.
Siddhartha (Shashi Kapoor) ist ein junger Brahmanen-Sohn, der in die Fußstapfen seines Vaters treten soll. Von spiritueller Neugier und Fernweh getrieben bricht er in die Weiten Indiens auf, wo er seine wahre Bestimmung erkennen will. Sein Kindheitsfreund Govinda (Romesh Sharma) begleitet ihn zunächst, schließt sich dann jedoch der Gemeinde des reisenden Buddha an. Der rastlose Siddhartha zieht alleine weiter, bis er verwahrlost ins Haus der Kurtisane Kamala (Simi Garewal) einkehrt. Dort wird er zum Liebhaber ausgebildet, ehe er sich bald einen Namen als scharfsinniger Händler macht. Doch auch bei den so genannten „Kindermenschen" wird er keine Weisheit finden. Einmal mehr begibt sich Siddhartha in die Wildnis: Lange Jahre wird der Suchende an der Seite des greisen Fährmanns Vasudeva (Zul Vellani) leben und dem Lauf des Wassers lauschen. Aber erst nachdem Kamala und Vasudeva diese Welt verlassen haben und der altersgebeugte Siddhartha selbst zum Fährmann gereift ist, wird er verstehend seine Augen öffnen und endlich zur Erleuchtung finden...
Mystische Erfahrungen erzählen – geht das? Kann die Überwindung des Ichs, das Aufgehen im kosmischen Fluss sprachlich oder visuell so vermittelt werden, dass Leserschaft oder Kino-Publikum zumindest ansatzweise eine Ahnung der Transzendenz erleben? Hermann Hesse versuchte diesem Problem mit einem besonders meditativen Sprachstil beizukommen: Seine bezaubernd-poetischen, dabei aber immer betont schlicht gehaltenen Sätze können tatsächlich Empfindungen des Friedens und der Schwerelosigkeit auslösen. Was im Roman durch Wörter erreicht wird, bewirkt im spirituellen Kino nicht der Dialog, sondern das erhabene Filmbild. Dementsprechend tasten sich Kino-Schamanen wie Terrence Malick oder Darren Aronofsky jenseits des Sprachlichen an die transzendentalen Erlebnisse ihrer Figuren heran. Statt die rauschenden Bilderfluten von „The Tree of Life" oder von „The Fountain" in erster Linie mit dem Verstand zu erfassen, gilt es vielmehr, sie ekstatisch zu erleben.
Für sein Herzensprojekt „Siddhartha" scheute Conrad Rooks keinen Aufwand und drehte mit indischen Stars an wunderschönen Originalschauplätzen am Ganges. Nicht umsonst ist der Roman mit „eine indische Dichtung" untertitelt, auch wenn Hesse seine Melange aus Buddhismus und Hinduismus dann doch im chinesischen Taoismus auflöst. Umschmeichelt von ätherischen Landschaften und der obligatorischen Sitar-Musik bewegt sich Shashi Kapoor – Spross einer berühmten indischen Schauspielerfamilie – in prachtvollen Kostümen durch Zeit und Raum. Das ist, Kitsch hin oder her, durchaus ein ästhetisches Vergnügen. Doch Spiritualität auch nur anzudeuten, das gelingt Rooks nicht. Zu theatralisch wirkt sein Film, zu sehr klebt der Filmemachern an den Dialogen Hesses, die in der Vorlage nur einen kleinen Teil der Sprachmagie ausmachen und von Rooks gnadenlos aus ihrem poetischen Kontext gerissen werden. Ergreifend oder gar spirituell ist das nicht mehr.
Symptomatisch für Rooks' inszenatorisch eindimensionalen Zugang ist besonders das Finale: In wenigen Zeilen erklärt Siddhartha seinem Jugendfreund Govinda, dass er jeden Stein als Ausdruck dieser Welt liebe und im langsam dahinfließenden Fluss den größten aller Lehrmeister gefunden habe. Genau in einer (nicht allzu langen) Einstellung zeigt Rooks dann die im Wasser aufscheinenden Gesichter all der Menschen, die Siddhartha auf seiner Suche begegnet sind. Die Freunde betreten die Fähre und gleiten zu verträumten Folklore-Klängen aus dem Bild – Sekunden später rollt auch schon der Abspann über die Leinwand. Die bei Hesse so zentrale taoistische Metapher wird durch die oberflächliche Inszenierung entkräftet, denn hier wird der leise vor sich hinplätschernde Fluss nie auch nur ansatzweise als jene ruhende Urkraft erlebbar, durch die Siddhartha das Wesen der Welt erkennt.
Fazit: Dass Conrad Rooks Hesse kennt und verehrt, ist seiner "Siddhartha"-Adaption anzusehen. Gerecht wird er der Vorlage mit seiner schlichten Inszenierung trotzdem nicht – dafür ist seine Filmsprache zu funktional und sein spirituelles Gespür zu schwach ausgeprägt.