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    Minik
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,5
    enttäuschend
    Minik
    Von Christoph Petersen

    Zu Beginn anthropologischer Forschungen Ende des 19. Jahrhunderts wurden fünf Eskimos aus ihrer gewohnten Umgebung, den eisigen Weiten Grönlands, gerissen, um sie im großstädtischen New York für Experimente zu benutzen. Vier von ihnen starben an Tuberkulose, der sie schutzlos ausgeliefert waren. Regisseur Axel Engstfeld erzählt in seinem Dokumentarfilm die Geschichte des einzigen Überlebenden, dem kleinen Eskimojungen „Minik“. Trotz Aufnahmen im „American Museum of Natural History“ und in den Eiswüsten des hohen Nordens, trotz vielzähligen, in Prag aufgenommenen Spielszenen und trotz des eingearbeiteten Archivmaterials bleibt das Bild des kleinen Minik in der großen, unbekannten Welt dennoch sehr blass und wage, die Wissenschaftskritik verklärt und nur selten treffend begründet.

    Im Oktober 1897 kommt der Arktisforscher Robert Peary, der es später als erster Mann zum Nordpol schaffen sollte, von einer Grönlandexpedition nach New York zurück. Im Gepäck hat er einen riesigen Meteoriten und fünf Eskimos, die die anthropologische Abteilung des „American Museum of Natural History“ bei ihm bestellt hatte. Die hochangesehenen Forschungen steckten noch in den Kinderschuhen und die Eskimos, die als am wenigsten entwickelte Menschen der damaligen Zeit galten, sollten den Durchbruch bringen. Schon am Hafen werden die „Wilden“ als Sensation empfangen und im Museum dann unter der Leitung des Kurators Franz Boas „vermessen“. Doch nach gerade einmal zehn Tagen müssen die Eskimos mit Lungenentzündung und Tuberkulose ins Krankenhaus eingeliefert werden. Zwar erholen sie sich zunächst, aber ihr ständiges hin und her zwischen ihrem Quartier in der Bronx, dem Museum und dem Krankenhaus ist zuviel für sie. Zunächst stirbt Keeshuh, der Vater des jüngsten Eskimos Minik. Seine Gebeine behält das Museum, dem Sohn wird eine gefakte Beerdigung vorgegaukelt. Innerhalb weniger Monate sterben auch die anderen Eskimos, nur Minik überlebt. Er wird von einem Mitarbeiter des Museums adoptiert und bleibt noch zwölf Jahre in den USA, bevor er wieder nach Grönland zurückkehrt. Doch Minik hat mittlerweile seine Muttersprache verlernt und seine amerikanische Schulbildung hilft ihm auch nicht dabei, einen Hundeschlitten zu führen…

    „Es gab von Anfang an Probleme mit dem American Museum of Natural History.“

    „Es hat sechs Monate gedauert, bis unsere Rechercheurin schließlich Zugang zu den Archiven des Museums bekam.“

    „Alles was Backstage war, war off limits. Wir durften weder den Flur noch die Räume der Anthropologen drehen.”

    (Regisseur Axel Engstfeld)

    Das Schicksal der Eskimos vor über hundert Jahren scheint für die Verantwortlichen des Museums auch heute noch ein Politikum. Und dass haben Engstfeld und sein Team auch zu spüren bekommen. Nur einen einzigen „Nestbeschmutzer“ haben sie unter den Anthropologen gefunden, der unter dem Motto „Was haben wir zu verstecken. So war halt der Beginn unserer Wissenschaft.“ bereitwillig Auskünfte gab. Leider wurden diese Problematiken hinter den Kulissen im Film selbst konsequent ausgespart, sie lassen sich nur in den Pressematerialien finden. Stattdessen haben die Filmemacher ihre Wut, die sich bei den Hinhalte- und Zermürbungstaktiken des Museums zweifellos angestaut haben muss, scheinbar am historischen Geschehen ausgelassen. Natürlich muss man das Verhalten der Forscher mehr als kritisch hinterfragen. Aber Engstfeld beschränkt sich darauf, mit einem alten Foto des traurig dreinschauenden Minik und den viel zu sentimental nachgestellten Spielszenen auf der emotionalen Schiene gegen die Wissenschaftler Stimmung zu machen. Das ist nicht nur fragwürdig und auf die Dauer auch sehr langweilig, sondern verstellt vor allem den spannenden Blick auf das damalige (heutige?) ambivalente Wissenschaftsdenken zwischen dem Wohl der Allgemeinheit und dem Leid des Einzelnen.

    Nur an einer Stelle ist Engstfeld richtig bissige Kritik gelungen. Er zeigt Bilder eines Treffens des seinerzeits von Peary gegründeten Explorer-Clubs, bei dem Reiche für eine kleine Spende den Duft der weiten Welt riechen dürfen und ihre alten Helden feiern. Wenn die Geldsäcke allen Mut zusammennehmen, um in eine frittierte Spinne hineinzubeißen und sich dann als große Eroberer fühlen, ist der Blick mehr als entlarvend. Ansonsten ist die Schwerpunktsetzung aber misslungen. Interessante Themen, wie das Zurechtkommen der an die Einsamkeit gewöhnten Eskimos in der Großstadt oder Miniks Rückkehr in sein altes Dorf werden nur knapp in ein paar Sätzen abgehandelt. „Bei seiner Ankunft in New York hielt Minik Pferde für große Hunde“ , ist fast das Einzige was man dazu erfährt. Dafür verliert sich der Film in ewig langen, ausgefransten Ausführungen zu Pearys weiteren Expeditionen und seiner nur in dem Themenkomplex um die vorgetäuschte Beerdigung von Miniks Vater gut begründeten Kritik an der Wissenschaft, die fremde Kulturen und den einzelnen Menschen nicht achtet. Eine kleine Anmerkung hierzu: Der 9-jährige Minik wurde in den Spielszenen von einem mongolischen Jungen verkörpert. An einer Stelle steht Minik nackt vor den Anthropologen, die ihn untersuchen wollen. In der mongolischen Kultur ist Nacktheit aber ein absolutes Tabu, trotzdem haben die Filmemacher den Jungen überredet, diese Szene zu machen. In Sachen Respekt vor anderen Kulturen scheinen Film und Wissenschaft also näher beieinander zu liegen, als man zunächst vermutet hätte.

    Formal ist „Minik“ viel zu sehr Fernsehen, als dass man ihn im Kino genießen könnte. Wirklich überzeugen können nur die von einem Off-Sprecher kommentierten Archivbilder und die Aufnahmen des Explorer-Treffens, alles Andere schwankt zwischen unglücklich bis peinlich. Am schlimmsten sind die amateurhaften, übermäßig moralisierenden Spielszenen, die den Zuschauer jedes Mal mit ihrer nicht zum Rest passenden Digitaloptik aus dem Film reißen. Aber auch die Synchronisation der Eskimos lässt schlimme Erinnerungen an die deutsche Fassung von Die Reise der Pinguine wieder hochkommen. Auch wenn sein Thema hochinteressant ist, zerbricht „Minik“ doch an seinen formalen Mängeln und seiner anklagenden statt hinterfragenden Art.

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