Die Abenteuer des Raumschiffs Enterprise genießen unter Fans eine kultige, schon fast religiös anmutende Verehrung – und J.J. Abrams Neuinterpretation besitzt absolut das Zeug zum Heiligen Gral. Sein Star Trek ist so sehr Huldigung an ein seit vierzig Jahren währendes popkulturelles Phänomen, wie es auch ein genialer Transfer in eine völlig neue Dimension des gesamten Franchise ist.
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Durch das Eingreifen des zeitreisenden Romulaners Nero entsteht eine alternative Zeitlinie, in der der junge James T. Kirk zu einem Taugenichts heranwächst. Ohne die Anleitung seines Vaters, eines Mitglieds der Sternenflotte, der bei Neros Angriff ums Leben kam, weiß Kirk mit seinem Leben nicht viel anzufangen, bis er nach einer Barschlägerei Captain Pike begegnet. Dieser überredet den Hitzkopf zum Beitritt in die Sternenflotte und die Geschichte nimmt ihren Lauf...
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Zeitreisen wurden in Star Trek immer wieder thematisiert, sowohl im Verlauf der Serien, als auch der Filme, doch bisher noch nie dazu genutzt, dem Gesamtkonstrukt einen solch frischen Impuls zu verleihen, wie es Abrams und seinen Drehbuchautoren hier gelingt. Dadurch, dass durch Neros Wirken in der Vergangenheit eine ganz neue Zukunft entsteht, geht das Konzept des Films weit über ein bloßes Prequel hinaus, vielmehr versetzt er sich durch diesen Kniff in die Lage, bei aller Treue zu den Wurzeln ein völlig neues Geäst von Abenteuern und Konstellationen sprießen zu lassen. Und wenngleich auch hier die typischen Logiklöcher in den Mechanismen des Zeitreisens klaffen: den Machern ist damit ein genialer Schachzug gelungen, der ihnen genug Freiraum mit dem Star Trek-Universum verschafft, um den Film nicht als bloßes Zitat enden zu lassen.
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Bereits die Eröffnungsszene macht deutlich, in welche Richtung Abrams geht. Mit dem ersten Auftauchen von Neros Schiff, der Narada, und ihrem Angriff auf die USS Kelvin etabliert er einen tricktechnischen Bombast, wie man ihn in den Vorgängern so noch nicht gesehen hat. Bei einem Budget, welches beinahe ums dreifache über dem des bisher teuersten Ablegers, Star Trek Nemesis, liegt, kaum verwunderlich. Doch nicht nur Special Effects und Materialschlacht dominieren die ersten Minuten, auch an Emotionen und Tragik mangelt es nicht. George Kirk könnte kaum ein heldenhafterer Tod ereilen, James T. Kirk kaum eine schicksalhaftere Geburt. Das kommt sicher nicht ganz ohne pathetische Reden aus, erreicht aber insgesamt sein Ziel, indem es nicht nur einen gefühlsmäßigen und optischen Höhepunkt gleich zu Beginn setzt, sondern sich auch eine der Stärken der Serie bedient: der Held bekommt einen persönlichen Bezug zum Schurken. Dies dupliziert sich sogar noch, wenn man später mehr über Neros Absichten und Hintergründe erfährt.
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Nach dem krachenden Auftakt bleibt es zunächst den Beastie Boys und ihrem Sabotage‘ überlassen, den Lärmpegel aufrecht zu erhalten und nebenbei noch die Charakterisierung des führungslos-rebellischen jungen Kirk zu unterstützen. Die näheren Umstände leuchtet Abrams dabei nicht aus, muss er aber auch nicht. Sowohl bei Kirk, als auch dem folgenden Abstecher auf den Planeten Vulkan und zum kleinen Spock genügen dem Regisseur wenige Einstellungen von ausreichender Prägnanz, um ihre Kontroverse mit der Umwelt, besonders aber mit sich selbst zu vermitteln. Als Sohn eines Vulkaniers und einer Menschenfrau kämpft Spock um seine Identität und unter der kühlen Logik, durch die sich sein Volk auszeichnet, brodelt der wohl spannendste und am stringentesten aufgebaute Konflikt des Films.
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Bleibt der Spock-Part eine durchgehend sehr ernsthafte Auseinandersetzung mit Selbstwerdung und Positionierung unter Anderen (denn einen Gleichen kann Spock schließlich nicht finden), ist das Kirk-Analogon eher locker aufgebaut, großmäulig und frauenheldisch erstickt er Perspektivlosigkeit und Outlawtum eher in Arroganz und Überheblichkeit. Dass er dabei aus keiner Schlägerei als Gewinner hervorgeht und zuerst auf seiner großen Klappe landet, bevor sie ihn weiterbringt, macht diese Attitüde aber dennoch sympathisch und Kirk nicht etwa zum unausstehlichen Proleten. Als Captain Pike in ihm mehr sieht, als einen nutzlosen Raufbold, ist dies zwar mehr einfach nur Notwendigkeit der Story, als das es sich tatsächlich aus dem bisher von Kirk gesehenen erschließt, aber unter dem Gesichtspunkt, dass der gutherzige Pike dem Sohn des verdienten Vaters unter die Arme greifen will, wird es dem naiv-optimistischen Charme des Universums von Serienerfinder Gene Roddenberry schon wieder vollauf gerecht.
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Kirk ringt sich also zur Karriere bei der Sternenflotte durch und lernt nebenbei Uhura, Dr. McCoy und Spock kennen. In der eher ruhigen Phase der Exposition ist Star Trek mit vielen kleinen und größeren Anspielungen gewürzt, wie zum Beispiel Kirks Schummelaktion, die ihn als ersten die Kobayashi Maru-Simulation bestehen lässt. Charakterzeichnung, Ausstattung und überwiegend auch der angeschlagene Humor treffen hier den Ton der Vorlage auf eine Weise, die zugleich eine wohlige Vertrautheit und absolut unterhaltsame Originalität erweckt. Durch das stimmig getroffene Zusammenspiel der Figuren verliert Star Trek abseits der Action nicht an Fahrt und kann sich dabei besonders auf die Besetzung verlassen. Der Cast ist kein namhafter, dafür ein sehr bedacht ausgewählter. Chris Pine gibt einen augenzwinkernd-einnehmenden Kirk, der William Shatners Ausstrahlung tatsächlich in nichts nachsteht. Gleiches gilt, nur in anderer Form, für Zachary Quinto als Spock. Hier passt die Optik und vor allem Quintos Fähigkeit, die unterdrückten Emotionen Spocks hinter dessen Fassade zu zwängen, sie aber trotzdem jederzeit spürbar zu machen. Im Laufe der Story rückt Spock sogar um einiges deutlicher ins Zentrum, als Pine’s Kirk, was absolut nicht zum Schaden des Films ist, fällt Spock doch letztlich die wesentlich dramatischere Rolle in Neros Rachefeldzug zu. Teilweise wird Kirk in seiner Entwicklung dabei zwar etwas zu sehr vernachlässigt, in der Dynamik mit Spock macht dieser geringe Mangel allerdings Sinn, definieren sich doch beide über weite Strecken an ihren extremen Gegensätzen und finden schließlich über diese in Freundschaft und Respekt zueinander.
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Mit dem Aufbruch der Enterprise in Richtung Spocks Heimatwelt Vulkan setzt die Action wieder zur Warpgeschwindigkeit an. Der jungen Crew werden noch einige nette Charaktermomente gegönnt, wenn etwa der Bordcomputer Chekovs russischen Akzent nicht versteht. Das gewagte Manöver zur Rettung des Planeten, kilometerweit über dessen Oberfläche auf einer Plattform stattfindend, ist spektakulär inszeniert und wiederum tricktechnisch brilliant. Obwohl Star Trek ab hier nochmals mächtig an Rasanz zulegt, mit planetenfressenden schwarzen Löchern, zähnefletschenden Monstren und wummernden Weltraumschlachten enorme Schauwerte auffährt, muss man die Macher loben, dass sie dennoch die Figuren samt ihrer Eigenheiten nicht aus den Augen verlieren und ein gewisser Tiefgang in den Motiven und angesprochenen Themen nicht verloren geht. Star Trek ist auch in dieser (tricktechnisch) modernisierten und in Grundpunkten umgedeuteten Version kein hirnloses Schlachtenspektakel. Dadurch, dass der Film mehrere Aufgaben zu erfüllen hat (Charaktere einführen, sich innerhalb des Franchise positionieren, Fans befriedigen, seine Welt Nicht-Fans nahe bringen), kann nicht jeder Aspekt voll ausgereizt werden, doch das Spektrum ist mit Identitätsfindung, Isolation, dem Grauen eines Genozid und dem, was er in den Figuren auslöst (oder auch nicht auslöst) breit gefächert. Damit wird genug Spannung und Anreiz, der Story zu folgen, erzeugt, um darüber hinwegzutäuschen, das es einmal mehr „nur“ darum geht, die Erde zu retten. Zwangsläufig wird somit auch nicht jedes Klischee umgangen, selten fielen diese jedoch so wenig störend auf.
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Star Trek bietet insgesamt zu viele hervorragend gelungene Elemente, als das überhaupt irgendetwas störend auffallen könnte. Einziger kleiner Schwachpunkt ist der Mangel an Screen-Time und die etwas einfallslose Gestaltung des von Eric Bana gespielten Schurken Nero. Bana selbst kann an sich schauspielerisch überzeugen, wird jedoch an mancher Stelle zu versatzstückhaft an bekannte Star Trek-Bösewichter angelehnt. Zum Beispiel hantiert er, ähnlich wie Ricardo Montalban in Der Zorn des Khan, mit gehirnmanipulierenden Kriechtieren herum und ist, wie die Borg in Der erste Kontakt, auf Zeitreisemission, um seinem eigenen Volk die Zukunft zu retten. Am Ende und im Zuge der erwähnten Multifunktionalität des Films erfüllt Nero aber dennoch gut seinen Zweck als auf Seiten des Bösen vorantreibendes Element der Handlung.
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In technisch überragender Manier und erzählerisch mehr als zufriedenstellend gelingt J.J. Abrams der schwierige Spagat zwischen Vorlagentreue und Neuauslegung. Star Trek ist voranpeitschendes, genial eingefangenes Blockbuster-Kino, wie man es in letzter Zeit kaum besser gesehen hat. Würdigend, ohne in Ehrfurcht zu verharren, visionär, ohne sich von den Grundzügen zu entfernen. Michael Giacchino liefert einen entsprechenden Score, der die alten Hymnen mit neuen vereint und ebenso ausgezeichnet für den Film, die Story und die Charaktere arbeitet, wie es Abrams Inszenierung tut. Man könnte Star Trek auch als „würdig“ bezeichnen, doch damit wird man dem, was hier geschaffen wurde, nicht annähernd gerecht. Der Film kann und wird eine ganz neue Generation von einem Mythos begeistern, den er eben nicht nur würdigt, sondern in großartiger Art und Weise fortführt und selbst ganz neu schafft.
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