Der Episodenfilm ist kein einfaches Genre: Leicht gerät ein Teil zu langatmig, schnell wirken die Geschichten zu künstlich und bemüht miteinander verwoben. Häufig fällt dem Zuschauer die Identifikation mit den Figuren schwer – schließlich sieht er viele von ihnen über den gesamten Film verteilt insgesamt nur wenige Minuten auf der Leinwand. Doch der spätestens seit den beiden L’Auberge Espagnol-Filmen auch in Deutschland bekannte Regisseur Cédric Klapisch umschifft all diese Stolpersteine in seiner Tragikomödie „So ist Paris“ erfolgreich. Der Franzose zeichnet darin ein faszinierendes Bild seiner Hauptstadt, indem er unterschiedlichste Charaktere porträtiert und dabei geschickt ausbalanciert Komik, Tragik und Dramatik einsetzt.
Der Tänzer Pierre (Romain Duris) ist schwer krank, nur eine Herztransplantation kann sein Leben noch retten. Er zieht sich zurück, meidet soziale Kontakte und findet eine neue Lieblingsbeschäftigung: Stundenlang steht er am Fenster und denkt sich Geschichten über die Menschen aus, die er beobachtet. Als er seiner Schwester Élise (Juliette Binoche) von seiner Krankheit erzählt, zieht die kurzerhand mit ihren drei Kindern bei ihm ein. Da Pierre sich nach körperlicher Nähe sehnt, klingelt sie unter einem Vorwand bei seiner hübschen Nachbarin Laetitia (Mélanie Laurent), um sie auszufragen – dummerweise ist jedoch gerade ihr Freund zu Besuch. Für Pierre wäre in Laetitias buntem Liebesleben aber ohnehin wenig Platz gewesen: Neben ihrem Freund schläft diese nämlich auch noch mit ihrem Professor Roland Verneuil (Fabrice Luchini), der nach dem Tod seines Vaters in eine Midlife Crisis geschlittert ist…
Eine Inhaltszusammenfassung kann bei einem Episodenfilm nur unvollständig geraten: Außerdem geht es in „So ist Paris“ beispielsweise noch um einen Marktverkäufer, der am Abend in einem Restaurant als Rock-’n-Roll-Sänger auftritt, dessen latent alkoholsuchtgefährdete Kollegin und einen Einwanderer aus Kamerun. Und da wären wir auch bei dem einzigen kleinen Hindernis, das sich Regisseur Cédric Klapisch zudem auch noch selbst beim Schreiben des Drehbuchs in den Weg gestellt hat: Die Episode um einen Afrikaner, der seine Reise nach Europa in einem kleinen Motorboot antritt, wirkt leider völlig deplaziert. Die pathetisch gefilmten Bilder von Dutzenden Afrikanern, die ihre kleine Nussschale ins offene Meer schieben, wirken wie eine nachlässige Abhandlung der Pariser Immigrationsproblematik. Der Filmlänge von 129 Minuten hätte eine Streichung dieses Teils gut getan – insgesamt fällt der Kritikpunkt jedoch nicht sonderlich ins Gewicht, da die Flüchtlingsgeschichte eben nur wenige Minuten ausmacht.
Ansonsten hat Cédric Klapisch so unterschiedliche wie stimmige Alltagsgeschichten zusammengetragen. Wie es in Episodenfilmen üblich ist, verzichtet er auf jegliche Charaktereinführung. Dadurch fühlt sich der Zuschauer, als würde er für ein paar Augenblicke am Leben der Figuren Teil haben. Um die einzelnen Storyelemente noch kompatibler zu machen, bedient er sich so genannter Match Cuts – bei dieser Schnitttechnik gehen die Bewegungen der verschiedenen Szenen ineinander über. Über den Einsatz dieser relativ simplen Technik lässt sich zwar streiten, sämtliche sonstige Regie-Arbeit ist jedoch grandios: Weich gezeichnete Bilder in gedeckten Farben zaubert Cédric Klapisch ebenso spielend leicht auf die Leinwand wie herrliche Totalen von Frankreichs Vorzeigemetropole. Neben typischen Postkartenidyllen zeigt er dem Zuschauer auch unbekannte Schauplätze wie einen Großmarkt am frühen Morgen oder eine mit versteckter Kamera aufgenommene Modenschau.
Da Klapisch in Frankreich längst als Starregisseur gilt, kann er sich mittlerweile aussuchen, mit wem er zusammenarbeitet. Romain Duris (Der wilde Schlag meines Herzens, So ist Paris, L’Auberge Espagnol) besetzt er in „So ist Paris“ bereits zum sechsten Mal. Ihm gelingt die Darstellung des herzkranken Moulin-Rouge-Tänzers so dramatisch wie möglich und nötig zugleich. Wer nach dem Ansehen des Trailers einen melodramatischen, herzzerreißenden Film erwartet, wird eines besseren belehrt: Es steckt viel Witz in dem Aufeinanderprallen des todkranken Pierre und den drei Kindern seiner von Juliette Binoche (Der englische Patient, Dan – Mitten im Leben!, Caché) verkörperten Schwester. Diese lässt Klapisch wie eine natürlichere Julia Roberts erscheinen. Mit einer angemessenen Prise Ironie spielt Fabrice Luchini (Intime Fremde) den kuriosen Geschichtsprofessor, der sich für eine populärwissenschaftliche Fernsehsendung auf neue Pfade begibt. Auch sämtliche Nebenrollen sind vortrefflich besetzt. Besonders bemerkenswert ist jedoch noch die resolute Bäckersfrau Madame Muyard (Karin Viard, Wie in der Hölle, Delicatessen), deren Suche nach einer arbeitseifrigen Bedienung urkomische Formen annimmt.
Der Fokus der Geschichte liegt klar auf Pierre und seiner Schwester Élise. Die übrigen Episoden erhalten weniger Aufmerksamkeit und werden nur in der Schlussszene minimal ineinander verwoben. Das zeichnet „So ist Paris“ jedoch aus: Anstatt plötzlich die Geschichten künstlich ineinander laufen zu lassen, bekommt der Zuschauer wunderbare, für sich stehende Kurzgeschichten auf dem goldenen Tablett serviert. In funkelnd schönen Bildern, die von einem grandiosen Soundtrack untermalt werden, erzählt „So ist Paris“ dem Zuschauer ein Stück Alltag einer Vielzahl von Charakteren, ohne ihn dabei trotz der plötzlichen Szenenwechsel zu viel Konzentration abzuverlangen. Denn obwohl sich Regisseur Klapisch zum Teil eher düsterer Themen bedient, inszeniert er seine ganz unterschiedlichen Geschichten dennoch stets auch mit einer angenehmen Leichtigkeit.