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    Der Major und das Mädchen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Der Major und das Mädchen
    Von Björn Becher

    Seit 1955 Vladimir Nabokovs Roman Lolita, der 1962 von Stanley Kubrick und 1997 von Adrian Lyne verfilmt wurde, erschien, in dem es um die Liebe des Erzählers zu einer Zwölfjährigen geht, ist das Wort „Lolita“ fest im Sprachgebrauch verankert. In Billy Wilders Hollywood-Regiedebüt „Der Major und das Mädchen“ fällt der Begriff kein einziges Mal – wie auch, der Film erschien 1942, also 13 Jahre vor der Veröffentlichung des Romans. Dennoch steht im Mittelpunkt eine „Lolita“, zumindest eine vermeintliche. Skandalös wie Nabokovs Roman ist „Der Major und das Mädchen“ aber deswegen noch lange nicht. Ganz im Gegenteil: Es handelt sich um ein über weite Strecken eher leichtes, aber sehr unterhaltsames Lustspiel, in dem Wilder trotzdem Platz für ein paar freche Spitzen und eine Prise Spott findet.

    Nach einem Jahr und 25 Jobs hat Susan Applegate (Ginger Rogers) genug von New York und den aufdringlichen Männern, die von ihr immer nur das Eine wollen. Sie beschließt, in ihre Heimatstadt nach Iowa zurückzukehren. Da sie nicht mehr genug Geld hat, gibt sie sich mit ein wenig Maskerade als Zwölfjährige aus, um so für den Kinderpreis reisen zu können. Als die Fahrtkartenkontrolleure misstrauisch werden, flüchtet sie sich unter einem Vorwand in das Abteil von Major Philip Kirby (Ray Milland), der sich dem „Kind“ annimmt. Schnell wird ihr Kirby mehr als sympathisch, doch der hält sie für zwölf und ist zu allem Überfluss auch noch mit Pamela (Rita Johnson), der Tochter seines gestrengen Vorgesetzten (Edward Fielding), verlobt. Als die Fahrt unterbrochen wird, nehmen Kirby und Pamela Susan bei sich auf. Dummerweise kommt Pamelas kleine Schwester Lucy (Diana Lynn) Susan auf die Schliche. Diese verspricht, ihre Klappe zu halten, wenn Susan ihr hilft, den netten Kirby vor ihrer egoistischen Schwester zu retten. Dazu ist Susan nur zu gerne bereit…

    Der „Major und das Mädchen“ ist ein wichtiger Schritt in der Karriere von Billy Wilder. Der nach der Machtergreifung der Nazis 1933 aus Berlin geflohene und über Paris nach Hollywood emigrierte Autor zählte ab 1936 zu den Stammschreibern des renommierten Filmstudios Paramount und mauserte sich dort schnell zu einer festen Größe. An der Seite des Autors Charles Brackett, mit dem er zwölf erfolgreiche Jahre zusammenarbeitete, schaffte er 1939 den endgültigen Durchbruch. Ihr Drehbuch zu Ninotschka wurde von Ernst Lubitsch kongenial verfilmt und brachte den Autoren 1940 ihre erste Oscarnominierung ein. Danach folgte Kassenhit auf Kassenhit und auch die Kritiker waren begeistert von Wilders Drehbüchern, was ihm 1942 zwei weitere Oscar-Nominierungen bescherte (für „Das Goldene Tor“ von Mitchell Leisen und „Die merkwürdige Zähmung der Gangsterbraut Sugarpuss“ von Howard Hawks). Da war der nächste Schritt natürlich überfällig, zumal Wilder mit der Adaption seiner Drehbücher, vor allem durch Mitchel Leisen, der insgesamt drei Wilder-Drehbücher verfilmte, nicht immer zufrieden war. Gegen den anfänglichen Widerstand der Führungsetage bei Paramount, die Angst hatte, ihren besten Autor zu verlieren, setzte er sich durch und bekam die Erlaubnis, sein nächstes Projekt selbst zu verfilmen.

    Billy Wilder bezeichnete später in seiner bekannten Interviewreihe mit Cameron Crowe („Hat es Spaß gemacht, Mr. Wilder?“) „Der Major und das Mädchen“ als seinen kommerziellsten Film. Er hatte Paramount im Verdacht, zu hoffen, er würde eine Bruchlandung erleben und reuig in die große Schreibstube zu den anderen Autoren zurückkehren. Daher sei er eher auf Nummer sicher gegangen und habe einen Film gemacht, der beim Publikum ankommt. Dies ist dem Ergebnis phasenweise deutlich anzumerken. Gerade die Charakterzeichnung fällt viel simpler aus, als bei den meisten anderen Drehbüchern von Wilder. Da ist die sympathische Protagonistin, die aus der Not heraus in ein Lügenkonstrukt rutscht, das sie eigentlich schnell wieder auflösen will, was aber immer wieder vereitelt wird. Ihr zur Seite steht der grundehrliche Soldat, der seinem Land dienen will und nur das Beste im Sinn hat - und ihr Gegenüber die egoistische und intrigante Verlobte, die so einen guten Mann einfach nicht verdient hat. Auch die Story bewegt sich in den recht vorhersehbaren Genrebahnen der Verwechslungskomödie.

    Das macht aber nicht viel aus. Denn Wilder zeigt schon hier, was ihn später ausmachen sollte. Er versteht es, dem Film unglaublichen Esprit und das nötige Tempo mitzugeben. Von Anfang an ist sein Lustspiel vergnüglich und unterhaltsam, Langeweile kommt in keinem Moment auf. Wilders Fähigkeiten für spritzige Dialoge waren schon damals legendär und kommen auch hier voll zum Tragen. Obwohl Wilder auf „Nummer sicher ging“, konnte er sich frivole Anspielungen und Spitzen nicht verkneifen. Es ist natürlich bezeichnend, dass die komplette Männerwelt auf das Spiel der angeblich Zwölfjährigen hereinfällt und nur Frauenfiguren die Wahrheit erkennen. Denn die Männer sind einfach zu blind vor Verzückung über das hübsche Frauenzimmer. Dass der Haupthandlungsort eine Militärakademie ist, bringt zusätzlichen Schwung in die Geschichte. Denn natürlich verdreht „Su-Su“, wie sie sich nennen lässt, dort schnell allen pubertierenden Kadetten den Kopf und kann sich vor eindeutigen Angeboten kaum mehr retten. Dabei spart Wilder nicht mit Spott für die Doppelmoral der Männerwelt, die für die schöne Susan mal schnell die Ehefrau beiseite wischt oder die Verlobte verleugnet. Wilder bringt auch noch einen wunderbaren Seitenhieb auf den Starkult der damaligen Zeit unter. Anfang der Vierziger wollten alle Frauen so aussehen wie „Schönheitsideal“ Veronica Lake (Die blaue Dahlie). Daher stolziert in einer Szene nicht nur die ganze Klasse einer Mädchenschule mit deren berühmter Frisur, dem „Peek-a-boo bang“, bei einem Tanzabend herum, sondern auch deren Lehrerin.

    Abgesehen von der recht einfachen Charakterzeichnung und dem weitestgehenden Vertrauen auf bekannte Genrezutaten ist Wilders flotte und bisweilen doppelbödige Romantikkomödie fast frei von Schwächen. Nur die letzten Minuten sind ein wenig arg patriotisch. Die in der damaligen Zeit üblichen, kriegspropagandistischen Untertöne, die sich an die Soldaten und ihre zurückgebliebenen Ehefrauen richten, trüben das Gesamtbild ein wenig, da sie eine Spur zu plump vorgetragen werden.

    Für die Hauptrolle bekam Wilder zu seinem Glück einen Star zur Verfügung gestellt. Ginger Rogers, die sich als Partnerin von Fred Astaire in Tanzhits wie „Ich tanz mich in Dein Herz hinein“ zum Publikumsliebling gemausert hatte, gehören von Anfang an die Sympathien des Zuschauers. Als ihr Partner überzeugt Ray Milland (Spiel mit dem Tode, Bei Anruf Mord), der damals auf den männlichen Part in Screwball-Komödien abonniert war. Er sollte später noch einmal mit Wilder zusammenarbeiten. In dem eindringlichen Alkoholikerdrama Das verlorene Wochenende spielte Milland 1945 nicht nur endlich die fordernde Charakterrolle, nach der er so lange lechzte, sondern wurde dafür auch mit einem Oscar bedacht. Die formidable Besetzung widerlegt neben der Tatsache, dass Paramount ihm auch hinter der Kamera einige der besten Mitarbeiter des Studios zur Verfügung stellte, ein wenig Wilders Behauptung, dass Paramount in Wirklichkeit auf einen Flop hoffte.

    „Ich werde jetzt einen Film machen, der sehr populär ist, damit ich nie wieder an die Schreibmaschine zurück muss.“ - Billy Wilder

    Fazit: Landläufig wird „Der Major und das Mädchen“ immer als Wilders Regiedebüt bezeichnet, was nicht richtig ist, da er schon während seines kurzen Aufenthalts in Paris einen kleinen Film über ein paar Autodiebe („Unkraut“) inszenierte. Nichtsdestotrotz ist der Film sein Hollywood-Debüt als Regisseur. Daher ist er auch eher als Fingerübung denn als großes Meisterwerk zu werten. Mit seinem Hollywood-Erstling zeigte Wilder dennoch, welch großen Spaß er verbreiten kann, wenn er nicht nur als Autor, sondern auch als Regisseur involviert ist. Und das erkannte neben den zahlreich in die Kinos strömenden Zuschauern auch Paramount. Wilder wurde nicht mehr an den Schreibtisch zurückgezwungen und durfte fortan seine Drehbücher selbst inszenieren. So avancierte Billy Wilder zu einem der besten Regisseure Hollywoods und bescherte der Nachwelt unvergessliche Klassiker wie Boulevard der Dämmerung, Zeugin der Anklage, Manche mögen´s heiß, Eins, zwei, drei oder Das Appartement, um nur einige zu nennen.

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