Im Jahr 2001 begründete Peter Jacksons Herr der Ringe - Die Gefährten eine neue Tradition. Kurz vor Weihnachten startete ein hochbudgetierter und von einer gigantischen Medienkampagne flankierter Fantasy-Film in den Kinos, was zu einem Ereignis der Superlative auswuchs – sowohl qualitativ als auch an der Kinokasse. Dieses Konzept wiederholte Warner mit den beiden Fortsetzungen und versammelte insgesamt 33 Millionen Besucher vor den deutschen Leinwänden. Nachdem dieser Fantasy-Premiumplatz ein Jahr verwaist blieb, schickte Buena Vista 2005 Die Chroniken von Narnia: Der König von Narnia ins Rennen und sorgte für durchwachsene Kritiken. 2006 scheiterte Fox‘ Eragon - Das Vermächtnis der Drachenreiter kläglich. Warner will anno 2007 an die Herr der Ringe - Trilogie anknüpfen und bringt mit Chris Weitz‘ „Der Goldene Kompass“ zwar einen besseren Film als „Narnia“ und „Eragon“ auf die Leinwand, kann aber letztlich nicht auf lange Distanz überzeugen oder gar in die Sphären von „Herr der Ringe“ vorstoßen.
Es ist die reine kindliche Neugierde, die Lord Asriel (Daniel Craig) das Leben rettet. Seine Nichte Lyra Belacqua (Dakota Blue Richards) erfährt in einem Schrank versteckt, dass ihr Onkel vom Magisterium, der allgegenwärtigen Verwaltungsmacht, vergiftet werden soll. Der eigenwillige Forscher interessiert sich hingegen zu sehr für das Phänomen des kosmischen Staubes, das er am Polarkreis erkunden will. Dies soll die Verbindung zu Parallelwelten öffnen. Dass Lyra, die am renommierten Jordan-College in Oxford aufwächst, etwas Besonderes ist, weiß auch Mrs. Coulter (Nicole Kidman). Die weltbekannte Wissenschaftlerin nimmt sie mit auf eine Forschungsreise, doch Lyras Begeisterung für ihre neue Mentorin legt sich bald, als sie zu spüren bekommt, wie Mrs. Coulter wirklich denkt. In Wahrheit ist sie hinter dem Alethiometer (zu deutsch: Wahrheitsmesser) her, ein goldener Kompass, der dem Mythos nach immer die Wahrheit sagt – allerdings nur der auserwählten Besitzerin: Lyra. Doch die ist in Aufruhr. Nicht nur, weil sie die Welle der Kindesentführungen beunruhigt, sondern vor allem, weil auch ihr bester Freund Roger (Ben Walker) verschwunden ist. Gerüchten zufolge sollen die bösen „Gobbler“ dahinterstecken und die Kinder im hohen Norden zu Experimenten missbrauchen…
Auf der Suche nach einem geeigneten Stoff für ein großes Vor-Weihnachtsevent wurde Warner recht schnell fündig. „Der Goldene Kompass“ aus dem Jahr 1995 bildet den Auftakt zur Verfilmung von Philip Pullmans Roman-Trilogie „His Dark Materials“ (weitere Bände: „Das magische Messer“, „Das Bernstein-Teleskop“). Die Wahl des Regisseurs zu diesem mit 150 Millionen Dollar fürstlich budgetierten Fantasy-Film gestaltete sich schon schwieriger. Der angeheuerte Chris Weitz (About A Boy) schmiss ob der logistischen Herausforderungen das Handtuch und wurde durch Anand Tucker („Shopgirl“) ersetzt. Doch der ging nach kreativen Differenzen von Bord und Weitz, der auch das Drehbuch schrieb, landete wieder auf dem Regiestuhl.
Wer einen Blick auf die Laufzeit des Films wirft, dürfte sich zunächst einmal verwundert die Augen reiben. Bei Spekulationen um die Länge kursierten Gerüchte um die 150 Minuten, vielleicht sogar länger. Das gehört schließlich zu einem Fantasy-Schinken in „Herr der Ringe“-Dimensionen dazu. Doch „Der Goldene Kompass“ ist nur flotte 105 Minuten lang. Hat Chris Weitz denn nichts Epochales zu erzählen? Richtig, das hat er in der Tat nicht, womit wir beim Problem des Films sind. Die Exposition, in der diese phantastische Welt ausgebreitet wird, fällt sehr stimmungsvoll und atmosphärisch aus. Die Bewohner werden von ihrem Daemon, eine separate Seele und Ratgeber in Tierform, begleitet. Der Look der Szenerie ähnelt dem England der Dreißigerjahre, ist aber um einige Fantasyelemente erweitert. Neben Menschen bevölkern auch Hexen und allerlei seltsames Getier die Erde. Später freundet sich Lyra mit dem mächtigen Panzerbären Iorek Byrnison (Stimme: Ian McKellen) an, der eine tragende Rolle spielt. Die Optik ist spektakulär und definitiv das Beste, was „Der Goldene Kompass“ zu bieten hat. Monströse Luftschiffe beherrschen den Himmel, am Boden breitet Weitz breitbändige Landschaftspanoramen aus.
Doch diese CGI-gestützte Herrlichkeit ist nach etwa der Hälfte vorbei und der Film bekommt einen merklichen Bruch. Danach dominieren die Action und das Handeln, das aber arg einfach gestrickt ist und konventionell ausfällt. Die zuvor angerissenen spannenden Fragen einer diktatorischen Weltordnung werden nun unwichtiger und Lyras Ziel, die Kinder aus den Fängen der „Gobbler“ zu befreien, rückt ins Zentrum. Der philosophische Unterbau, der zu Beginn gelegt wurde, kommt gleich mit abhanden und Routine kehrt ein – inklusive wenig überraschender Bekenntnisse zu tatsächlichen Familienverhältnissen. Die katholische Kirche fühlt sich von Philip Pullman verunglimpft, weil dieser Parallelen zu seinem allmächtigen Magisterium zieht – ein interessanter Gegenentwurf übrigens zu „Die Chroniken von Narnia“, wo urchristliche Werte penetrant gepriesen werden. Für den Film selbst ist diese Kritik unerheblich, weil belanglos.
Dramaturgisch erweist sich die Einführung des dominanten Panzerbären Iorek Byrnison als Problem. Diese Episode bremst die Handlung, spült aber auch gleich noch den Luftfahrer Lee Scoresby (Sam Elliott) mit ins Geschehen, ohne dass der Zuschauer so recht weiß, warum. Die zweite Hälfte des Films offenbart einige inhaltliche Lücken und Holprigkeiten, die nicht plausibel geschlossenen werden können. Es bleibt der Eindruck bestehen, dass hier und da etwas fehlt.
Bei der Besetzung gelang Weitz und seinem Team mit Dakota Blue Richards ein guter Fang. Die britische Newcomerin setzte sich beim Casting gegen 10.000 (!) Konkurrentinnen durch – zu Recht. Sie ist keine glatt gebügelte Heldenfigur, sondern hat sehr wohl ihren eigenen Kopf, Ecken und Kanten. Doch das Dilemma für einen Film dieser Dimension, auch wenn das Marketing diesen Umstand zu kaschieren versucht: Ihre Lyra ist die mit Abstand filmbeherrschende Figur, der Rest nur Nebensache. Somit wird aus „Der Goldene Kompass“ mehr Kinderfilm als gewünscht. Nicole Kidman (The Hours, Moulin Rouge, Eyes Wide Shut) darf ihrer zwielichtigen Bösen zwar ihre naturgegebene Präsenz verleihen, hat aber inhaltlich nicht viel mehr beizusteuern als solide Kost. Noch schlimmer sieht es bei „James Bond“ Daniel Craig (Layer Cake, München, Road To Perdition) aus. Er überzeugt zwar in den ersten 20 Minuten mit einer ausdrucksstarken Leistung, verschwindet aber leider bis zum Finale von der Bildfläche, wo er schmerzlich vermisst wird. Der Rest der Nebenfiguren bekommt kleine Auftritte, die Sam Elliott (Ghost Rider, Thank You For Smoking, Hulk) noch am besten nutzt, selbst wenn er hier zwischen dem britisches Englisch sprechenden Cast als Amerikaner mit seiner Statur wie ein anachronistischer Cowboy wirkt. Die knorrige Herzlichkeit an Lyras Seite steht „Der Goldene Kompass“ gut zu Gesicht. Eva Green („Die Träumer“, Casino Royale) geht auf ihrem Besen als Hexe ein wenig unter, zumal sie ohne großartige Einführung auskommen muss und somit dramaturgisch etwas in der Luft hängt.
Als Nervfaktor erweist sich ausgerechnet der titelgebende „Goldene Kompass“. Die Visualisierung des „Wahrheitsmessers“ ist reichlich kitschig geraten. Nach x-maligem Gebrauch wird die Geduld des Betrachters schon strapaziert. Das Finale ist zweigeteilt, wobei die erste Schlacht mit dem Duell der Panzerbären die deutliche bessere ist. Überhaupt sind die animierten Tiere exzellent gelungen und ein echter Aktivposten. Die Idee, die Menschen mit einem Daemon auszustatten, bereichert die Szenerie. Der Ausrichtung auf eine Trilogie ist es geschuldet, dass „Der Goldene Kompass“ seine Zuschauer mit einem Cliffhanger entlässt (der früher als im Buch ansetzt).
Was bleibt, ist allgemeine Ratlosigkeit. „Der Goldene Kompass“ ist wirklich kein schlechter Film, besonders in der ersten Hälfte sogar ein guter, doch das Unternehmen „großes Fantasy-Epos“ hat so seine Macken, deshalb ist eine Enttäuschung über das Gesamtprodukt nicht zu verbergen. Gut möglich, dass die Trilogie noch zulegt, ein solider Auftakt ist immerhin gemacht – auch wenn das eigentlich für eine Produktion dieses Ausmaßes zu wenig ist. Im Vergleich zum ähnlich angelegten, vor Phantasie überbordenden und leider unter Wert verkauften Der Sternwanderer fällt „Der Goldene Kompass“ als kindlichere Variante deutlich ab.